New York als Anti-Aging-Mittel

Lily Brett stellt in ihren Kolummnen fest, „Alt sind nur die anderen“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lily Brett ist eine Frau, die einem Woody-Allen-Film entsprungen sein könnte: Klug, gutaussehend, erfolgreich und auf eine sympathische Weise neurotisch, ist sie obendrein polnisch-jüdischer Abstammung und hat etliche Jahre bei einem „Shrink“ (also einem Psychoanalytiker) verbracht. Was wie das Klischee einer New Yorker Intellektuellen klingt, ist eine beeindruckte Persönlichkeit, die sich als Schriftstellerin und Musikjournalistin eine große Fangemeinde erworben hat.

Nun widmet sie sich in ihrem jüngsten Kolumnenband Alt sind nur die anderen der Frage: Ab wann ist man eigentlich alt? Anscheinend in New York überhaupt niemand, stellt Brett erstaunt fest, denn in der New York Times gelten alle ab 65 zwar grundsätzlich als „Ältere“. –  „Alt“ hingegen gibt es im Sprachgebrauch der ehrwürdigen Medieninstitution überhaupt nicht. Das kommt ihr mit ihren 73 Jahren sehr zupass, auch wenn sie sich schon wundert, woher die geheimnisvolle Arithmetik rührt, nach der man als 64jährige noch als „normale Erwachsene“ durchgeht, aber ein Jahr später eben „älter“ ist…

Brett widmet sich in ihren Kolumnen mit scharfer Beobachtungsgabe und einer Portion schwarzen Humors den alltäglichen Mysterien, Widrigkeiten, aber auch Freuden des Älterwerdens, wie etwa der Tatsache, dass man nicht mehr von beruflichem (oder sonstigem) Ehrgeiz zu Höchstleistungen angestachelt wird. So ist es nicht nur tröstlich zu lesen, dass auch an bekannten Schriftstellerinnen der Zahn der Zeit nagt. Es beruhigt auch ungemein, dass Humor und Optimismus Waffen sind, mit denen man zumindest das geistige und emotionale Altwerden erfolgreich bekämpfen kann – wenn man schon kaum etwas gegen die Macht der Schwerkraft, zunehmenden Gelenkverschleiß und andere altersbedingte Malaisen tun kann.

Dabei zieht Lily Brett, die begeisterte Stadtbewohnerin ist und seit gut 30 Jahren in ihrer Lieblingsstadt New York lebt, offenkundig viel von ihrer Energie und ihrem positiven Lebensgefühl aus der Stadt selbst: „Sich jung zu fühlen fällt in New York leichter als an anderen Orten“, stellt sie fest. Die ewig pulsierende Energie der Metropole, wo man auch mit 80 noch mit „junge Frau“ oder „Miss“ angesprochen wird, das stete Gewusel auf den Straßen und in den Restaurants, Bars und Cafés hält sie ihrer Ansicht nach jünger, als es eine geruhsamer Rückzugsort im Rentnerparadies Florida je tun könnte.

Nun ist aber Lily Brett auch nicht gerade eine Durchschnittsrentnerin, war sie doch zeitlebens in der Kulturszene zu Hause und hat alle Größen der Rockmusik interviewt. Da ist sie natürlich in ihrer Wohnung in Soho besser aufgehoben als in einem Vorort mit gepflegtem Rasen. Doch nicht nur sie wird von der Stadt jung gehalten: So etwa beobachtet sie eine 93jährige beim Terminkalenderkauf und freut sich, dass diese offensichtlich nicht nur davon ausgeht, weiter am Leben zu bleiben, sondern auch, ihre Tage mit reichlich Terminen ausfüllen zu können.

Dennoch sind es nicht nur die heiteren Momente des Älterwerdens, die sie mit ihren Lesern teilt. Lakonisch kommentiert sie auch die zahlreichen täglichen Katastrophen: Die Staroperation, nach der sie nie wieder ihren Mann auf der Straße mit älteren Damen verwechselt, dafür aber viel zu detailliert ihre Falten im Spiegel erkennt. Oder die Tatsache, dass  zwei junge Mitarbeiter im Applestore sie behandeln, als wäre sie eine Dreijährige… Bei ihren Spaziergängen durch die Stadt, folgen wir ihr ins Café, in den Stoffladen, in die Bäckerei, aufs Konzert – und lernen dabei in gut beobachteten Momentaufnahmen die New Yorker Coolness kennen: So etwa, als es einen Bombenfund gibt, und die meisten Reaktionen auf die Nachricht darin bestehen, zu diskutieren, zu welchem Teil Manhattans der Fundort denn nun tatsächlich gehört.

Neben ihren Beobachtungen zum Älterwerden und zu ihrer Wahlheimat New York gibt uns Brett sehr offene Einblicke in ihre Persönlichkeit: Wir erfahren von ihren Ängsten, die sie auch nach etlichen Jahren der Psychoanalyse nicht losgeworden ist, und lernen  daraus die tröstliche Lektion, dass man mit seinen Problemen nicht nur alt werden, sondern das auch mit Witz, Lebensfreude und Chuzpe tun kann. Ein guter Teil dessen scheint sie übrigens von ihrer Familie geerbt zu haben – zieht doch ihr Vater (ein Überlebender des Holocaust), mit über 90 Jahren noch von Australien zu ihr nach New York und findet es dort ganz fabelhaft.

Zum Glück ist dieses Büchlein weit davon entfernt, einer der typischen Altersratgeber zu sein. Die Botschaft, die es vermittelt, ist ebenso simpel wie einleuchtend: Sei einfach du selbst! Und man hätte sich durchaus mehr kurzweiliges Lesevergnügen gewünscht. Aber auch so verschaffen die 82 Seiten einen sehr vergnüglichen Nachmittag auf der Couch.

Titelbild

Lily Brett: Alt sind nur die anderen.
Aus dem Englischen von Melanie Walz.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
81 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783518429464

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