So ungefähr, circa, mehr oder weniger
Christina Irrgangs irritierende Studie „Hitlers Fotograf. Heinrich Hoffmann und die nationalsozialistische Bildpolitik“. Oder: Von den Untiefen akademischer Graduierung
Von Walter Delabar
Bei transcript in Bielefeld ist in diesem Jahr eine Karlsruher Dissertation zum „Hitler-Fotografen“ Heinrich Hoffmann und der nationalsozialistischen Bilderpolitik von Christina Irrgang erschienen, von der man sich einiges erhoffen konnte. Die Forschung zur Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts, zum Fotobuch, zur fotografischen Narration, ja zur Bildpolitik hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen und eine Reihe lesenswerter Publikationen hervorgebracht, die Anlass zu heftigen Diskussionen und zu weiteren Forschungen gewesen sind. Die Arbeiten Julia Enckes, Brigitte Werneburgs, Helmut Lethens, Bernd Stieglers oder Anton Holzers seien hier nur exemplarisch genannt. Hinzu kommen umfangreiche Dokumentationen und Abhandlungen etwa zum Fotobuch Deutschlands, der Schweiz oder der frühen Sowjetunion.
Grund genug also einen Blick auf eine Studie zu werfen, die sich einem der Herzstücke der NS-Bildpolitik zuwendet: den Fotografien Heinrich Hoffmanns, die bis in die Gegenwart hinein wirken, allerdings weniger durch die zahlreichen Fotobuchpublikationen, denn durch die ubiquitären Hitler-Porträts, durch die die gegenwärtige intensive publizistische Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus illustriert wird. Die glänzend und bruchlos erscheinende mediale Inszenierung des Regimes und seines Führerkults stützt sich umfassend auf Hoffmanns Arbeiten: Der Hitler, den wir heute zu kennen meinen, ist nicht zuletzt seine Kreation.
Die Nähe Hoffmanns zu Hitler, die Intensität der Vermarktung seiner Arbeiten und ihre Funktion in der Inszenierung des Regimes müssen also unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei ist weniger die Frage relevant, ob Hoffmann sich in den Dienst des Regimes gestellt hat (das kann in seinem Fall einigermaßen sicher vorausgesetzt werden), sondern wie die Inszenierung in seinen Arbeiten, in den Einzelfotografien wie in den Serien und Fotobüchern, umgesetzt wird, wie die Vernetzung verschiedener Plattformen geschieht, wie das fotografische Narrativ entwickelt wird, das dem NS-Regime so wirkungsvoll gedient hat usw. usw.
Genau auf diese Fragstellung richtet Irrgang ihr Interesse, scheitert daran aber deutlich, konzeptionell, argumentativ, stilistisch und begrifflich. So diskutiert sie nicht die Forschung oder entwickelt mit ihrer Hilfe eine eigene Argumentation, sondern beschränkt sich auf mehr oder weniger sinnstiftende Zitat- und Aussagemontagen, die in ihrer Abfolge vielleicht so etwas wie eine Argumentation ergeben oder wenigstens demonstrieren sollen, dass sie zur Kenntnis genommen hat, was einschlägig ist und genannt werden muss.
Zudem finden sich erschreckende Mängel in der Verarbeitung und Durcharbeitung: Das fängt bei stilistischen Mängeln an, die teils die Wortwahl, teils Satzkonstruktionen betreffen. Der Unterschied etwa zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“ ist nicht ganz egal: In der in einem der Bände Hoffmanns abgebildeten Geburtsanzeige Hitlers ist nämlich das Geburtsjahr „anscheinend“ (und nicht „scheinbar“, wie Irrgang schreibt) später, vielleicht sogar für den Druck eingefügt worden. In der Fassung des Dokuments, die im Hoffmann Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek zu finden ist und die wohl als Vorlage anzusehen ist, ist jedenfalls das Jahr nicht zu erkennen. Auch eine Stadtansicht als Landschaftsfoto zu bezeichnen, ist wohl eher als Fehlgriff zu werten. Ob man 2020 immer noch von der „Machtergreifung“ Hitlers schreiben kann und damit einigermaßen unreflektiert den kraftmeierischen Gestus des Regimes beibehält, sei dahingestellt (auch wenn Irrgang ansonsten glaubhaft ihren Widerwillen gegen das Regime betont, hier hat sie sich überwältigen lassen).
