Macht und Ohnmacht

Im Roman „Verbrannte Sonne“ erzählt Elvira Dones mit roher Härte von Frauenhandel und mafiösen Strukturen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Leiche kehrt zurück. Ein Vater begleitet seine Tochter auf ihrer letzten Reise über das adriatische Meer zurück ins von Bürgerkriegswirren geplagte Albanien. Es sind die 1990er Jahre, der schreckliche Hodscha-Kommunismus hat einer Mafia Platz gemacht, die sich im Land nimmt, was sie will, um ihren Profit daraus zu machen. Eine der besten Handelswaren sind Frauen, die verschleppt, gefügig gemacht und zwangsprostituiert werden. Frauen wie Leila, die als Leiche mit ihrem Vater heimkehrt. Sie ist verstummt, in Elvira Dones‘ Roman erzählt aber ihre Seele, wie dieses brutale Geschäft funktioniert. 

Verbrannte Sonne ist ein stellenweise schwer erträgliches Buch. Schonungslos direkt legt es den Finger auf eine gesellschaftliche Wunde, die gerne übersehen und verdrängt wird. In einzelnen Szenen erzählt Dones, wie Frauen von Dortunten nach Dortoben gehandelt werden, wo man sie mit Drohungen und Schlägen für ihren Alltag auf dem Straßenstrich abrichtet. Das Business läuft. Die Spirale aus Gewalt und Opfern dreht sich immer weiter, weil stets neuer, frischer, jungfräulicher Nachschub benötigt wird. Damit steigt auch die Konkurrenz und es mehren sich die geschäftlichen Risiken, mit denen sich Zuhälter und Clanchefs auseinandersetzen müssen. 

Elvira Dones beleuchtet, ausgehend vom Schicksal einiger Zwangsprostituierten, die Konstellationen und Aspekte dieses lukrativen Geschäfts und formt daraus das bruchstückhafte Porträt einer kaputten Gesellschaft. Quälend an ihrem Buch ist das Thema ebenso wie die kompromisslose Härte, mit der sie eine widerwärtige Seite des Menschen hervorkehrt. Die Täter: Männer, Cousins, Geschäftsleute und willige Mitläufer. Sie machen sich die unsicheren Verhältnisse im „Dreckloch“ Dortunten mit frauenverachtender Brutalität zunutze. Ihnen gegenüber stehen die Opfer: Frauen, Mütter, Schwestern und mit ihnen auch viele Väter, die an der eigenen Schwäche verzweifeln, weil sie ihre Familie nicht ernähren, dem Machokult nicht entsprechen können. Auf der Täterseite vergisst Dones aber auch all jene Frauen und wohlhabenden Gattinnen nicht, die getrost über das schmutzige Geschäft ihrer Ehemänner und Freunde hinweg schauen. Und sie rückt die Freier mit ins Bild, die Dienstleistungen von der Straße beziehen, die Ärzte und Polizisten, die sich fürs Wegsehen willig bezahlen lassen. 

Der Alltag hüben wie drüben ist geprägt von Verwerfungen, die mitten durch die Gesellschaft gehen und ihre Wurzeln in der Armut ebenso wie in der Gleichgültigkeit haben. Vor allem in Dortunten ist die Welt nach dem Sturz der Diktatur durcheinandergeraten. Die Jungen haben Träume nach einem guten Leben, sie möchten konsumieren, tanzen, studieren. Sie möchten sich aus der dumpfen Enge der Erwachsenen befreien. Doch erstens hat die Transformation nur für ein paar wenige Wohlstand und Arbeit gebracht, darüber täuschen Importkleider und farbenfrohe Medien nicht hinweg. Und zweitens hat der Epochenwandel weder die alte Machokultur und die mafiösen Hierarchien noch die archaischen Gesetze des Kanuns zum Verschwinden gebracht, worunter speziell die Frauen zu leiden haben. 

Verbrannte Sonne schrieb Dones 2001 auf Albanisch. Sie stimmt darin ein Thema an, das sie in späteren Büchern, die auf Italienisch entstehen, variiert. Die gebürtige Albanerin setzt sich seit zwanzig Jahren intensiv in Büchern und Dokumentarfilmen mit ihrer Heimat auseinander. In Hana (dt. 2016) erzählt sie von einer jungen Frau aus den nordalbanischen Bergen, die elternlos aufwächst. Als der sie behütende Onkel eine Ehe arrangieren will, damit sie sicher versorgt sei, entscheidet sie sich für ein Leben als „Schwurjungfrau“. Als Preis für die ewige Jungfräulichkeit erhält sie den Rechtsstatus eines Mannes verliehen. Nach dem Mauerfall versucht sich Hana in den USA von dem Gelöbnis, das einem alten Brauch geschuldet ist, schmerzhaft zu befreien. In Kleiner sauberer Krieg (dt. 2018) dokumentiert Dones literarisch, wie sich drei Frauen 1999 im von den Serben besetzten Pristina gemeinsam gegen den demütigenden Terror der serbischen Besatzer behaupten und den Krieg mit Würde überstehen. 

