Aus der Tiefe an die Oberfläche

Jasmin Schreibers Roman „Marianengraben“ zeigt den Weg zurück ins Leben

Von Stefan FüllemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Füllemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Gemeine am Tod ist, dass er Menschen alleine zurücklässt. Alleine mit ihren Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken. Einige der Zurückgelassenen finden schnell, andere langsam und wieder andere gar nicht mehr den Weg in ihr früheres Leben. Wie diesen Weg beschreiten aus der Tiefe der Trauer zurück in das Leben?

Auf der Suche nach der Antwort nimmt die Ich-Erzählerin und Meeresbiologin Paula den Leser mit. Nach dem tödlichen Badeunfall ihres kleinen Bruders Tim stürzt Paula in ein tiefes Loch. Die Trauer und die Liebe beides so groß, wie der Marianengraben tief.

Schritt für Schritt, Meter um Meter kämpft sie sich heraus aus der Tiefe. Die Kapitelüberschriften mit der Tiefe unter dem Meeresspiegel geben die Gefühlslage von Paula an. Zu Beginn des Romans herrscht Panik und Entsetzen – 11.000 Meter tief. Dann geht es, trotz einiger Rückschläge, stetig aufwärts, bis am Ende 0 Meter und damit die Oberfläche erreicht werden. Wie passiert das?

Im Debütroman der Bloggerin Jasmin Schreiber wird der Weg zurück an die Oberfläche größtenteils als Roadtrip in Richtung Berge beschrieben. Einen Weg, den die Meeresbiologin Paula mit dem verwitweten Helmut gemeinsam begeht. Kennengelernt bei einem nächtlichen Einbruch auf dem Friedhof. Zugegeben sehr konstruiert wirkend, jedoch der Beginn der gemeinsamen Reise. Es geht ziemlich schnell, wie sich die depressive Paula dem schroff wirkenden Helmut anschließt.

Dieser trauert auch. Um seine Frau, deren Asche er dort ausbringen möchte, wo sie früher gemeinsam lebten, in den Bergen. Er, der Typ „raue Schale weicher Kern“, hilft Paula aus der Tiefe der Trauer heraus. Und dies, obwohl er selbst schwer krank ist und immer schwächer wird. Er hat aber bereits seinen Weg gefunden, um die Trauer zu verarbeiten. Einen Weg, den Paula zu Beginn, noch nicht hat. Keine sozialen Kontakte, depressiv, verwahrloste Wohnung und Abbruch der Doktorarbeit sind Zeichen der fast ausweglosen Lage zu Beginn, als sich Helmut ihrer annimmt.

Verwoben werden zwei Lebenslinien auf berührende und ehrliche Art. Über den Tod und die Trauer als schweres und ernstes Thema wird lustig und komisch geschrieben. Das Allerschwerste wirkt auf einmal leicht. Vielleicht auch deshalb, weil Jasmin Schreiber im wahren Leben als Sterbebegleiterin arbeitet und somit über Erfahrung im Umgang mit Menschen im letzten Lebensabschnitt verfügt. Eine Eigenschaft, die dem Buch zugutekommt.

So schließt sich der Kreis. Am Anfang die einsame und unglückliche Paula. Trauernd zurückbleibend nach dem Tod des Bruders. Schmerz und Unsicherheit ziehen sie hinunter ins Dunkle. Es stehen die Fragen im Raum: Kann die Trauer überwunden werden? Kann man aus der Tiefe des Schmerzes wiederauftauchen? Ja! Wenn wir die Toten weiter lieben, dann geht alles. Auch das eigene Leben weiterleben. Das ist der Erkenntnisgewinn dieses Romans. Ein Roman der sich schnell und leicht liest. Leider etwas zu leicht, angesichts der Tragweite des Themas.

Titelbild

Jasmin Schreiber: Marianengraben. Roman.
Eichborn Verlag, Köln 2020.
256 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783847900429

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