Zum Tod von Johannes Willms: Hinweise auch aus dem Archiv von literaturkritik.de – und mit einer Erinnerung von Marcel Reich-Ranicki

Am 11. Juli 2022 ist der 74 Jahre alte Journalist und Historiker Johannes Willms in München gestorben. Er war Redaktionsleiter des ZDF-Kulturmagazins Aspekte und leitete später das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. In den beiden Nachrufen der SZ sowie in denen der F.A.Z., des SPIEGEL und anderer Medien wurde er vor allem auch als Erfinder des Literarischen Quartetts gewürdigt. Die Erinnerungen Marcel Reich-Ranickis daran in seiner Autobiographie Mein Leben sehen das mit von Sympathie geprägtem Humor etwas anders:

Im Sommer 1987 besuchten mich zwei gebildete Herren vom Zweiten Deutschen Fernsehen: Dieter Schwarzenau [er starb im Juli 2010], immer noch dort tätig, und Johannes Willms, längst schon Feuilletonchef der „Süddeutschen Zeitung“. Die Herren tranken Tee und tranken Schnaps und waren in guter Laune. Es dauerte lange, bis sie, vielleicht vom Alkohol ermutigt, endlich mit der Sprache herausrückten. Ob ich Lust hätte, für das ZDF eine regelmäßige Literatursendung zu machen? Ich sagte mit Entschiedenheit: Nein. Aber die Herren überhörten meine Antwort, geflissentlich. Hingegen wollten sie wissen, ob und wie ich mir eine solche Sendung vorstelle. Ich dachte mir: Ich werde verschiedene Bedingungen stellen, bis die Herren resigniert aufgeben.

Es solle, sagte ich provozierend, jede Sendung mindestens sechzig Minuten dauern, besser 75. Teilnehmen sollten, von mir abgesehen, nur noch drei Personen, auf keinen Fall mehr. Ich müsse zwei Funktionen ausüben, also Gesprächsleiter sein und zugleich einer der vier Diskutanten. Die beiden Herren waren nicht aus der Ruhe zu bringen, ja, sie nickten zustimmend.

Wenn ich das überflüssige Gespräch beenden wollte, dann mußte ich jetzt ein besonders schweres Geschütz auffahren: In dieser Sendung, sagte ich, dürfe es keinerlei Bild- oder Filmeinblendungen geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus Romanen, keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder, in einem Park spazierengehend, diese Werke gütig erklärten. Auf dem Bildschirm sollten ausschließlich jene vier Personen zu sehen sein, die sich über Bücher äußern und, wie zu erwarten, auch streiten würden. Nur wer das Fernsehen kennt, weiß, was die beiden Herren gelitten haben. Denn das oberste, das heilige Gesetz des Fernsehens ist die fortwährende Dominanz des Visuellen. Ich habe es gewagt, gegen dieses Gesetz munter zu rebellieren. Es war klar: Dies würden die liebenswürdigen Herren nicht mehr schlucken. Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion: Werden sie erblassen oder gleich ohnmächtig werden? Aber es kam anders. Die Herren Schwarzenau und Willms atmeten durch die Nase tief ein, tranken noch einen Schnaps und erklärten leise: „Einverstanden.“

Die Erinnerungen Reich-Ranicks an das „Literarische Quartett“ sind in Mein Leben damit nicht beeendet. Die beiden „liebenswürdigen Herren“ werden aber nicht mehr erwähnt. Doch seine Dankbarkeit für ihr unerwartetes Einverständnis mit seinen fernsehunüblichen Forderungen ist unverkennbar.

Zu einigen Büchern, die Johannes Willms veröffentlicht hat, sind in literaturkritik.de folgende Rezensionen erschienen:

Idee und Realität.
„Tugend“ und „Terror“ als Leitbegriffe einer Geschichte der Französischen Revolution von Johannes Willms
Von Jens Flemming
Ausgabe 08-2015

Die „Sphinx von der Seine“.
Johannes Willms beschäftigt sich in „Frankreichs letzter Kaiser“ mit Napoleon III.
Von Klaus-Jürgen Bremm
Ausgabe 08-2010

Durch die Schlafzimmer Europas.
Johannes Willms Biografie über den Schöpfer der „Karthause von Parma“ ist solide, aber kein Standardwerk
Von Klaus-Jürgen Bremm
Ausgabe 05-2010

Ökonomische Beschreibung eines verschwenderischen Lebens.
Johannes Willms präsentiert Honoré de Balzacs Vita als Roman, verrät aber nur wenig über seine Romane
Von Bernd Blaschke
Ausgabe 12-2007

Thomas Anz