Wie im Taubenschlag

Walter Baumann widmet sich der Beziehung „Von Menschen und Tauben“

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Symbolfigur verfügt die Taube über einen hohen Stellenwert, steht sie doch im Christentum für den Heiligen Geist, wurde als Brieftaube eingesetzt und ist universell als Friedenstaube bekannt und beliebt. Tatsächlich beliebt? Ein gewisses Grübeln setzt ein. Die Taube scheint als Symbol tatsächlich mehr Wertschätzung zu erfahren denn als wirkliches, mitunter stabil gurrendes und mancherorts als „Schädling“ – so etwa in Venedig – stigmatisiertes, verachtetes und auch verfolgtes Lebewesen der Lüfte. Doch ein freundlich anmutender Vogel blickt vom Cover des Buches die Leserschaft an, einladend, sympathisch, neugierig und putzig, und alle, die sich mit Walter Baumann auf die Spuren der Tauben begeben möchten, beginnen die Lektüre mit einem Lächeln.

Der Autor verweist auf die Etymologie des Begriffs „Taube“, der aus dem Indogermanischen stammt und „dunkel“ bedeute, mitnichten „obskur“, nur „dunkel“, bezogen auf die schwarzblaue Färbung des Gefieders. Im Französischen und Englischen wurde die Lärmkulisse der Tauben auf gewisse Weise gewürdigt, denn die jungen Tauben erhielten den Namen „squeakers“, also „Schreihälse“. Andere denken eher an das „Gequietsche“, zu dem auch der Nachwuchs der Felsentaube neigt. Von der „Urahnin aller Haustauben“ erzählt Baumann, diese sei nicht die schwarzblaue, sondern die bleigraue Taube:

Das Gefieder der Tauben hat sich dann auch immer mehr aufgehellt, während sich die ursprünglichen Bedeutungen der Wörter für Taube immer mehr verdunkelt haben. Schon die ersten Züchter von Haustauben wollten nicht die dunkle Taube reproduzieren, sondern sie waren von Anfang an versessen auf weiße Nachkommenschaft. Die Tauben, die der Istar-Astarte heilig waren und in Babylon gezüchtet wurden, waren weiß.

Tauben verfügen, so berichtet Baumann, auch über eigentümliche Migrationsgeschichten. Sie entdeckten im Jahr 492 vor Christus, über das Schwarze Meer kommend, die hellenische Welt, als Schiffbrüchige, die in Käfigen vom Perserkönig Mardonios mitgeführt wurden. Als dessen Flotte vor Athos zerschellte, retteten sich die Tauben und siedelten sich in Griechenland an. Baumann referiert zwar auch gegenteilige Forschungsmeinungen, weil Tauben den Persern verhasst gewesen seien, aber der Autor sieht die flatternde Macht des Faktischen und traut der Vermutung, dass sie mit persischen Schiffen den Weg nach Westen gefunden hatten oder hatten finden müssen.

Baumann lebt in Nordirland, doch als er sich in einer Garten- und Zoohandlung erkundigt, rümpft der Besitzer des Geschäfts nur die Nase und sagt, er habe noch nie mit Tauben gehandelt. Doch jegliches Zubehör für einen Taubenschlag besaß er. Aber Tauben halten und verkaufen? Unvorstellbar, denn in Nordirland ist das „Halten von Tauben nur ein verachtetes Hobby der Arbeiterschicht“. Hartnäckig, mit Humor und Leidenschaft errichtet Baumann einen Taubenschlag und studiert nicht besonders gute, aber immerhin bedingt nützliche Bücher dazu:

Als ich eine Zeitlang Radioamateur werden wollte, fand ich alles, was man darüber wissen muss, in der öffentlichen Bibliothek. Vielleicht gab es dort auch Bücher über Taubenzucht. Die gab es tatsächlich, wenn auch nur sehr wenige und, wie ich jetzt sagen würde, zumeist ziemlich primitive. Aber ich bekam doch so langsam eine Ahnung, sägte und hämmerte an der Schlageinrichtung bis tief in die Nacht und muss deshalb bei den Nachbarn sehr beliebt gewesen sein.