Bei aller Direktheit, die ihre Bücher auszeichnen, enthalten sie stets auch widerstreitende, zuweilen geradezu verwirrende Momente. In Verbrannte Sonne sind es vor allem die Beziehungsmuster, die Dones subtil herausarbeitet. Wegen gesetzlicher Verbote geben sich die Zuhälter und ihre Frauen als Paare aus. Das ändert für letztere nichts an den Schlägen und der demütigenden Ausbeutung, die Männer aber möchten nicht nur gefürchtet, sondern auch geliebt werden. Ihrem Tagebuch, das Leila heimlich zu schreiben beginnt, vertraut sie an, wie die sachliche Zurückweisung von Liebe und Zärtlichkeit ihren Zuhälter vor Wut zum Weinen bringt. „Er hat mir die Hoffnung gestohlen und sie begraben. Ich werde Ihm meine Seele stehlen, von der Er meint, dass Er sie in Seiner Faust hält, ich werde sie Ihm heimlich wegnehmen und unter Verschluss halten.“ 

Leila ist eine kluge Frau, die sich ein Leben als Designerin erträumt hat. Gegen ihren Willen entführt und gedemütigt wehrt sie sich mit ihrem letzten Mittel, dem Erzählen. Aller Grausamkeit zum Trotz hat sie sich eine wache Beobachtungsgabe bewahrt. Sie erträgt ihre Gefangenschaft, weil sie sich dem Tagebuch anvertrauen kann. Woher, fragt sie darin, „nimmt diese Bande von Zuhältern all diese Grausamkeit“. Mit feinem Sensorium erkennt sie die Bruchlinie. Auch ihre Quäler sind im Grunde ohnmächtig. Die Frauen wie Leila werden gebrochen, doch ihre Seele bleibt heil. Sie betrügen sich nicht selbst, auch wenn die Solidarität untereinander nicht immer leicht fällt. 

Elvira Dones schildert mit psychologischem Gespür die versteckten Kämpfe in den unterschiedlichen Beziehungen. Das männliche Gebaren erzeugt auch innerhalb der Gruppe der Zuhälter für eine strittige Hierarchie, wobei jene mit der „ungehobelten Proletensprache“ unterliegen. Vor allem aber erweisen sich die falschen Paarbeziehungen als atmosphärische Kippmomente. Der durch den Frauenhandel reich gewordene Aranit, der sich zuhause eine nur vordergründig ideale Familie hält, erleidet bei jedem Stelldichein mit seiner Geliebten Ana eine seelische Niederlage. Ihre professionelle Dienstfertigkeit demütigt seine romantischen Hoffnungen, die Drohung, er sei ihr Arbeitgeber, vermag dagegen rein gar nichts auszurichten. Sie erledigt gekonnt ihre Arbeit, alles andere ist nicht käuflich. Zwischen den Szenen, die die brutale Ausbeutung beschreiben, verleihen solche Mikrobeobachtungen dem Buch eine Differenziertheit, mit der es den vermeintlich gut bekannten Klischees entkommt. Der abgewiesene Aranit rettet sich in seine geordnete Familie, Leilas Zuhälter dagegen schlägt zu. Gegen subtile Demütigungen sind die Männer machtlos. Sie haben die Kraft, die innere Macht aber liegt bei den Frauen. Diese Macht zeigt sich letztlich darin, dass die Frauen den Widerstand wagen. In diesem Punkt zündet der Roman am Ende immerhin einen Funken Hoffnung. 

Ihre Solidarität mit den Frauen macht sich Elvira Dones nicht leicht, die Hoffnung ist gefährlich und verspricht nur punktuell Erfolg. Aber sie lässt den Protagonistinnen ihr einziges Mittel, um sich zu schützen: nüchtern zu reflektieren und festzuhalten, was ihnen widerfährt. Leila wird zur Fürsprecherin der Zwangsprostituierten von Dortunten – dafür bezahlt sie mit dem Leben. Sie wird aber nicht, wie andere, brutal umgebracht, sondern setzt ihrem Leben selbst ein Ende – ihre letzte Freiheit. „Ich habe keine Kraft mehr und ich kann nicht mehr kämpfen. Besser so.“ So bleibt ihre Seele unversehrt. Das ist der kleine Trost, den uns Elvira Dones in ihrem unbarmherzigen Buch lässt.

Titelbild

Elvira Dones: Verbrannte Sonne. Roman.
Aus dem Albanischen von Florian Kienzle.
INK Press, Zürich 2020.
440 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783906811130

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