Der Vergessenheit entrissen

Zur Wiederauflage eines freigeistigen Romans von Michael Kosmeli

Von Ulrich KlappsteinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Klappstein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im 18. Jahrhundert kam es  zu einer regelrechten Konjunktur sogenannter „gefährlicher Bücher“. Frivol-libertinistische Romane von französischen Autoren wie Rétif de la Bretonne oder Jolyot de Crébillon fanden eine europaweite Verbreitung; in England waren es die Werke von John Cleland, und in Deutschland beförderten Christoph Martin Wieland und Wilhelm Heinse diesen literarischen Markt. Diese oft subversive, clandestine Literatur ist in der Aufklärungsforschung hierzulande ein verhältnismäßig wenig erforschtes Terrain, und nur wenige Verlage haben sich der Neupublikation von Werken dieses Genres gestellt und einschlägige Literatur wieder für sich „entdeckt“ – so etwa den „galanten“ Roman Der im Irr-Garten der Liebe herum taumelnde Cavalier (1738) von Johann Gottfried Schnabel, der ebenfalls mit dem erotisch-pornografischen Kanon spielte.

Nun gilt es, einen bislang noch wenig bekannten Roman von Michael Kosmeli  (1773-1844) wiederzuentdecken und diesen Autor – nach Bekunden des Herausgebers Dirk Sangmeister das völlige Gegenteil eines „Stubengelehrten“ – einem größeren Leserkreis bekannt zu machen. Der Autor Kosmeli war Gegenstand eines längeren Projektes am Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt, und der Berliner Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“ hat es unternommen, die im Jahr 1800 erschienene und in einem Altonaer Verlag verlegte Erstausgabe des Romans Die zwei und vierzig jährige Äffin – Das vermaledeiteste Märchen unter der Sonne erneut zu publizieren. Lt. Verlagsprospekt hat man sich zum Ziel gesetzt,

notwendige Bücher der Literatur- und Kulturgeschichte neu zu verlegen – um […] mit heiterer Gelassenheit, Widerborstigkeit und Liebe zur Buchkunst […] den jahrhundertealten Errungenschaften der Buchkultur ein schillerndes Mosaiksteinchen hinzuzufügen.

Man möchte „schöne Bücher“, sechs bis acht Titel, im Jahr herausbringen, die „mit Sorgfalt und Phantasie“ gesetzt und gebunden sind. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist der bibliophil gestaltete Roman Kosmelis. Die Ausgabe bringt das Originalfrontispiz der Erstausgabe sowie deren Vorrede und Inhaltsverzeichnis in originalem Wortlaut, dazu in einer besonderen Typografie und Anordnung, die passend gewählt ist und das Leseerlebnis befördern. Dazu trägt auch der wesentlich von Dirk Sangmeister besorgte Fußnotenapparat bei – ohne den die vielfältigen Querbezüge des belesenen Spätaufklärers für heutige Leser:innen wohl unverständlich bleiben würden. Die Anmerkungen sind in Kolumnen angeordnet, jeweils linksseitig neben dem Haupttext. Es werden nicht nur heutzutage ungebräuchliche Fachbegriffe und bisweilen unverständliche Wortfügungen erläutert, sondern auch Informationen zu weniger bekannten Persönlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts zusammengetragen und die anspielungsreichen Literaturzitate Kosmelis mit Beispielen ergänzt, was eine in Einzelfällen sehr umständliche Recherche ersetzt.  Dies betrifft nicht zuletzt die unumgänglichen historischen Einordnungen und politischen Zusammenhänge und hilft, weitere Entdeckungen nicht nur auf einem literarischen Feld zu machen. Der Roman umfasst 55 Kapitel auf 173 Seiten, kurze Leseabschnitte also für diese vorgeblich – aus Zensurgründen – aus dem Arabischen übersetzte Schrift. Vorangestellt hat Kosmeli zwei Motti, eins aus Molières Schrift Psyche – dass es „ohne jene Süße, die man beim Lästern schmeckt, kaum Vergnügungen gebe, die nicht langweilig werden“ –, und eins aus Tacitus’ Agricola, der dort fordert, gelungene und rühmenswerte Beispiele „der Alten“ vor der Vergessenheit zu retten.

