Der Tag, an dem der Komet einschlug

José Luis Peixoto schreibt in „Galveías“ darüber, wie das Leben im Dorf dennoch weiterging

Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Portugal ist 2022 Gastland der Leipziger Buchmesse – der Termin wurde um ein Jahr verschoben wegen der Pandemie.  Aus diesem Grund erschienen bereits 2021 einige wichtige Übersetzungen, 3Sat stellte in der „Kulturzeit“  neue Autoren vor, andere waren Gäste des Literaturfestivals in Berlin, wie die Lyrikerin Ana Luisa Amaral und die Romanautorin Lídia Jorge. Zwei große Stimmen.

„Unerwartete Begegnungen“ lautet das Thema des Gastlandsautritts auf der Leipziger Buchmesse. Und unerwartet sind wirklich viele Themen der jüngeren und auch der älteren Literaten. Einige wurden nach der Nelkenrevolution geboren, andere noch in den damaligen afrikanischen Kolonien – und diese biographische Vielfalt spiegelt sich in ihren Werken. Isabela Figueiredo, Dulce Maria Cardoso, Gonçalo M. Tavares, Afonso Reis Cabral oder José Luis Peixoto haben viel zu erzählen, wie auch Ondjaki aus Angola, Mia Couto aus Mosambik oder Germano de Almeida von den Kapverden.  

Einige dieser Namen sind inzwischen bekannt, andere – vor allem die jüngeren Autoren und Autorinnen – verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit. Insgesamt gilt heute wie 1998, als Portugal Gastland der Frankfurter Buchmesse war und José Saramago dort von seinem Nobelpreis erfuhr, dass sowohl das Land „am Rande Europas“ wie seine vielstimmige Literatur viel zu wenig Beachtung finden bei uns. 

Nehmen wir José Luis Peixoto, von dem der Septime Verlag in Wien 2021 den dritten Roman Galveías publiziert hat. In dem gleichnamigen Dorf der Algarve wurde der Autor 1974 geboren, hat daher deutliche Erinnerungen an seine Bewohner, an das damalige, mehr als dürftige Leben fast aller und den Reichtum des Großgrundbesitzers, der die Geschicke der Bewohner zu bestimmen scheint. Peixoto bietet eine Art Wimmelbild an: es kommen so viele Bewohner zu Wort, es werden so viele Schicksale erzählt, so viele Hoffnungen und Enttäuschungen aufgefächert, dass der Leser langsam das Gefühl bekommt, er selbst lebe auch in Galveías.

Das Geschehen spielt im Januar 1984, als ein ‚namenloses Ding‘ nachts mit riesigem Krach im Dorf einschlägt. Alle Bewohner stürzen ins Freie, können sich nicht erklären, was vorgefallen ist. Aber seitdem riecht es überall nach Schwefel und der Gestank scheint sich festzusetzen, denn auch im September 1984 (dem zweiten Hauptteil) hat er sich nicht verzogen. Das Dorf muss sich daran gewöhnen, keine Klage hilft weiter.

Allmählich lernen wir einige Bewohner näher kennen. Die verfeindeten Brüder – es ging um eine Erbschaft und wem das bessere Stück Land zuteilwurde, Liebschaften außerhalb der Ehe – die brasilianische Prostituierte und ihr Bäckereibetrieb, die junge Lehrerin, die auch die Erwachsenen alphabetisieren möchte, was diese ablehnen, die Motorrad begeisterten Jugendlichen mit zu viel Adrenalin, die sich Wettrennen liefern, der stets betrunkene Pfarrer, der debile Junge mit seiner Liebe zum Hund, eine versehentliche Tötung, das junge Mädchen, das in der Stadt studieren möchte, der ehemalige Soldat, der in Guinea-Bissau eine afrikanische Frau und vier Kinder hat, die er einmal pro Jahr besucht, ansonsten ist er Briefträger, die stinkende Rache der betrogenen Ehefrau, der nach einem Unfall gelähmte junge Ehemann, die Bedeutung der Mutter für die Kinder, das Patriarchat, das nicht hinterfragt wird… und immer und überall dominiert die Armut.  

Peixoto greift einzelne Figuren immer wieder auf, sodass der Leser allmählich mehr über sie erfährt. Das Dorf mag sich verbunden fühlen gegenüber einer Gefahr, die von außen kommt – wie der Komet. Auch die Dürre vereint die Bewohner zum gemeinsamen Gebet und dem Verzehr des (eigentlich ungenießbaren) Maisbreis, damit der Regen endlich kommen möge.  Aber im Grunde stellt der Autor lauter Individuen vor, die nur die Sorge um die eigene Familie kennen – vielleicht, weil der Kampf um das Überleben alle Kräfte benötigt. Es gibt Neid, Missgunst, Eifersucht, Schweigen, jahrzehntealten Streit, Betrügereien – ein Mikrokosmos, der stellvertretend gelesen werden kann für das, was sich überall zuträgt. Im Dorf kommt alles nur deutlicher zum Vorschein, da jeder jeden kennt, Geheimnisse kaum möglich sind.

Beeindruckend im Roman sind die Beschreibungen der Dorfstraßen, der Felder, vor allem aber der Hunde – die so wichtig zu sein scheinen,  weil sie wohl manche Einsamkeit der wortkargen Bewohner lindern. Der Leser erfährt viel über ein Portugal, das sich in den letzten vierzig Jahren enorm verändert hat. Dieses Bild vom Leben im Alentejo, dem „Armenhaus“, ist wie eine Zeitreise, die vieles erhellt und Bewunderung für den erzielten Fortschritt weckt. Ob er auch in Galveías angekommen ist? Und wie?   

Die Übersetzung von Ilse Dick zu lesen ist ein Vergnügen. Und der Septime Verlag muss für sein andauerndes Engagement für diesen Autor gelobt werden, denn er hat jede Aufmerksamkeit verdient.

PS. Die Leipziger Buchmesse 2022 wurde kurzfristig abgesagt. Portugal muss weiter auf den Gastlandauftritt warten

Titelbild

José Luís Peixoto: Galveias.
Aus dem Portugiesischen von Ilse Dick.
Septime Verlag, Wien 2021.
312 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783991200000

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