Singe nicht nur den Zorn
Wie Klaus Theweleit in „a – e – i – o – u“ die Erfindung der Vokale, die Niederschrift der homerischen Epen und den Blues auf einen Nenner bringt
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWenn man zu den Leuten gehört, die Klaus Theweleits Männerphantasien (Bd. 1: 1977, Bd. 2: 1978) direkt nach dem Erscheinen gekauft (seinerzeit im Aachener Frauenbuchladen, finanziert von der Schwiegermutter in spe), gelesen und geschätzt, gegebenenfalls sogar was draus gelernt haben, dann gehört man zu den Leuten, bei denen sich auch die nachfolgenden Publikationen Theweleits im Regal finden. Und das ist mittlerweile einiges.
Aber die siebziger Jahre sind lange her, Interessen und Arbeiten verlagern sich, soldatische Männer geistern zwar immer wieder durchs eigene Arbeitsfeld, Theweleits Thesen spielen jedoch nur noch eine Hintergrundrolle – zu unterschiedlich die Ansätze. Aber der Name klingt immer noch – Grund genug, nach einem neuen Band zu greifen, auch wenn Roter Stern und Stroemfeld Vergangenheit sind und Theweleit nun bei Matthes & Seitz betreut wird. Der Mann ist 81, und wer weiß, wann er sein letztes Konzert spielt.
Und auch wenn statt der marodierenden Horden der 1920er Jahre nun die alten Griechen in den Fokus rücken. Die alten Griechen? Homer? Die Erfindung der Vokale? Was hat Theweleit denn nun damit vor? Eine Menge, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass er sich nie wirklich knapp hat fassen können, und wirklich fokussiert auf ein Thema war er wohl auch nie, was allerdings für ihn spricht, denn auf diese Weise schafft er es immer noch, Zusammenhänge herzustellen, die so ohne weiteres nicht erkennbar sind. So etwa der Zusammenhang der Erfindung der Vokale mit der Seefahrt und nicht zuletzt einer kulturellen Revolution, mit der vormals hegemoniale Denkformen und -konzepte von zuvor Unterdrückten, ja Versklavten überformt werden können.
Dass freilich griechische Seefahrer das uns bekannte Alphabet um die Vokale bereichert haben, ist nun, wie es scheint, halbwegs Konsens, wie auch der Umstand, dass die homerischen Epen auf einer mündlichen Tradition fußen, Homer also – in unserem heutigen Denken – weniger der geniale Dichter als der verdienstvolle Sekretär der Tradition war.
Aber das sind Petitessen, die der Genieästhetik zu verdanken sind, die in einer historischen Gesamtbetrachtung ästhetischer Produktion eh nur einen kleinen Zeitraum umfasst. Theweleit macht stattdessen einen anderen Apsekt fruchtbar, nämlich den, die Vokalerfindung aus dem Kommunikationsbedürfnis auf See abzuleiten. Zwar ist seine Begründung für die Sinnhaftigkeit der Vokale im Alphabet ein wenig wackelig. Vokale erleichtern zwar die lautgenaue Überlieferung von Sprache, aber sichern sie nicht zweifelsfrei ab, weil auch Vokale, je nach Sprache, ihren eigenen Lautstand haben, selbst zwischen Dialekten derselben Sprache kann die Aussprache von Vokalen beträchtlich differieren. Ein bisschen mehr Festlegung ist immerhin eine Verbesserung. Soweit wird man Theweleit nicht folgen wollen, obgleich nachvollziehbar ist, dass Vokale einfacher und besser in einem oftmals lauten und von Störgeräuschen erfüllten Szenario wie auf See verstehbar sind.
Näher an sein zentrales Paradigma rückt Theweleit mit einer anderen These, nämlich der, dass die Entstehung der literarischen Kompetenz der Vorläufer Homers eng verknüpft ist mit der politischen Situation nach dem Untergang Trojas und dem Niedergang der mykenischen Palastkultur, die auch den Niedergang der Schriftkultur bedingte: Damit einher ging, wenn man dem Szenario folgen will, eine Verlagerung der aktiven politischen Rolle auf die griechischen Seefahrer, die auf ihren (Raub-)Fahrten eine spezifische memorierbare Erzählkultur entwickelten, mit denen sie erinnerungswürdige Themen aufnahmen und weitergaben (Untergang Trojas, Sieg der Hellenen, lange Rückreise Odysseus‘), an spätere Generationen wie auf die verbliebenen Landratten, zwischen denen sie, teils raubend, teils handelnd, vermittelten. Kultur unter besonderer Berücksichtigung des Hexameters wird auf diese Weise zum Produkt der seefahrenden, das heißt in diesem Fall vor allem rudernden Körper.
Was es Theweleit erlaubt, seine Analogie zum Blues herzustellen, der aus den Sklavenkulturen Nordamerikas entsteht. Hier aus einer peripheren Kultur, auch hier aus den arbeitenden Körpern, auch hier in einer spezifischen Abweichung zur Mehrheitskultur, in diesem Fall der europäischen und nordamerikanischen Sklavenhaltergesellschaften. Womit wir dann, hopplahopp, aus der frühen Antike in der Massenkulturgesellschaft der Gegenwart angelangt wären: Beiderseits der Zeitenwende ist Kultur Ausdruck von arbeitenden Körpern, sind Körper für Musikwellen durchlässig.
Was damit bewiesen wäre? Wohl nicht weniger, als dass Musik, ja, Literatur, deren musikalischer Charakter über die Struktur (hier das Versmaß, den Hexameter) erkennbar wird, gesellschaftliches Gedächtnis, aber eben auch gesellschaftliche Praxis bestimmen kann. Das ist nicht ganz so heißer Denkstoff wie die Männerphantasien, aber wer weiß, vielleicht folgt die humanistische Phase dieses Lesers ja noch irgendwann.
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