Vor Machiavelli und Mephisto
Claudia Lauer stellt die Intrigen und Intriganten des Mittelalters vor
Von Verena Brunschweiger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLa calunnia – was Gioacchino Rossini in seinem Barbiere di Siviglia eine fulminante Arie wert ist, beschäftigt seit jeher nicht nur die Komponisten und ihre Librettisten, sondern auch die Literaturschaffenden. Claudia Lauer wiederum fühlte sich zu einer Monographie inspiriert, in der vier bekannte Werke des Mittelalters auf Funktion und Darstellung von Intrigen und Intrigierenden befragt werden.
Zuvor wird definiert, was man unter einer Intrige verstehen möchte, wobei sich herausstellt, dass eine konkrete mittelalterliche Bezeichnung fehlt. Für die antike Epik und Dramatik greift der Begriff mechánema, der im Sinne legitimer Selbsterhaltung positiv konnotiert ist. Erst die christliche Perspektive macht den Intriganten zum Teufel.
Anschließend wird die Forschungslage skizziert, Ansätze inner- und außerhalb der germanistischen Mediävistik finden dabei ihre Berücksichtigung. Lauer plädiert dafür, die intrigierende Figur nicht nach rein neuzeitlichen Maßstäben zu analysieren, denn die Intrige muss nicht immer zwangsweise in Handlung transformierte Hybris sein, sie kann oft genug auch als „Emanzipation der Vernunft“ interpretiert werden.
Als Arbeitsdefinition hält die Autorin fest, dass die Intrige ein Handlungsmuster ist, „das jede Art von List, Lüge und Täuschung umfasst, die im Kern als strategisch-planmäßig beziehungsweise intentional und als Aktion von Innen, das heißt aus einer eigenen konflikthaften Situation heraus, erscheint“.
Die Untersuchungen zum Eneasroman ergeben beispielsweise, dass Amata stärker als Dido intrigant dargestellt wird, da sie manipulativ handelt und durch Macht- und Rachsucht motiviert ist. Der Protagonist wird positiver präsentiert, als es bei Vergil der Fall ist: Als Götterbote dienen seine Heimlichkeiten auch dem Wohl der Allgemeinheit. Zudem wird Lavinia deutlich differenzierter analysiert als in anderen Büchern, die ebenfalls 2020 erschienen. Lauer betont zurecht ihre „außergewöhnlich positive Kraft: Im Zusammenspiel von menschlichem und göttlichen Handeln avanciert die anfänglich Unerfahrene wie die Götter selbst zu einer klugen Schicksalslenkerin, die am Ende auch den listigen Wettstreit mit ihrer Mutter Amata gewinnt“.
Bezüglich des Rolandslieds zeigt sich, dass die Heiden Gott nicht achten, wozu ihr listiges Benehmen passt. Analog erweist sich Geneluns Hybris als Herausforderung in rechtlicher, ethischer und theologischer Hinsicht.
Im Iwein manifestiert sich, dass Intrigen eher dem Wohle aller dienen und weniger manipulativ sind. Anders im Tristrant Eilharts von Oberg, wo man dem Anderen intentional schadet. Der Titelheld oszilliert dort zwischen positiv konnotierter Selbstbehauptung und negativ besetzter Störung des höfischen Gemeinwohls. Auch Isalde unterliegt einer ambivalenten Bewertung. Dass Eilharts Erzählung ach so holzschnittartig wäre, wird meines Erachtens überbetont. Außerdem müsste man nicht ganze drei Male Kurt Ruh zitieren, wenn es um die Umwertung der Werte geht, da böte sich Nietzsche schon mehr an. Dafür entschädigen jedoch tiefschürfende Überlegungen zu rezeptions- und produktionsästhetischen Aspekten.
Betrüblich ist (neben der unerträglich pronatalistischen Widmung), dass kein einziger Hinweis auf Klassiker des Musiktheaters zu finden ist – und das, obwohl Bereiche der U-Kultur (Filme, Serien) durchaus en passant erwähnt werden. Warum also die E-Kultur ausklammern, die sich gerade bei dieser Thematik so dermaßen aufdrängt? Da wird sogar Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ La folle journée ou Le mariage de Figaro gestreift, dabei geht das eigentlich nur in Zusammenhang mit dem Figaro Rossinis und Wolfgang Amadeus Mozarts, der schließlich der listige Diener des westlichen Abendlandes schlechthin ist. Das gilt im Übrigen auch für das weibliche Pendant: Susanna ist als Figaros Braut eine positiv intrigierende Kammerjungfer und hat mit Hartmanns Lunete schon ausgesprochen viel gemein.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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