Sätze können jedem fehlschlagen (wer spräche sich von solchen Fehlern frei), so etwas sollte aber bei der Druckvorbereitung korrigiert werden. So ist nicht ganz einfach zu verstehen, wie der folgende Satz gemeint ist: „Der Austausch von Bildern (…) weist ab der Auflage 401–420 Tsd. (…) eine zunehmende Häufigkeit auf“. Ob Irrgang irrtümlich „ab“ statt „bis“ geschrieben hat (handelt es sich doch um die letzte oder vorletzte Ausgabe des betreffenden Buches) oder einfach nur meinte, dass in dieser Auflage deutlich mehr Fotos ausgetauscht wurden als in einer Auflage des Jahres 1934, in der das 250. Tsd. erreicht wurde, muss offen bleiben.
Dieser Satz findet sich in Irrgangs Sichtung der Auflagen des Fotobuchs, in dem der langjährige Begleiter des Führers die Privatperson Hitler vorstellte: Hitler wie ihn keiner kennt, 1932 erstmalig erschienen, erreichte 1943 das 420. Tausend, nach Irrgang 1943/44 sogar das 448. Tsd. Damit dürfte der Band eines der erfolgreichsten Fotobücher der 1930er und frühen 1940er Jahre gewesen sein, also eine durchaus beachtenswerte Publikation, die über zehn Jahre am Markt präsent war und alle Entwicklungen und Brüche, die das Regime prägten, überlebte, mehr noch eine relevante Funktion in der Außendarstellung behauptete.
Was erstaunlich ist: Immer wieder waren in diesen Jahren frühere Vertraute Hitlers zu eliminieren, Ernst Röhm, Hanftaengl, Heß, was jederzeit auf den Band und seinen Fotografen hätte zurückfallen können. Auch dass sich ein blondes Mädchen, mit dem Hitler in frühen Fassungen vertraut plauderte, als mit den Rassegesetzen des Reiches nicht vereinbar erwies, war unangenehm, ließ sich aber anscheinend folgenlos korrigieren. Was eben auch heißt, dass die jeweils vorherige Auflage aus der Aufmerksamkeit verschwinden musste. Angesichts dessen, dass die früheren Auflagen nicht einfach weg waren, ist das ein aufschlussreiches Phänomen, das zur Reflexion einlädt.
Zwar schlägt Irrgang diese Einladung aus, dafür neigt sie ansonsten zu gewagten Thesen, die weniger abgeleitet, denn dekretiert werden.
Ein Beispiel: Eines der interessantesten Themen in der Fotobuchforschung ist das Verhältnis zwischen Rahmentext, Beschriftung und Fotografie, insbesonders im Zusammenhang mit der seriellen Anordnung von Fotografien im Fotobuch. Immerhin folgt hier Seite auf Seite mit Fotografien, mit denen selbst bei flüchtiger Betrachtung ein Gesamteindruck, mithin ein Narrativ des jeweiligen Gegenstands entwickelt wird. Freilich sind solche Narrative – weil visuell gefasst – begrifflich nicht leicht aufzufangen. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten bedienen sich deshalb lediglich des einleitenden Textes oder der Rahmentexte, denen jeweils Fotostrecken zugewiesen werden, und schließlich auch der Beschriftungen, mit denen sich Fotografien leichter einordnen lassen (und auch lassen sollen). Von Fotografien selbst werden zumeist nur ihre Motive genannt. Das fotografische Narrativ bleibt dann unentwickelt, wohl nicht zuletzt deshalb, weil Fotografien, obwohl sie in der Regel als visueller Beleg eingesetzt werden, unterdeterminiert sind (was wiederum auf die Funktion der Beitexte verweist).