Überall erkundet Baumann das Land der Tauben, die selten geliebt, oft bedroht und besonders in der sogenannten zivilisierten Welt missbilligt werden, auch wenn die „typische Schweizertaube“ sehr viel älter war als der „typische Schweizer“, dies berichtet die Schweizer „Taubenautorität“ namens Conrad Gesner, den der Autor auch als „deutschen Plinius“ bezeichnet – ein Naturforscher des 16. Jahrhunderts. Die Zürcher „Hüter der Tauben“, die Förster, residieren im selben Haus wie die „Hüter des Gesetzes“, also die Polizei:

Und wie hätte ich wissen können, in meiner Taubenblindheit, in meiner taubenstummen Welt, dass Zürich einen Taubenwart hatte. Kranke Tauben, so las ich am Vogelbriefkasten der Voliere bei der Rentenanstalt, sollten nicht dort, sondern auf dem Kantonspolizeiposten beim Rathaus abgegeben werden.

Der Taubenwart kümmert sich um den Taubenschlag im Dachgeschoss der Polizei, greift bei „verwilderten Haustauben“ ins Brutgeschäft ein und nimmt jenen, die auf der Limmat unter den Brücken „wie Clochards“ nisten die Eier weg: „In dem Vierteljahrhundert, während dem die Taubenpopulation, dank solcher Geburtenkontrolle, von rund sechstausend auf zweieinhalb- oder dreitausend zurückgegangen ist, muss der Taubenwart über eine Million Taubeneier vernichtet haben.“ Immerhin werden in Zürich – anders als anderswo – Tauben nicht vergiftet. Die Tierfreunde, die zu der „größten Wählergruppe“ gehören, wissen das zu schätzen. Aber es gibt auch bleihaltige Episoden:

Und doch musste der Taubenwart manchmal mit seiner Kleinkaliberflinte ausrücken. Tauben, die Bankhäuser beschmutzen, werden selbst in Zürich nicht geduldet. Aber der Abschuss muss in aller Herrgottsfrühe unternommen werden, wenn es keine Passanten gibt, die das brühwarm ihrem Leibblatt als neusten Skandal anbieten.

Tauben, so schreibt Baumann, seien „ängstliche Tiere“, unvorsichtig nur, wenn sie Hunger hätten. Sie mögen nicht berührt werden, auch von guten menschlichen Bekannten. Wer sich ihnen noch so behutsam nähert, erfährt sogleich, dass sie dann wild durcheinanderfliegen. Während vertrauter Motorenlärm sie unbekümmert lässt, schrecken sie auf, sobald ein ahnungsloser Nachbar den Deckel eines Müllereimers geräuschvoll schließt. Lange Zeit sonnten sie sich auf dem Dach, putzten ihr Gefieder und schauten hinaus in die Weite, doch dann vernehmen sie den Krach – „und gleich stürzen sich die Tauben wie ein Mann vom Dach, lassen sich fallen, schlagen geräuschvoll mit den Flügeln und stechen im Schwarm flach in die Höhe, kurven in Formation und bleiben zu ihrem Schutz in Formation, während sie Runde um Runde drehen.“

Ein farbig erzähltes Buch über Tauben, und ja, auch über Menschen, hat Baumann vorgelegt, kenntnisreich und amüsant. Diese sehr besondere Naturkunde lädt dazu ein, neu und mit Sympathie über die weitverzweigte Familie der vielfach talentierten Tauben nachzudenken und möglicherweise das eine oder andere Vorurteil über diese Spezies zu revidieren. Die Schweizer Armee kennt auch Meldetauben – und Walter Baumann erinnert an das buchstäblich geflügelte Wort: „Wo Funk und Draht nicht verwendet werden können, hilft uns die Taube.“

Titelbild

Walter Baumann: Von Menschen und Tauben. Erstaunliches, Wissenswertes, Kurioses.
Edition Noack & Block, Berlin 2022.
174 Seiten , 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783868131437

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