Sein Freund und Helfer

Willi Winkler analysiert die Beziehung zwischen Kissinger und Unseld und schreibt damit eine unterhaltsame Geschichte der Suhrkamp-Kultur

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch ist leider zum falschen Zeitpunkt erschienen; doch davon später.

Zunächst gilt es ein Werk zu loben, das sich über den Weg der Doppelbiographie zwei Zeitgenossen annähert, die vieles gemeinsam haben, aber von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten gestartet sind. Henry Kissinger wird 1923 in Fürth geboren, Siegfried Unseld 1924 in Ulm. 1938 flüchtet die Familie Kissinger gerade noch rechtzeitig vor den Nazischergen ins sichere Amerika, während Unseld, vom Vater „mit dem Heldennamen Siegfried bedacht“, kurz darauf für Hitler in den Krieg zieht. Mit dem Kriegsende beginnen beide Männer, aus eher kleineren Verhältnissen stammend, aber geprägt von einem unbändigen Aufstiegswillen, jeweils sehr unterschiedliche Karrieren, die sie gleichwohl immer wieder zusammenführen werden. Unseld gelingt der Einstieg in den Suhrkamp-Verlag, wo er nach dem Tod des Verlagsgründers und Namensgebers alsbald die Leitung des Unternehmens übernimmt. Kissinger, noch während des Krieges US-amerikanischer Staatsbürger geworden und Teilnehmer einer Propagandaeinheit, reüssiert in Harvard, unter anderem mit einer viel beachteten Studie über den Einsatz von Atomwaffen und einer starken Nähe zum CIA. Er erkennt die wachsende Bedeutung des ehemaligen Feindes im sich entwickelnden Kalten Krieg und initiiert in diesem Zusammenhang 1952 ein erstes Treffen mit jungen Deutschen in Harvard, an dem wenig später auch Unseld teilnimmt.  Beide Männer schreiben sich Briefe, die von einer gewissen Zuneigung geprägt sind. Soweit die nüchternen und weithin bekannten Fakten.

Um seine beiden Protagonisten herum zeichnet nun der Autor ein lebendiges Tableau der transatlantischen Kulturgeschichte bis in die Achtziger. Kissinger durchschaut recht früh die Eignung der jungen westdeutschen Intellektuellen als hybride Waffe im Wettstreit der Systeme. Er lädt sie daher in die USA ein, damit sie hier Verständnis entwickeln für die weltpolitische Rolle des Gastlandes, welches so ganz nebenbei auch zum Schauplatz vieler Erzählungen und Romane wird. Unseld wiederum öffnet den Suhrkamp-Verlag, der eher bildungsbürgerlich mit den Autoren Hesse, Carossa oder R.A.Schröder begonnen hat, erfolgreich den Lichtgestalten der westdeutschen Literatur, wie Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Martin Walser, Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger, Peter Weiss, Peter Handke, die, wie auch die Suhrkamp-Cheflektoren, allesamt an dem von Kissinger und damit auch dem CIA geförderten Amerikaaustausch teilnehmen.

Für die „Jahrestage“, Uwe Johnsons Jahrhundertwerk, leistet das Paar Kissinger/Unseld entscheidende Hebammendienste, von Frischs „Montauk“ ganz zu schweigen. Im Gegenzug instrumentalisiert Kissinger den ahnungslosen Johnson als „Außendienst der psychologischen Kriegsführung“. Indem er  sich kapitelweise den Diven des Literaturbetriebs widmet, verliert Winkler bisweilen sein Titel gebendes Thema etwas aus den Augen. Gleichwohl setzt sich sein kritisches Erkenntnisinteresse immer wieder durch. So fragt sich der als Chef-Ironiker des SZ-Feuilletons bekannte Autor süffisant, inwieweit sich die Literaten als nützliche Idioten vor den Propagandakarren der Amerikaner haben spannen lassen. Bereits auf der ersten Seite zeigt sich seine Methode der Zuspitzung, wenn Kissinger als „Kriegsverbrecher“ eingeführt wird, obwohl dieser immerhin 1973 den Friedensnobelpreis zuerkannt bekommt. Gegen die in den sechziger Jahren anwachsende Kritik seiner Autoren an den USA hält Unseld seinem Freund Kissinger, der mehr und mehr Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik gewinnt, die Treue.

Winkler legt genüsslich die Widersprüche offen, in die sich Unseld als Unternehmer verwickelt sieht in einem Verlag, der eine linke und zunehmend kapitalismuskritische Theorie entwirft, bisweilen sogar als „Speerspitze der Revolution“ (Marcuse) bezeichnet wird. Gegen moralisierende Standpunkte seiner Autoren und Lektoren vertritt Unseld eine Art unternehmerische Verantwortungsethik: Was dem Verlag mehr Umsatz bringt, nutzt auch den Autoren und deren wachsenden Ansprüchen. Darüber, etwa eine neue Berliner Wohnung für Enzensberger oder eine Luxuskreuzfahrt für Koeppen, äußert sich Winkler im Plauderton. Dass auch der Verleger nicht zu kurz kommt, beweisen diverse Anschaffungen, wie die Villa Klettenbergstraße oder Karossen von Jaguar und Porsche.

