Ein Werkzeug spricht

Einige Anmerkungen zu Frank B. Wilderson III: „Afropessimisus“ behauptet das Ende von Politik im Verhältnis von Schwarz und Weiß

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann man mit diesem Text, mit diesen Thesen diskutieren, kann man ihnen widersprechen? Wohl kaum. Angesichts des Anspruchs Frank B. Wildersons III in dieser Schrift, die mit ihrem Titel – Afropessimismus – bereits klar Position bezieht, wäre auch alles andere verwunderlich. Denn Widerspruch kann es nicht geben, von welcher Seite auch immer, und erst recht nicht von Seite eines europäischen Weißen, der am Ende auch noch als unrettbarer Liberaler auf Gleichberechtigung oder so etwas wie Menschenrechte setzt. Dabei würde Wilderson bereits an dieser Stelle einhaken und darauf verweisen, dass aus seiner Sicht Menschenrechte auf Schwarze allein deshalb nicht anwendbar sind, weil sie eben keine Menschen sind, sondern auf dem Status von Sklaven und damit von, um eine von Karl Marx entlehnte Wendung aufzunehmen, „sprechenden Werkzeugen“ verharren. Werkzeuge haben aber keinen rechtlichen Status, sondern sind der Verfügungsgewalt derer, die sie handhaben, ausgesetzt.

Wildersons Prämisse ist also, dass sich im Verhältnis zwischen Schwarzen und allen anderen Menschen bis heute das Verhältnis von Sklavenhaltern und Sklaven abbildet, und das auf allen Ebenen, gesellschaftlich, politisch, im Alltag – in jeder banalen Situation. Der Schwarze ist „sozial“ schlichtweg immer schon Gegenstand, immer schon „tot“. Blackness und Slaveness sind identisch, betont Wilderson. 

Dieses Verhältnis ist nicht nur gegeben, es ist zugleich unhintergehbar und unabänderlich, denn der Status von Schwarzen als Sklave ist für die Konstitution einer funktionierenden Gesellschaft zwingend. Und zwar nicht, weil Schwarze etwa als Arbeitskräfte oder als politische Stimme den wirtschaftlichen oder politischen Erfolg des Systems garantieren, sondern weil sie Antipode von menschlicher Gesellschaft überhaupt sind. Das unterscheide Schwarze im Übrigen von anderen nicht-weißen Menschen, deren Status zwar ungesichert und deren Existenz – etwa als Einwanderer – gefährdet sein mögen, die aber stets als Horizont die Anerkennung in und von Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen können. Schwarzen ist das verwehrt. 

Der so skizzierte Status von Schwarzen unterscheidet sie zudem grundsätzlich von sozialen Gruppen, die innerhalb des sozialen Systems unter Diskriminierung, Unterdrückung oder gewalttätigen Übergriffen leiden, neben People of Colour oder Migranten unterschiedlicher Provenienz etwa Frauen, Arbeiter, queere Personen, politisch oder aus religiösen Gründen Verfolgte. Zwischen ihnen und Schwarzen gibt es keine Schicksalsgemeinschaft und keine Solidarität, nicht zuletzt, da Schwarze nicht Teil der Gesellschaft sind, sie sind nicht einmal Menschen, sie sind nur Gegenstände, Werkzeuge.

Gewalt gegen Schwarze ist deshalb immer erlaubt, gegen andere soziale Gruppen nur dann, wenn sie gegen Regeln verstoßen oder sie mit den dominanten Gruppen in Gesellschaft um Ressourcen konkurrieren. Mehr noch, sie ist geboten – und zeigt sich als exzessive Gewaltpraxis –, da sie die Projektionsfläche des menschlichen (eben nicht-schwarzen) Begehrens sind. Gewalt gegen Schwarze ist deshalb „keine Form von Diskriminierung“, sondern „notwendige Gewalt“, es handelt sich nicht um Exzesse einer ansonsten pazifizierten Gesellschaft, sondern um „sadistische Rituale“, um ein „sadomasochistisches Vergnügen“, es ist ein „vorlogischer Gewaltsumpf“ – konsequent gedacht handelt es sich nicht einmal um Gewalt, da Gewalt den ihr Ausgesetzten als Menschen anerkennen würde. Das aber ist bei Schwarzen eben nicht und ist nie der Fall, so Wilderson.

