Chevalier in Frauenkleidern
Irene Disches Roman „Die militante Madonna“ über einen Adligen, Königsvertrauten und Transvestiten
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Ich wollte ihn hinters Licht führen, wie ich alle Menschen hinters Licht führte“, lässt Irene Dische ihre Romanhauptfigur Chevalier d‘Eon de Beaumont sagen. Der Protagonist ist eine reale Figur aus der Geschichte, lebte von 1728 bis 1810, war ein enger Vertrauter des französischen Königs Ludwig XV und der wahrscheinlich erste bekennende Transvestit.
Die überwiegend in Berlin lebende amerikanische Schriftstellerin Irene Dische, die 1989 mit ihren Erzählungen Fromme Lügen hierzulande den Durchbruch geschafft hatte, lässt „ihren“ Chevalier d‘Eon aus dem 18. Jahrhundert in unsere Gegenwart schauen und kritisch, manchmal leicht süffisant kommentieren. Dische, die zuletzt den etwas langatmig geratenen Roman Schwarz und Weiß (2017) vorgelegt hatte, verbindet die umfangreichen, hinterlassenen Aufzeichnungen des Chevalier mit ihrer eigenen Fantasie. Herausgekommen ist eine verwegene Mischung aus Fakten und Fiktion, die die aktuelle öffentliche Gender-Diskussion noch einmal befeuern dürfte.
Gottlob haben wir es hier aber nicht mit einem Thesenroman zu tun. Irene Dische verpackt alle Aspekte der Diversität im punktuell und durchaus unterhaltsam rekonstruierten Lebenslauf des Adligen, der damit spielte, seine Zeitgenossen zu verwirren, der im Nu seine stolze Uniform gegen aufgeplusterte Frauenkleider tauschte und der in Fechtduellen ebenso zu glänzen verstand wie bei heimeligen Konversationen am Kamin oder als feinsinniger Dichter.
Mit spürbarer Sympathie zeichnet uns Irene Dische das Bild eines Chamäleons – treuer Gefolgsmann des Königs, feinsinniger Bücherfreund, bisweilen aber auch egozentrischer Intrigant. Als Botschafter in London und als eine Art Agent in Russland liebte es der Protagonist, Klatsch und Tratsch zu entfachen und weiterzutragen. Eifersüchteleien pflastern seinen abenteuerlichen Lebensweg zwischen Schein und Sein. Irene Dische lässt ihn konstatieren: „Am kultiviertesten Hof der Welt kleideten sich die Männer wie Frauen und die Frauen wie Männer, und niemand regte sich über solche Kinkerlitzchen auf.“
Durch veränderte politische Machtverhältnisse in seiner Heimat Frankreich verbrachte der Chevalier den Großteil seines Lebens in England, wo er ab 1763 als Exilant unter weiblicher Identität lebte. In einer Mischung aus Spott und Zorn lässt die Autorin den einstigen Intimus des französischen Königs auf die heutige Zeit blicken: „Zweihundertfünfzig Jahre nach meiner Zeit glauben Sie offenbar, Sie hätten die Wahlfreiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein.“ Auf den realen Chevalier geht der Begriff des „Eonismus“ zurück, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Psychologie etablierte und sich mit dem Transvestiten-Dasein beschäftigt.
Der Chevalier Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d’Éon de Beaumont (wie er mit komplettem Namen tatsächlich hieß) spukt wie ein Gespenst durch die Buchseiten – mal zynisch, mal arrogant und herablassend. So richtig warm wird man mit dieser Kunstfigur nicht, die von sich behauptet, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht hätte, ob sie ein Mann oder eine Frau gewesen sei. Manches Statement des Chevaliers driftet ab auf Kalauerniveau, liest sich wie ein Thekenwitz ohne Tiefgang. Dies ist (ob gewollt oder ungewollt sei dahin gestellt) der komplizierten, aber künstlerisch durchaus reizvollen Konstruktion des historischen Kommentators der kontroversen zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskussion über sexuelle Diversität geschuldet.
Und dennoch hat Irene Dische, die im Februar ihren 70. Geburtstag feiert, einen spannenden und darüber hinaus federleicht erzählten Roman vorgelegt, in dem sie in ihrem eigenen Rhythmus zwischen Geschichte und Gegenwart hin- und herhüpft. „Kann man denn nicht lachend auch sehr ernsthaft sein?“, fragte Lessing schon in Minna von Barnhelm.
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