Echo – ein Frauenschicksal?

Iris Hanika reist in ihrem neuen Roman „Echos Kammern“ von Berlin nach New York und wieder zurück mit ein wenig Zeitgeist und Mythologie im Gepäck

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die mythologische Geschichte von Echo und Narziss ist eigentlich nur eine hübsche Ingredienz in Hanikas Roman-Cocktail, ein Gag wie die Olive in einem Martini Dry, am Ende kommt es auf den Gin und den trockenen Wermut an. Wie aber steht es damit bei Iris Hanika? Der Gin wäre die Reise und die damit verbundenen klugen und kritischen Beobachtungen über die beiden Städte Berlin und New York, die so gerne miteinander verglichen werden und doch ganz anders ticken, was die Autorin mit intimem Kennerblick keineswegs verhehlt. Der Schuss Wermut ist dann eine etwas verdrehte, irgendwie aufgesetzt wirkende Liebesgeschichte als Finale, bei der es, genau genommen, nicht um Liebe, sondern um die Unsichtbarwerdung der alternden Frau geht mit unterschiedlichen Abwehrreaktionen. Mit dem Alter werden Frauen scheinbar zu Konturen, durch die die Blicke der Männer widerstandslos hindurchgehen. Aber Iris Hanikas neuester Roman ist nicht wirklich ein Reiseroman und schon gar kein Liebesroman.

Auch wenn unter dem Titel wie selbstverständlich die Gattungsbezeichnung Roman steht, habe ich mich während der Lektüre doch immer wieder irritiert gefragt, was das in Wahrheit sei, was ich da lese. Die lexikalische Definition lautet: Ein Roman sei erzählende Prosa, in der das Schicksal einer Person oder einer Gruppe von Menschen geschildert wird. Gut, diese Anforderung erfüllt die Autorin erkennbar. In ihrer Geschichte treten Personen auf, die sich kennenlernen oder auch schon länger kennen und sich wiederbegegnen und die das, was man gemeinhin Schicksal nennt, miteinander verbindet und auch auseinanderbringt – ganz so wie es im Leben eben zugeht. Schicksal heißt übersetzt natürlich Liebe, aber die bleibt dann doch eher eine Behauptung. Die Schauplätze sind New York und Berlin (womit man immer punktet) und dazwischen Odessa und das ehemalige Lemberg als eine Art imaginärer Fluchtpunkt und erzählerisches Scharnier, um einem jungen Doktoranden zu plausiblen Auftritten auf der Romanbühne zu verhelfen.

Die Geschichte geht so: Eine ältere Schriftstellerin (ist sie vielleicht wie die Autorin schon in den Fünfzigern?) mit dem seltenen Namen Sophonisbe reist nach New York. Wie von einem Engel geführt, landet sie auf einer Party mit lauter schönen Menschen, angeführt von der Pop-Ikone Beyoncé. Natürlich lernt sie dort einen Beau mit Namen Josh kennen, der gerade damit beschäftigt ist, eine Doktorarbeit über die ukrainische Geschichte zu schreiben. Die Schriftstellerin gibt sich ein wenig genervt über die smarte Unverbindlichkeit des hübschen Herrn. Der Zufall bringt sie und Josh wieder zusammen. Als nächstes besucht sie einen alten Freund, der inzwischen verheiratet ist mit einer Frau mit ukrainischen Wurzeln. Was läge näher, als das Ehepaar mit dem jungen Ukraine-Spezialisten zusammenzubringen.

Sophonisbe reist derweil wieder zurück nach Berlin und wohnt, durch Vermittlung des alten Freundes, jetzt bei einer ebenso alten Schriftstellerin namens Roxana, die einst viel Geld mit Ratgebern verdient hat und sich deshalb eine große Wohnung in Berlin leisten kann. Josh macht auf der Reise nach Odessa Zwischenstation in Berlin und hier geschieht es nun: Roxana begegnet Josh und schon ist es um sie geschehen. Dreißig Jahre früher wäre daraus eine Affäre geworden, aber jetzt?! Zu allem Unglück hat sich das New Yorker Ehepaar zu einem Besuch in Berlin angemeldet. Roxana ergreift die Flucht und hofft, den Wahnsinn ihrer hoffnungslosen Verliebtheit jenseits des Atlantiks loszuwerden. Sie landet in New York und entschließt sich dort erst einmal zu einer Weltreise aufzubrechen. Vielleicht nicht die schlechteste Therapie, um auf andere Gedanken zu kommen.

Die Geschichte hätte ein wunderbarer Roman werden können, wenn die Autorin sich nicht ständig selbst ein Bein stellen würde. Da wären all die literarischen Leseproben aus Sophonisbes Werkstatt, die in „Lengevitch“ (Language) geschrieben sind, was sich dann so liest: „Ich will berichten von was ich habe gesehen.“ Was soll das? Auch den mythologischen Einsprengseln mit der Geschichte von Echo und Narziss fehlt irgendwie die richtige Verdrahtung, obschon die Anspielungen erkennbar sind. Trotzdem wirken sie seltsam sperrig. Und schließlich die großartigen Passagen über New York und Berlin, die man sich als separate literarische Stadtbesichtigungen wünschen würde. Ein Beispiel: New York denkt sie mit dem Wasser zusammen, Berlin hingegen mit dem Himmel. Gerade das wasserumspülte New York bringt einem in dieser so naturfernen Stadt ausgerechnet die Natur nahe. Weshalb der wahre Luxus dieser Stadt darin bestehe, mit der U-Bahn ans Meer fahren zu können. Am Hudson und East River muss man den Kopf in den Nacken legen, um den Himmel zu sehen, in Berlin nicht: „Der Himmel ist nicht über Berlin, vielmehr Berlin befindet sich im Himmel direkt.“ Die Himmelsweite ist hier überall.

Ein wunderbarer Roman wäre es geworden, weil Iris Hanika erstens eine unerbittlich genaue Beobachterin ihrer Umwelt ist, eine illusionslose Menschenkennerin, die grandiose Dialoge schreiben kann, Witz und Ironie richtig dosiert, aber sich und die Leser*innen leider immer unnötig ablenkt, anstatt bei dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu bleiben, den das Menschentheater so zuverlässig liefert und dem Hanika herrliche Szenen abgewinnt. Sie seziert darin menschliche Charaktere und Verhaltensweisen mit spürbarer Lust. Das Lesevergnügen bleibt zu oft aufs Kleinformat beschränkt, mit vielen schönen Stellen, die witzig und geistreich, eben pointiert daherkommen. Sie hätte besser daran getan, André Gides Bemerkung, die Sophonisbe in ihrem Notizbuch festhielt, ernster zu nehmen. Da heißt es, Figuren seien aus einem lockeren Gewebe und in ihrer völligen Ungebundenheit würden sie den Romancier zur Verzweiflung bringen, denn ihre Reaktionen seien für ihn ohne Wert. Da kokettiert André Gide offensichtlich, denn die großen Romane sind alle mehr oder weniger lockere Gewebe, geboren aus Verzweiflung des Schreibenden – und das war und ist nie wertlos.

Titelbild

Iris Hanika: Echos Kammern.
Literaturverlag Droschl, Graz 2020.
240 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783990590560

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