Bereits an dieser Skizze des afropessimistischen Ansatzes wird erkennbar, dass dessen Auflösung ohne weiteres nicht möglich sein wird. Mehr noch, konsequent führt Wilderson seine Überlegungen bis zu der Frage weiter, ob diese basale Struktur überhaupt veränderbar ist – um dies grundsätzlich zu verneinen. Die Alternative des nichthumanen Status des Schwarzen ist nicht deren Aufhebung, ist keine egalitäre Gesellschaft, sondern – nichts. Der Afropessimismus, zuende gedacht, kennt keine Utopie, keinen Gegenentwurf, und kennt deshalb auch keine strategischen Partnerschaften von Unterprivilegierten. Er stellt die Geschichte und ihren vermeintlich offenen Horizont mit einem Mal still und entlässt den Lesenden aus dieser Lektüre ohne Option, ohne Hoffnung, ohne Handlungshinweis, von Handlungsanweisungen ganz zu schweigen. Gesellschaft steht, wenn sie mit der Lösung der Diskriminierung von Schwarzen konfrontiert werden soll, am Abgrund – es gibt kein Jenseits, keine Lösung.

Das ist mithin auch der Grund, weshalb alle Diskussionen mit dem Afropessimismus fruchtlos sind, denn sie können letztlich nur darauf abzielen, die Anamnese zu bestätigen und weiteres Material dafür beizubringen. Einwände sind nicht möglich, knapp gesagt, mit dem Unterbewussten, das diese Struktur, die das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen bestimmt, perpetuiert, kann man nicht diskutieren.

Der afropessimistische Ansatz ist für einen Autor, der sich nicht nur in den zugleich antikapitalistischen und schwarzen Initiativen der 1970er Jahre engagiert hat, sondern der auch, ausgewandert nach Südafrika, in den 1980er Jahren als ANC-Kader aktiv war, ein auffallendes Attest – wenn man das Denkmuster Wildersons aufnimmt, die Kontrafaktur des Marsches durch die Institutionen, mithin des Wiederanpassungsprozesses auch seiner Zeit- und Kampfgenossen nach der Hochphase der politischen Auseinandersetzungen. Afropessimismus ist eingestandenermaßen das Resultat eines Prozesses, der bis zur Erkenntnis geführt hat, dass Schwarze und Weiße bis heute nicht aus der Plantagensituation entkommen sind, nicht zuletzt, weil dieses Verhältnis im Wesentlichen ahistorisch ist. Lediglich in zwei knappen Passagen nimmt Wilderson überhaupt nur auf historische Prozesse Bezug, die dem Sklavenverhältnis vorgeschaltet sind, um letztlich doch Unwandelbarkeit der Struktur zu betonen. Dies wird freilich nicht als resignativer Desillusionierungsprozess beschrieben, sondern als Prozess, der zur einzig möglichen Erkenntnis führt, wenn denn die Phänomene und Strukturen ernsthaft analysiert werden: Wenn Schwarze und Weiße miteinander reden, sprechen bis heute Sklavenhalter und Sklave miteinander, aus dieser Konstellation gibt es kein Entkommen. Anders gewendet, dies ist das Denk- und Interpretationsmuster, mit dem Wilderson alle Konstellationen, Erfahrungen und Ereignisse zwingend liest, in denen Schwarze Weißen ausgesetzt sind, direkt oder indirekt.

Nun ist es auffallend, dass die theoretischen Passagen dieses Bandes sich auf wenige Seiten konzentrieren, der Rest dieser rund 400 Seiten wird von biografischen Erzählungen Wildersons gefüllt. Eine Theorie des Afropessimismus wird mithin nicht aus der abstrahierenden und generalisierenden Reflexion entwickelt, sondern aus der persönlichen Erfahrung des Autors. Der ist vielleicht nur bedingt zu vertrauen (weil autobiografischen Erzählungen in keinem Fall bedingungslos vertraut werden kann, dafür sind sie zu stark dem Darstellungsinteresse des Verfasser verpflichtet – ein Blick in die Autobiografie-Theorie ist da sehr aufschlussreich), angesichts der verschreckenden Erfahrungen, die Schwarze nicht allein in den USA bis heute machen müssen und die von einer enormen, von rationalen Beweggründen nicht ableitbaren Gewaltbereitschaft von Weißen gegenüber Schwarzen zeugen, erhält die subjektive Wahrnehmung schwarzen Alltags jedoch ein starkes Gewicht. An ihr ist nicht vorbeizugehen. Und auch wenn das Gezänk um die Zulässigkeit von Negerküssen und Mohrenstraße, die die deutsche Diskussion zu bestimmen scheint, im Vergleich dazu ein wenig banal wirkt, auch angesichts konkreter Gewalt gegen Schwarze in Deutschland), verweisen die immer wieder aufgebrachten Fälle auf eine hartnäckige Abweisung eines einigermaßen respektvollen Sprachgebrauchs, wenn nicht auf die chronisch persistierende Diskriminierung Schwarzer. Gewalt gegen Schwarze und zwar täglich erfahrbare, wenigstens aber drohende Gewalt hat eine Dimension, deren Fatalität die Vorfälle in den USA in aller Deutlichkeit zeigen. 

