Selbsternannte Krieger der „Mannosphäre“
Über Susanne Kaisers Buch „Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFür den selbsternannten „Supreme Gentleman“, also „Obersten Herrn“, wurde der 23. Mai 2014 zum langersehnten „Tag der Vergeltung“. Schwer bewaffnet zog Elliot Rodger im kalifornischen Isla Vista los, um sich an all den Studentinnen zu rächen, die ihn so verächtlich zurückgewiesen hatten. Schließlich war es ihre Schuld, dass der 22-Jährige auch nach zweieinhalb Jahren College noch nicht ein einziges Mal geküsst worden war. Jetzt sollten sie dafür büßen, dass sie ihm sein Recht verweigerten, sich sexuell auszuleben, wie er in einem Manifest erklärte. Am Ende dieses Tages waren sieben Menschen tot, darunter der Attentäter selbst, 13 weitere waren verletzt.
Auf den ersten Blick erscheint Rodgers „Krieg gegen die Frauen“ wie der Amoklauf eines offenkundig psychisch gestörten Einzelgängers. Für Susanne Kaiser greift diese Sichtweise aber zu kurz. Die Journalistin sieht in Elliot Rodger vielmehr den archetypischen Vertreter einer neuartigen Form von Rechtsterrorismus. Dieser zeichne sich durch seinen Hass auf moderne, selbstbewusste Frauen aus. Kaisers These lautet, dass man Anschläge wie den von Elliot Rodger als Akte politischer Gewalt verstehen müsse.
Richtig ist, dass sich misogyne Motive selbst dort finden, wo es den Tätern auf den ersten Blick um anderes ging. Wie bei dem Attentat auf die Synagoge in Halle 2019, bei dem der Antisemit Stephan B. an der Eingangstür scheiterte. Stattdessen erschoss er eine Passantin, die das Ganze wohl für einen Karnevalsscherz gehalten hatte. Das war er aus seiner Sicht wohl schon seinen Zuschauern im Internet schuldig, denn wie andere Attentäter vor ihm übertrug auch Stephan B. seine Gewalttat via Livestream, als eine Art reales Computerspiel. Für den 28-Jährigen, der arbeitslos bei seiner Mutter lebte, waren Frauen, neben Juden und Flüchtlingen, diejenigen, die in seinem rassistisch-misogynen Denken für alle Übel dieser Welt verantwortlich waren.
„Incel“ – so nennt sich eine brisante Internet-Subkultur, in deren Gedankenwelt Susanne Kaiser in ihrem Buch eintaucht. Das Wort ist zusammengesetzt aus involuntary celibate, also unfreiwillig zölibatär lebend. In einschlägigen Foren versammeln sich frustrierte oder gekränkte Männer, die sich als Opfer des Feminismus sehen. Man ergeht sich in Selbstmitleid und Frauenhass und ergötzt sich gemeinsam an Gewaltfantasien. In der „Mannosphäre“, wie diese Forenwelt sich nennt, gibt es klare Kategorien: einerseits die attraktiven, selbstbewussten Frauen, die sogenannten „Stacys“, und ihre männlichen Pendants, die „Chads“, die starken Alphamänner. Und dann die „Betas“, wie sich die „Incels“ selbst nennen. Diese wollen die bestehende Gesellschaftsordnung jedoch zu ihren Gunsten umstürzen und feiern einstweilen ihre Helden und Märtyrer wie Elliot Rodger. Dass dessen Nachfolger wie Stephan B. ihre Gewalttaten live ins Internet übertragen, deutet Kaiser als Zeichen dafür, dass in der Incel-Ideologie Realität und Virtualität die Rollen getauscht haben:
Auf der einen Seite werden Verschwörungstheorien geteilt und in der Echokammer der Mannosphäre so weit verstärkt, dass sie Allgemeingültigkeit erlangen. Der Feminismus etwa wird auf diese Weise zu einer gesellschaftlichen und politischen Macht verklärt, deren Vertreter enormen Einfluss auf Regierungen und die Wirtschaft ausüben. Auf der anderen Seite wird mit der materiellen Wirklichkeit umgegangen, als wäre sie ein Spiel.
Susanne Kaiser plädiert überzeugend für eine angemessenere Sichtweise auf diese Online-Subkultur. In ökonomisch immer unsichereren Zeiten befinde sich die Männlichkeit mehr denn je in einer Krise, daher suchten viele gerade junge Männer Orientierung in reaktionären Vorstellungen von einer angeblich „natürlichen“ Ordnung der Geschlechter.
Die Journalistin betrachtet die hier stattfindende Politisierung von Männlichkeit zudem in einem breiteren Kontext. Denn ihr ideologisches Rüstzeug holen sich die „Incels“ bei Männerrechtlern, die gegen den sogenannten „Gender-Wahn“ ins Feld ziehen und Frauen das Recht auf Abtreibung oder sexuelle Selbstbestimmung absprechen.
Und politisch sympathisiert diese Online-Subkultur mit den rechtspopulistischen, autoritären Regierungen in Ländern wie Polen oder Ungarn oder, natürlich, mit Donald Trump. Die Übergänge von der „Incel“-Ideologie zu der weißer Nationalisten sind dabei fließend, die Anknüpfungspunkte, auch zum Denken evangelikaler Christen oder hierzulande der AfD, zahlreich. „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken“, fordert zum Beispiel Björn Höcke vom deutschen Mann.
Szenebeobachter halten daher den Traum vieler junger Männer von einer Welt, in der Frauen endlich wieder wissen, wo ihr Platz ist, mit gutem Grund für eine „Einstiegsdroge“ in die rechte Szene. Schon deshalb ist Susannes Kaisers Buch Politische Männlichkeit eine ebenso wichtige wie hochaktuelle Analyse.
|
||