Eine sehr persönliche Hommage an die Schwester
Heinz Bachmann erzählt von seiner Bewunderung für „Ingeborg Bachmann“
Von Liliane Studer
Die Erschütterung ist groß, als Heinz Bachmann am 30. September 1973 am Telefon erfährt, dass seine hoch verehrte Schwester Ingeborg mit schweren Brandverletzungen in einem Römer Krankenhaus liegt. Der Bruder lebt damals bereits seit über einem Jahr im Senegal und arbeitet für eine internationale Ölfirma, sein Kontakt zur Familie und vor allem zur geliebten ältesten Schwester ist demzufolge stark eingeschränkt. Sofort organisiert er seinen Rückflug und trifft drei Tage später in Rom ein. Ingeborg wird er lebend nicht mehr sehen, denn ihm wird, um jegliche Infektion zu vermeiden, kein Zutritt zur Isolationsstation gewährt. Am 17. Oktober 1973 stirbt Ingeborg Bachmann in der Römer Klinik. Wie nahe dem Bruder die damals rasch aufkommenden Gerüchte und „fantasievollen Mordhypothesen einiger Freunde“ bis heute gehen, lässt sich ebenso in seinen Aufzeichnungen nachlesen wie seine große Bewunderung für die ältere der beiden Schwestern, die ihn ein Leben lang begleitet hat, sowie die Betonung der glücklichen Familie. Viele schwierige Momente unmittelbar nach ihrem Tod führten gemäss Heinz Bachmann dazu, dass die Familie sich entschied, sie auf dem Friedhof Annabichl in Klagenfurt zu begraben. „Dort herrschte Ruhe und Geborgenheit, und uns war Trauer möglich, Trauer, zu der wir in Rom außerstande waren.“
Heinz Bachmann dürfte sich bewusst für diesen Einstieg in seine Erinnerungen entschieden haben – damit legt er Ton und Haltung fest. Ihm geht es darum, seine persönlichen Gedanken über Ingeborg Bachmann, deren Literatur er bis heute hoch schätzt, die er aber auch immer als die große Schwester bewundert und verehrt hat, festzuhalten und damit jenen zahlreichen Interpretationen und Behauptungen über sie und ihre Familie etwas entgegenzusetzen. Er erzählt von einem intakten Familienleben, vom umfassenden gegenseitigen Vertrauen, von zahlreichen gemeinsamen Momenten, die bis zum Tod von Ingeborg Bachmann und darüber hinaus andauerten. So erfahren wir Leser:innen von Familienausflügen mit dem Rad bis nach Italien in den kargen frühen 1930er-Jahren oder vom Umzug 1933 ins eigene Haus an der Henselstraße in Klagenfurt, das nahe am Wald lag und die beiden Schwestern Ingeborg und Isolde beglückte, nicht zuletzt, weil sich das Leben vor allem draußen und dort mit den Nachbarkindern abspielte. Erst 1939 kommt der Bruder zur Welt – er ist also dreizehn Jahre jünger als Ingeborg. Im Buch betont er, wie sehr seine Schwester um ihn bemüht gewesen sei, daran erinnere er sich, und es sei ihm auch immer wieder in Erzählungen über die drei Geschwister bestätigt worden.
Wie vertraut sich die Geschwister waren, zeigt Heinz Bachmann auch mit den Fotos, mit denen er den Band ergänzt. Einen besonderen Platz nimmt dabei die Fotoserie ein, die der junge Bruder bei einem Besuch in Rom im Frühjahr 1962 macht. „Sie war mit den üblichen gestellten Pressefotos nicht glücklich und überredete mich dazu, eine ganze Serie von Fotos aufzunehmen, um eine gewisse Auswahl für künftige Anfragen zu haben.“ Heinz Bachmann hat damals kaum Erfahrung mit Fotografieren, den Agfa-Spiegelreflexapparat hat er erst kurz zuvor vom Vater geschenkt bekommen. Doch „innerhalb kurzer Zeit wurden es die meistverwendeten Fotos meiner Schwester.“ Im vorliegenden Buch werden sie zu einer bereichernden Ergänzung.
Interessant sind die Hinweise Heinz Bachmanns darauf, wie Ingeborg Bachmann Erfahrungen zu Hause später in einzelnen Erzählungen aufgegriffen habe. „Wie sehr sich Ingeborg um die Entwicklung und die Zukunft ihres kleinen Bruders bemühen sollte, wird in der Erzählung Drei Wege zum See deutlich. Die Liebe zu diesem Bruder wird dort so eindringlich geschildert, dass mir noch heute die Tränen kommen und ich vor Rührung schlucken muss.“ Solche Passagen, von denen es zahlreiche gibt, weisen zusätzlich deutlich darauf hin, wie persönlich Heinz Bachmanns Erinnerungen sind und dass sie als solche zu lesen sind. Dem Autor geht es darum, seine Sichtweisen öffentlich zu machen, unabhängig von allem, was über Ingeborg Bachmann bereits geschrieben oder gesagt wurde.
Eine klare Haltung vertritt Heinz Bachmann, wenn er von Ingeborg Bachmanns Männerbeziehungen, insbesondere jener zu Max Frisch, schreibt. Von ihm hält er nicht viel, das Gleiche habe für die Eltern gegolten.
Schon zu Weihnachten 1959 hatte Max Frisch unserem Vater Bin oder die Reise nach Peking geschenkt und zu Weihnachten 1961 den Eltern Andorra. Diese zwei Ausgaben waren in einer Kiste im Keller meiner Eltern verstaut gewesen, wo ich sie erst vor Kurzem entdeckte. Sie hatten sie offensichtlich aus den Regalen entfernt. Ich erinnere mich, dass unsere Eltern Max Frischs Geschenke nach dem Bruch mit ihm retournieren wollten. Ein Grund dafür war, dass sich Max Frisch nicht von ihnen verabschiedet hatte. Für mich selbst blieb Max Frisch immer Herr Frisch, niemals Max. Ganz allgemein fehlte es an Herzlichkeit.
Dass seine Schwester eine gewisse Zurückhaltung bewahrte, dem Bruder alles über die schwierige Liebe zu Frisch zu erzählen, scheint ihn bis heute zu beschäftigen. Er hätte ihr bestimmt sofort geraten, sich zu trennen, wenn sie ihn denn gefragt hätte. So bleibt ihm nur die Frage: „Warum geht man nicht einfach weg?“
Wenn Angehörige über ihre Liebsten erzählen oder schreiben, erzählen sie in erster Linie von sich selbst. Und so gelesen sind die Erinnerungen von Heinz Bachmann über seine Schwester Ingeborg durchaus aufschlussreich. Dass wir dabei mehr über ihn erfahren als über sie, macht das Buch interessant. Im Epilog schreibt Heinz Bachmann: „Was bleibt, sind so viele Erinnerungen und das Werk. Ihr Werk bewirkt, dass Ingeborg jeden Tag in unserem Leben gegenwärtig ist. (…) Fünfzig Jahre sind seit dem Verlust vergangen, aber Ingeborg ist jeden Tag bei uns.“
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