So unbegreiflich die Selbstverständlichkeit erscheint, mit der Gewalt gegen Schwarze (freilich auch gegen andere Unterprivilegierte) ausgeübt wird, so wenig ist Wildersons basaler Ansatz des Afropessimismus ohne seine persönliche Geschichte denkbar. Und diese ist eben – gerade in der von ihm präsentierten, notwendigerweise gestalteten und zugerichteten Variante – von einem spezifischen Wahrnehmungsmuster geprägt, das in allem zwingend das Verhältnis von Sklave und Sklavenhalter sieht, und unter anderem daneben keine andere Wahrnehmung mehr zulässt. Das lässt sich nachvollziehen, erscheint aber zugleich der Frustration geschuldet, dass das gesamte politische Engagement dieser Person, „Frank B. Wilderson III“, gegen das politische Establishment in den USA, gegen das Apartheid-Regime, gegen Kapitalismus und Rassismus nicht gefruchtet hat. Das Apartheid-System mag zwar gefallen sein, aber der Kapitalismus ist vitaler denn je, das Klassensystem lebt weiter und ist unterzogen von einer rassistischen Basalstruktur, dessen Unterwerfungscharakter alle anderen Unterdrückungsformen übertrifft, nicht zuletzt durch seine Unabänderlichkeit. 

Allerdings tragen die Geschichten in ihrer Durchgängigkeit die afropessimistische Auslegung nicht einmal wirklich. Sie zeigen die Hartnäckigkeit, mit der Weiße gegen Schwarze übergriffig werden, sie zeigen aber eben auch, wie ihre strikte Auslegung im schwarz-weißen Antagonismus selbst den Protagonisten dieser großen Erzählung vom Fortbestand der Plantagenstruktur in ihren Bann zieht.

Das lässt sich etwa an der Geschichte um die hysterische Flucht Wildersons mit seiner damaligen Lebensgefährtin Stella vor den möglichen Bedrohungen zeigen, die ihnen von allerlei Seiten drohen: von einer übergriffigen, weißen Nachbarin mit Zugriff zu radioaktiven Stoffen, vom Hausmeister des Wohnblocks, in dem sie leben, der merkwürdige Sachen mit der Heizungsanlage anstellt, von durchgeknallten weißen SUV-Fahrern mit Waffen, mit denen das Paar sich Verfolgungsjagden auf irgendwelchen Highways liefert, vom FBI, von anderen Bundesbehörden, gegen die seine Freundin ein Verfahren wegen Korruption angeleiert hat, und vielen anderen mehr. Denn ob sich in dieser Fluchtgeschichte das von Wilderson attestierte Verhältnis von Schwarzen und Weißen zueinander findet, oder ob sie vor allem die hysterisierte Reaktion zweier schwarzer Aktivisten zeigt, die sich von Bedrohungen von allen Seiten umzingelt meinen, hängt im wesentlichen von der Entscheidung ab, für was sie stehen soll. Auffallend ist auch, dass die Geschichte der Flucht der beiden irgendwann einfach fallengelassen wird, sie nicht auserzählt wird. Sobald sie ihren Dienst getan haben soll, gibt es keinen Grund mehr, sie fortzuführen: Es wird für beide immer schwieriger, bei irgendeinem der alten politischen Kontakte Stellas Zuflucht zu finden, weil sie alle irgendwie ihren Frieden mit dem System gemacht haben und – im Großen und Ganzen – weiß sind. Und damit endet das, was Wilderson erzählenswert scheint, weil sie genau was hinreichend deutlich gezeigt hat? Zehn Jahre später und drei Jahre nach der Trennung von Stella ist Wilderson mit einer Südafrikanerin verheiratet und emigriert nach Südafrika. Was ihn vor weiteren Enttäuschungen nicht bewahrt.

So gesehen ist das theoretische Konstrukt Afropessimismus und der Band, der dessen Titel trägt, das Resultat weniger einer theoretischen Reflexion als einer autobiografischen Zurichtung, an deren basaler Berechtigung man nicht einmal zweifeln mag. Und dennoch zweifeln muss. Um mit dem Nachwort des Übersetzers zu sprechen, es macht Sinn, sich die Lektüre von Wildersons Afropessimismus zuzumuten, auch und gerade weil Wildersons Haltung provoziert – und das zurecht. Ihre Radikalität selbst ist als erkenntnisfördernde Maßnahme unabdingbar. Aber Wilderson legt in seiner Schrift nicht zuletzt selbst nahe, dass ihm nicht bedingungslos zu folgen ist. Dazu ist sie viel zu persönlich, zu subjektiv. Was ihre politische Bedeutung, das Signal, das von ihr ausgeht, nicht mindert.

Titelbild

Frank B. Wilderson III: Afropessimismus.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021.
415 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783751803335

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