Der selbstverständlichen Nutzung der begleitenden Texte in Fotobüchern steht aber deren geringe Problematisierung gegenüber (man sehe mir diese eigentlich unzulässige Generalisierung nach). Soweit das Verhältnis von Fotografie und Beschriftung in Arbeiten zu Fotobüchern überhaupt reflektiert wird, wird eine der einschlägigen Bemerkungen Walter Benjamins aufgenommen, etwa die, in der er die Beschriftung „zum wesentlichen Bestandteil der Aufnahme“ aufwertet. Vernachlässigt wird jedoch, dass Benjamin zwar mehrere solcher Bemerkungen macht, die sich verstreut in seinen Texten zur Fotografie finden, sie aber in keinem weiter ausarbeitet. Was also Benjamin mit dieser oder vergleichbaren Bemerkungen meinte, wird als selbstverständlich vorausgesetzt, aber eben nicht erläutert.
So weit kommt auch Irrgang in ihrem umfangreichen Abschnitt, in dem sie Hoffmanns Hitler wie ihn keiner kennt vorzustellen versucht. Statt nun aber das Verhältnis von Bildbeschriftung und Fotografie aufzuarbeiten, wie nun zu erwarten wäre, begnügt sich Irrgang mit einem Generalverweis auf Benjamin, den sie im nächsten Moment großzügig erweitert: Erkennbar sei die Bedeutung der Bildinschrift nämlich daran, dass sie „nicht nur die Lesart des einzelnen Bildes“ liefere, „sondern ganze Bildzusammenhänge“ generiere. Das ist als These nicht uninteressant, und wäre am Exempel zu belegen. Irrgang aber lässt – je nach Belieben – den Beitext entweder fallen oder interpretiert ihn derartig weitläufig, dass der Bezug zwischen Text und Bildinschrift sich weitgehend auflöst.
Zu sehen sei das nämlich an einer Fotografie Hitlers, die am Anfang des Bandes steht und den Titel Die Peitsche trägt, dem eine „dezidierte Erläuterung“ beigegeben werde. Die Fotografie zeigt, (der Band enthält leider keine Fotos, diese sind in einer kleinen Auswahl auf einer website zu finden) Hitler in einer Frontalansicht im geschlossenen Trenchcoat, zur Seite blickend (wie Irrgang betont in Leserichtung) und eine Peitsche mit beiden Händen auf Hüfthöhe haltend. Das Foto ist nach Angaben des Heinrich Hoffmann Archivs der Bayerischen Staatsbibliothek 1932 (Irrgang datiert auf 1923) entstanden, offensichtlich im Atelier. Darunter findet sich der Bildtitel und eine weiter reichende Erläuterung, auf die Irrgang allerdings nicht eingeht. Sie wird in einer Fußnote lediglich mitgeteilt.
Statt dessen werden „Foto und Bildunterschrift“ im ersten Schritt „als Erinnerungsmoment“ der Frühzeit der Bewegung charakterisiert, im zweiten wird betont, dass dieser Erinnerungsmoment auf die „Konzeption des Bildbandes“ deute, der sich seinerseits wiederum (zum dritten) nicht nur „aus der Bewegung“ „mit Hitler als Hauptmotiv“ entwickelt habe, sondern, viertens, auch „auf dem Prinzip der Bewegung“, fünftens, „ja auf fotografischen Abfolgen“ basiere und damit schließlich – sechstens – auch noch einen „kinematografischen Aspekt“ aufweise.