Auch Freund Kissinger ist nicht frei von Widersprüchen. Als Verfolgter des Naziregimes zählt er gleichwohl ehemalige SS-Männer wie Hans Egon Holthusen zu seinen Freunden, während er  Ehrungen durch seine Heimatstadt Fürth zunächst einmal zurückweist. Beide Männer sind wohl als Realisten zu bezeichnen, die von Tatsachen ausgehen und Ideologien ablehnen. Diese Haltung hat sie weit gebracht. Unseld allerdings, den das Verhältnis von Autor und Verleger, auch in seinen Schriften, ein Leben lang beschäftigte, musste vielfach erleben, dass Autoren ihren Verleger keineswegs als Freund betrachten, sondern als Geschäftspartner und bisweilen sogar als Ausbeuter und dass daher das Geld immer zwischen ihnen steht. Und sogar Kissinger hat schließlich seine drei millionenschweren Memoirenbände nicht dem Freund und dessen Verlag überlassen, sondern der Konkurrenz. In diesen kommt Unseld übrigens kaum vor. Sollten auch Spitzenpolitiker keine Freunde haben?

Es sind daher eher flüchtige Begegnungen, die das Verhältnis zwischen Kissinger und Unseld prägen. Man trifft sich gelegentlich, meist zu offiziellen Anlässen, man hilft sich, etwa bei der Vermittlung eines Kindermädchens oder beim nicht ganz so alltäglichen Zugang ins Weiße Haus zum US-Präsidenten. Eine tiefere Freundschaft wird man das trotz allem kaum nennen können. Wie eine gelungene Männerfreundschaft mit all ihren Höhen und Tiefen für Unseld ausgesehen haben mag, kann man allenthalben in seiner Beziehung zu Martin Walser studieren. Kissinger ist, zumindest in der Politik, von einem umfassenden Misstrauen geprägt, während Unseld Bedenken eher beiseite wischt, um sich fast naiv ins Offene zu stürzen. In der lesenswerten Kissinger-Biographie (C.H.Beck 2020) des Hamburger Historikers Bernd Greiner, die Winkler hier nicht berücksichtigt, wird Kissinger als gnadenloser Opportunist des eigenen Vorteils beschrieben, wo hingegen Unseld Loyalität schätzte und auch praktizierte.

Nun denn also. Warum ist dieses Buch, wie eingangs behauptet, angesichts aller Verdienste zu früh gekommen? Sicher haben sich Winkler und sein Verlag vom zu erwartenden Hype um den 100. Geburtstag des Jahrhundertverlegers Unseld im Oktober 2024 zu ihrem Unternehmen verführen lassen. Winkler hat neben anderem die veröffentlichten Briefwechsel und eine Biographie des Verlegers gewissenhaft gelesen, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach besucht und sogar unveröffentlichte Korrespondenz Kissingers in Yale konsultiert. Außerdem ist er ein profunder Kenner der bundesdeutschen Literaturszene. Womit er aber kaum gerechnet hat, ist die Tatsache, dass sich die Verantwortlichen des Suhrkamp-Verlages entschlossen haben, eben aus Anlass des Geburtstages von Siegfried Unseld die Originale seiner „Verlagschronik“ und seiner „Reiseberichte“ bis 1993 als PDF online zu stellen. Dieses Ereignis, das in seiner Tiefe lediglich an die Tagebücher Thomas Manns heranreicht und diese stellenweise noch übertrifft, ist bis heute, wenn ich es richtig sehe, noch kaum wahrgenommen worden und soll hier übrigens auch nicht gewürdigt werden. Es wird noch Generationen von Forschern beschäftigen.

Obwohl Winkler die „Reiseberichte“ stellenweise zitiert – was hätte er in den „Chroniken“ für sein Thema entdecken können? Obgleich als Firmengeschichte angelegt, setzt hier Unseld die eigene Person umstandslos mit dem Geschick des Verlages gleich. Er notiert jedes noch so kleine Lob, jeden Beifall für seine Vorträge. Er hält zum Beispiel, auch darin Thomas Mann vergleichbar, die eigene Gesundheit, das Ess- und Freizeitverhalten sowie das Schlafbedürfnis für erwähnenswert, vermerkt in seinen Diktaten auch Privatestes zu seinem Ehe- und Liebesleben und scheut nicht zurück vor Lächerlichkeiten, etwa wenn er schmunzelnd hervorhebt, dass die Presse ein Bild von ihm und Ulla Berkéwicz mit „Turteltäubchen“ unterschrieben hat.

Zu besichtigen wäre überdies auch ein sensibler Geschäftsmann und Verleger, der sich oft von seinen Autoren gedemütigt fühlt, so etwa von Thomas Bernhard, Handke oder Habermas. Während Kissinger in seinen strategischen Überlegungen zur Eindämmung des Kommunismus Millionen Opfer als Kollateralschäden einkalkuliert, bereiten Unseld notwendige Personalentscheidungen immer wieder erhebliche Skrupel. Über Politik wurde zwischen Kissinger und Unseld nicht korrespondiert, obwohl sie in bewegten Zeiten lebten. Mit dem Rücktritt Kissingers als Außenminister 1976 werden auch die Verbindungsfäden zwischen den beiden dünner. Als Privatmann spielte Kissinger fortan die Rolle des Everybody´s Darling als Strippenzieher auf dem internationalen Parkett, während Unseld sein enormes Ego in den Dienst der Literatur stellte und sich als genialer Werbefachmann und Verlagsstratege bewies, wofür er bis heute geschätzt wird.

Titelbild

Willi Winkler: Kissinger & Unseld. Die Freundschaft zweier Überlebender – ein Doppelporträt.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024.
304 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783737102193

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