Squash als Trauerbewältigung

Chetna Maroo erzählt in „Western Lane“ behutsam von Verlust, Trauer und Erfolgen

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ihre Mutter stirbt, ist Gopi erst elf Jahre alt. Die Tochter einer indischen Einwandererfamilie wächst gemeinsam mit ihren älteren Schwestern Khush und Mona in einer indischen Community in einem Londoner Vorort bei ihrem Vater auf. Er leidet unter dem Verlust der verstorbenen Mutter genauso wie seine Töchter. Um die Trauer zu überwinden oder zumindest erträglicher zu machen, fährt er mit ihnen regelmäßig zum Training auf den Squash Court in der Western Lane. So lautet der gleichnamige Roman der britisch-indischen Autorin Chetna Maroo, der zugleich ihr Romandebüt ist und für den Booker Prize und den Women’s Prize for Fiction nominiert war.

Mit der Hauptfigur und Ich-Erzählerin Gopi entwirft Chetna Maroo eine interessante Figur, die das Leben in der indischen Gemeinschaft Großbritanniens mit sämtlichen Alltagsfacetten ausgestaltet. So werden beispielsweise die immer wiederkehrenden Geldsorgen der vierköpfigen Familie thematisiert. Dies ist umso relevanter, als die Ausstattung einer immer erfolgreicher werdenden Squashspielerin nicht günstig ist. Allein die Diskussion um einen hochwertigen Dunlop-Schläger zeigt, in welch prekären Verhältnissen Gopis Familie lebt. Ihre Schwester Mona spendiert ihr schließlich den Schläger, den sie von ihrem Ersparten bezahlt. Schon folgen die ersten Gewissensbisse:

Das Radio dudelte und langsam beschlich uns das Gefühl, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, nach London zu fahren und Monas Geld auszugeben.

Durch Gopis Perspektive wird die Rückschlagsportart Squash literarisch eindrucksvoll in Szene gesetzt. Direkt zu Beginn des Romans spricht sie die Leser:innen direkt an und teilt ihre Leidenschaft für Squash mit:

Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in der Mitte eines Squash-Courts – auf dem T – gestanden und den Geräuschen aus dem Court nebenan gelauscht haben. Wie ein Ball schnell und hart geschlagen wird. Es ist ein kurzer, trockener Ton wie bei einem Pistolenschuss, mit einem unmittelbar folgenden Echo.

Detailliert schildert sie, welche Schritte bei welchem Gegner wichtig sind. Sie fachsimpelt mit ihrem Vater über die Techniken des bekannten pakistanischen Squashmeisters Jahangir Khan und über seine Taktiken bei den Spielen. Immer wieder schauen sie sich das Video an, in dem Khan seine Gegner bezwingt. Dieses gemeinsame Schauen, das einem Ritual gleichkommt, und die damit einhergehende Sprachlosigkeit zwischen Vater und Tochter sind eine Stärke des Romans. Gerade Momente, in denen nur mit Blicken oder Gesten kommuniziert wird, wirken intim und glaubwürdig.

Auf sprachlicher Ebene wirken allerdings einige Alltagsbeschreibungen schwach. Auffällig ist etwa die häufige Nutzung von Füllwörtern wie „irgendwie“ oder „irgendetwas“, die den Szenen ihre literarische Ausdruckskraft raubt und im Widerspruch zu dem sprachlich gelungenen Einstieg und kurzen reflektierten Sentenzen steht.

Ihre Motivation sind die bevorstehenden Turniere in Durham und Cleveland. Wie besessen von der Idee, daran teilnehmen zu dürfen, entwickelt sich die Western Lane nicht nur als ein Ort, in dem sie zunächst mit ihren Schwestern und später alleine trainiert; vielmehr erweist sich der Squash Court als ein Ort der Familienbegegnung. Dort kann Gopi ihre Talente zeigen und ihren Vater von der Trauer um seine Frau zumindest zeitweise ablenken. Auch für sie zählt in diesen Momenten nur, den richtigen Schlag auszuführen:

Ein sauberer Schlag kann die Zeit stillstehen lassen. Manchmal kann er sich anfühlen wie der einzige Frieden, den es gibt.

Noch aus einem weiteren Grund erweist sich der Squash Court als Sehnsuchtsort: Gopi lernt dort ihren neuen Trainingspartner Ged kennen. Sie entwickelt mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn. Eine Liebesgeschichte wird aber lediglich angedeutet.

Den traditionellen Geschlechtervorstellungen ihrer resolut auftretenden Tante Ranjan erteilen die Töchter schon früh eine Absage. Nicht die Küche ist die Welt der Heranwachsenden, sondern der Squash Court. Umso nachdenklicher wird Gopi, als sie hört, dass Onkel Pavan, der Bruder des Vaters, und Tante Ranjan ernsthaft überlegen, Gopi zu sich nach Edinburgh zu holen, um ihren Vater zu entlasten.

Chetna Maroo erzählt eine kompakte Geschichte, in der ein Mädchen den frühen Tod seiner Mutter durch sportliche Ambitionen überwindet und durch die gemeinsamen Interessen eine besondere Bindung zu ihrem Vater aufbaut. Ständig präsent bleiben dabei die gemeinsamen Erinnerungen der verstorbenen Mutter. Sie erfüllt das Paradox der abwesenden Anwesenheit. Dies gelingt der Autorin auf so überzeugende Weise, dass man glaubt, die Mutter schaue ihrer Tochter die ganze Zeit beim Squash zu.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Chetna Maroo: Western Lane. Roman.
aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann.
Luchterhand Literaturverlag, München 2024.
192 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783630877808

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