Alles dies quasi pro domo gesprochen, noch dazu, wo Kosmeli schon in seiner Vorrede vorausschickt, dass es sich um ein veröffentlichtes Manuskript eines griechischen „Landsmanns“ von ihm handele, eines in Österreich verhafteten Mediziners aus dem Freundeskreis des Philosophen Hegel, dem man mit dem Strang „die Kehle zuschnürte, wahrscheinlich um ihm für die Zukunft die Mühe zu ersparen, sich über Langeweile zu beklagen…“

Der ursprünglich anonym erschienene Roman mit seinem ungewöhnlichen Titel ist lt. Sangmeister eines der freizügigsten und in vielen Aspekten schonungslosesten Werke der Literatur des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts, und zumindest in seiner äußeren Erzählstruktur ähnlich den ebenfalls anonym gebliebenen Denkwürdigkeiten des Herrn von H. eines teutschen Edelmanns (1786), der 104 Liebesakte mit 28 verschiedenen Frauen in vier Ländern schilderte. Die Titelfigur Kosmelis ist jedoch eine promiske, nachgerade „geile“ Frau (Sangmeister), die sich ohne Hemmung mit immer neuen Männern verlustiert. Neben dieser liebestollen Aeffin agieren auch ein bisexueller Domherr, und es kommt zu gleichgeschlechtlicher Liebe zwischen Männern und Frauen; darüber hinaus zitiert Kosmeli aus Werken de Sades und anderen berühmt gewordenen Pornographika seiner Zeit, kurz: es ist für den Herausgeber „eines der Werke, mit denen die Moderne in der noch weitgehend unerforschten Geschichte der erotischen und pornographischen Literatur deutscher Sprache beginnt“.

Kosmeli mischte Blasphemie, Sarkasmus, Zynismus und Nihilismus, verspottete die geltenden Moralvorstellungen und religiös festgezurrten Normen in einer Weise, die auch zeitgenössischen Kritikern nicht geheuer waren. Ein Novum des Romans war auch, dass es sich bei der Ich-Erzählerin um eine Afrikanerin handelt, eine Titelfigur, die es in der deutschen Belletristik bis dahin nicht gegeben hatte. (Vor Kosmeli hatte es nur August Lafontaine (1758-1831), einer der meistgelesenen Unterhaltungsschriftsteller der Goethezeit, gewagt, eine nicht-weiße Frau zu einer Nebenfigur eines vierbändigen Romans zu machen). In seinem Roman schickt Kosmeli seine femme fatale auf eine stationenreiche Reise voller Begegnungen mit weltlichen und geistlichen Würdenträgern, „flatulierenden“ Rittern, „gelangweilten“ Grafen, „blasierten“ Kavalieren und anderem „Gelichter von Adel“. Sie, die anfangs eine Analphabetin ist, wird schließlich einen Lesezirkel – in dem ebenfalls Beispiele „verwegener“ Literatur konsumiert werden – und sogar eine neue „Akademie der Wissenschaften“ gründen. Am Ende treibt sie selbst Philosophie und gibt Texte mit griechischer und römischer Literatur heraus, die von ihr mit Kommentaren versehen werden.

Nach allen Pikanterien, die freilich die drastischen Schilderungen à la de Sade feinsinnig umschreiben und oft nur andeuten, bekamen der zeitgenössische Leser und möglicherweise auch seine Leserin einen veritablen „Bildungsroman“ avant la lettre vorgesetzt, denn diese Bezeichnung wurde erst vom Philologen Karl Morgenstern (1770-1852) erfunden, einem Hallenser Kommilitonen Kosmelis. Freilich weist die lockere Erzählstruktur, die Reihung der vielen Einzelerlebnisse seiner Protagonistin, auch Schwächen auf, die schon der von Kosmeli viel bewunderte Jean Paul und auch Achim von Arnim bemerkt hatten. Der gestrenge Preusse Leopold von Gerlach (1790-1861) warnte gar vor dem „perversen und genialen“ Kosmeli, Adalbert von Chamisso sah in ihm einen Bruder seines Peter Schlemihl und selbstverständlich konnte Goethe – dem Verfasser der in Teilen nicht minder erotischen Venezianischen Epigramme – nur wenig mit diesem ungewöhnlichen und abseitigen Schriftsteller anfangen. Der russische Botaniker Michael Adams hat einer „Kratzdistel“ den botanischen Namen Cirsium kosmelii gegeben. Weiteres zu den Hintergründen des Romans kann man dem umfangreichen Nachwort des Herausgebers entnehmen – und natürlich dem Roman selbst, der hiermit nachdrücklich empfohlen sei!

Titelbild

Michael Kosmeli: Die zwei und vierzig jährige Äffin. Das vermaledeiteste Märchen unter der Sonne.
Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2023.
232 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783946990758

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