In diesem einigermaßen komplizierten Satz soll wohl eine Koinzidenz zwischen Einzelbild, politischer Bewegung und der Inszenierung Hitlers im Fotobuch hergestellt werden, was letztlich mit dem seinerzeit modernsten Massenmedium, dem Kino, in Verbindung gebracht wird. Die Mühe aber, diese Verbindung nachvollziehbar herzustellen, macht sich Irrgang nicht: Schon die Frage, wie diese Fotografie aus dem Jahr 1932 als „Erinnerungsmoment“ der „Frühzeit der Bewegung“ funktionieren soll, bleibt offen, sie behauptet dies lediglich. Die Fotografie selbst bietet eine solche These auch nicht an. Als Anknüpfungspunkt ließe sich lediglich der Beitext in Anspruch nehmen, den Irrgang aber in eine Fußnote verbannt und unerläutert lässt. Dort wird zwar darauf verwiesen, dass die Peitsche (wohl) nach dem missglückten Putsch von 1923 Hitlers einzig verbliebene Verteidigungswaffe gewesen sei – was man als Erinnerung verstehen kann. Die politische Bewegung wird aber im Beitext nicht aufgenommen, der Text fokussiert auf den auf sich selbst gestellten Hitler, der in der Fotografie analog vorgestellt wird. Blick und Haltung mögen Aufmerksamkeit und Wehrbereitschaft signalisieren, die Aufnahme verweist aber eben nicht auf Bewegung weder im politischen noch im fotografischen Sinn. Soll heißen, die Überleitung vom Standbild über die politische „Bewegung“ zu „fotografischer Abfolge“ und zum Filmischen wird nicht abgeleitet oder wenigstens als These präsentiert, sondern gesetzt. Die Erkenntnis, die das Foto in der Verfasserin der Studie ausgelöst haben mag, bleibt als vermeintliches, sich selbst erklärendes Denkbild stehen, das irgendwie zusammengefügt worden ist, ohne dass die Übergänge in irgendeiner Form begründet worden wären. Auch scheint der Ausgangspunkt, nämlich Benjamins Diktum von der Bildinschrift als dominantes Element, aus dem Blick geraten zu sein. Was kein Schaden ist, da wenige Seiten später – immer noch im Kontext der Abhandlung zu Hoffmanns Hitler wie ihn keiner kennt – sogar das Gegenteil betont wird: „Schnell wird an dieser Stelle deutlich, dass der Inhalt der Bildunterschriften im Vergleich zu den Bildern nur sekundäre Aussagekraft besitzt.“ Die Behauptung, dass Bildbeschriftungen „nicht nur die Lesart des einzelnen Bildes“, „sondern ganze Bildzusammenhänge“ generieren würden, wird also gleich wieder kassiert.
Aber auch ein Narrativ, das den gesamten Band umfasst und auf den Fotografien basiert, wird nicht geliefert. Stattdessen arbeitet sich Irrgang durch die einzelnen thematischen Abschnitte, ohne auch nur ansatzweise ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Selbst die Anamnese der Varianten von 13 Auflagen zwischen 1932 und 1943, die sie gesichtet hat, führt lediglich zu der Vermutung, dass die Tilgung von Personen wie Ernst Röhm oder Rudolf Heß aus dem Band den „Akt des Eliminierens von Personen kenntlich machen“ soll.
Eine Idee zur Gesamtkonzeption dieses Bandes, mit der der Privatmensch Hitler wie auch immer und zu welchem Zweck auch immer präsentiert werden soll, bleibt unausgearbeitet, was zu bedauern ist. Immerhin erscheint der Band zu einer Zeit, zu der die Umwandlung des Anführers einer kleinen völkischen Partei aus München, Adolf Hitler, zum unbestrittenen Führer von Partei, Reich und Volk der Vollendung nahte. Weshalb Hitler zu diesem Zeitpunkt der öffentlichen Präsentation seiner „menschlichen“ Seite (Hitler mit Hund auf Bergwiese, mit Mädchen beim Kaffee und Zeitung lesend in der Haft etc.) zustimmen sollte, mehr noch sie für mehr als zehn Jahre als politisch geboten und hilfreich angesehen haben muss, wäre dringend wenigstens thesenhaft zu klären. Was leider nicht geschieht.
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