Von einer Farm in Afrika und dem Weg zur Freiheit in Namibia

Erika von Wietersheim verbindet Historisches mit Persönlichem

Von Julia AugartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Augart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dann unter südafrikanischem Mandat und Apartheid blickt Namibia auf eine lange und wechselvolle Zeit der Unterdrückung, Ungerechtigkeit und des Rassismus zurück. Erst seit 1990 ist das Land im südlichen Afrika unabhängig und alle Menschen haben, egal welcher der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zugehörig, die gleichen Rechte. 

Erika von Wietersheims Autobiografie Guten Morgen, Namibia! umspannt die Jahre 1976 bis 1990 und erzählt ihre sehr persönliche Lebensgeschichte vor dem Hintergrund der namibischen Geschichte bzw. dem langen Weg Namibias bis zur Unabhängigkeit. In den 1970er Jahren, gleich nach ihrem Studium an der liberalen Kapstädter Universität, zieht sie mit ihrem Mann auf die Farm seiner Eltern im südlichen Namibia, die von den Schwiegereltern nach deren Vorstellungen und so, wie es immer war, geführt wird. Erst nachdem sich diese zurückziehen und schließlich die Farm an die jüngere Generation geht, wird den Farmarbeitern sukzessive mehr Verantwortung übergeben und ihre Selbständigkeit gefördert. Eine Farmschule wird eingerichtet und nach und nach mit Unterstützung aus unterschiedlichen Richtungen vergrößert, um den Farmkindern, aber auch den eigenen Kindern schulische Bildung zu ermöglichen. Von Wietersheim schildert in ihren Erinnerungen die Auseinandersetzungen und Restriktionen, aber auch die Ermutigung und Unterstützung, die sie von unterschiedlichen Seiten erfährt und die sie nicht aufgeben lassen, die Schule einzurichten und zu erweitern. Währenddessen schildert sie aber auch das tägliche Leben auf der Farm und mit den Farmarbeitern, die Abgeschiedenheit und Entbehrungen, die Dürre und die stete Hoffnung auf Regen und damit das Überleben der Tiere und der Farm. Immer wieder taucht sie in die oft karge, aber auch einzigartige Landschaft ein und beschreibt die Umstellung von Karakul-Handel auf Gästebetrieb, Trophäenjagd und Flugsafaris im Zuge des aufkommenden Tourismus in Namibia. Zusätzlich lernt der Leser ihre fünf Kinder kennen und begleitet deren Aufwachsen wie ihre individuelle Entwicklung, Vorlieben und Charaktereigenschaften. Gleichzeitig berichtet Von Wietersheim auch von den politischen Entwicklungen im Land, den Lockerungen der Apartheidsgesetze, Parteigründungen und Wahlen, Verhandlungen bis hin nach New York, die UN-Resolution 435 sowie die wiederkehrende Hoffnung auf ein Ende der Apartheid. Sie erzählt aber auch von der Spaltung des Landes, den unterschiedlichen Gruppen, der Angst vor der SWAPO und auch vor der Zukunft und schildert Begegnungen mit verschiedenen Vertretern wie Hendrik Witbooi, Clemens Kapuuo, Dirk Mudge oder auch Hage Geingob. Die SWAPO-Kandidatur ihres Mannes Anton von Wietersheim, die ersten freien Wahlen unter Aufsicht der UNTAG sowie die Feier zur Unabhängigkeit in Windhoek am 21.03.1990 schließen den Band ab. 

Von Wietersheim gelingt es einerseits, einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben und das ihrer Familie zu geben, und andererseits, die politischen Entwicklungen Namibias von der Apartheid bis zur Unabhängigkeit sowie ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Vorstellungen diesbezüglich zu skizzieren, was zeigt, dass auch Teile der weißen Bevölkerung gegen die Apartheid und für ein unabhängiges Namibia waren. Gestützt wird dies durch ihre kritischen Reflexionen über ihre eigene Rolle als ‚weiße Afrikanerin‘, die deutsche Vergangenheit in Namibia und die unterschiedlichen Kulturen und ihre Traditionen, denen sie immer wieder begegnet. Aufgrund ihrer sehr detaillierten Erinnerungen an die politische Entwicklung im Land, aber auch auf Basis von Gesprächen und Begegnungen mit verschiedenen Menschen unterschiedlicher Gruppen, die sich die Autorin in Tagebüchern und Briefen bewahrt hat und die in den Briefen an ihre Eltern und Familie in Deutschland wiedergegeben werden, wird in Guten Morgen, Namibia! die Vergangenheit nahbar und erlebbar sowie bisweilen sehr persönlich und emotional. Für viele Namibier bietet die Erzählung Von Wietersheims eine große Wiedererkennung verschiedener geschichtlicher Ereignisse oder auch alltäglicher Routine, für andere bietet sie einen Einblick in eine andere Welt und zeigt, wie das Leben in den 1970er und 1980er Jahren auf einer Farm in Süden von Namibia aussah und wie sich der lange und immer wieder von Aufbruchstimmung und Rückschritten geprägte Weg aus der Apartheid in ein freies Namibia gestaltete. Ferner bieten die Erinnerungen eine deutschsprachige, weiße Perspektive auf die politischen Entwicklungen in Namibia, die damit viele der Autobiografien schwarzer Namibier*innen über ihre Zeit im Exil komplementiert. Guten Morgen, Namibia! ist eine sehr vielfältige, umfassende, differenzierte und authentische Erzählung über Geschichte und Geschichten aus und über Namibia, die sehr kurzweilig unterhält, umfassend informiert und persönliche Einblicke liefert. Das Buch macht Lust auf eine Fortsetzung und auch darauf, Namibia jenseits der touristischen Sehenswürdigkeiten und der touristischen Literatur kennenzulernen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Erika von Wietersheim: Guten Morgen, Namibia! Eine Farm, eine Schule und unser Weg von der Apartheid zur Unabhängigkeit.
Palmato Publishing GmbH & Co. KG, Hamburg 2019.
372 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783946205302

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