Mehr Baerbock wagen!

Sarah Zöllners Buch „Mütter in die Politik!“ ermutigt diese, in die (kommunale Partei-)Politik zu gehen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Mütter, die sich in politischen Parteien engagieren, einige von ihnen haben es sogar ausgesprochen weit gebracht. Ursula von der Leyen und Annalena Baerbock dürften hierzulande die bekanntesten sein. Mögen die beiden Spitzenpolitikerinnen auch immer wieder Schlagzeilen machen, so sind Mütter in bundesdeutschen Parlamenten doch noch immer weit unterrepräsentiert. Die Abgeordneten Madeleine Henfling wurde 2018 sogar aufgefordert, die Sitzung des Thüringer Landtages zu verlassen, weil sie ihren einige Wochen zuvor geborenen Sohndabei hatte. Vielleicht schlimmer noch als dieser an sich schon skandalöse Vorfall ist das aus diesem Anlass ergangene Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts. Es entschied, dass Kinder zwar im ersten Lebensjahr bei Plenarsitzungen anwesend sein dürfen, das Landtagspräsidium aber über die Entfernung älterer Kleinkinder von Abgeordneten verfügen kann.

Der als Babygate bekannte gewordene Skandal wird auch von Sarah Zöllner in ihrem Buch Mütter in die Politik! aufgegriffen. Im ersten der beiden Teile des Bandes erläutert sie insbesondere anhand der Kommunalpolitik, warum mehr politisch aktive Mütter nicht nur diesen und allen Frauen, sondern der Gesellschaft insgesamt zugute kämen. Wie sie darlegt, benötigen Mütter und überhaupt alle Menschen, die „Fürsorgeverantwortung tragen“ anderes und mehr als Menschen, die keine Kinder haben. Denn hinsichtlich „familienbewusste[m] Handeln“ verlaufe die „Trennlinie“ nicht etwa zwischen den Geschlechtern, sondern „zwischen Menschen mit Fürsorgeverantwortung und Menschen, die ihr Leben lang davon unberührt sind“. Zugleich bringe das, was diesen zugutekommt „Vorteile für die gesamte Stadt“. Dem mag vielleicht mancher Autofahrer widersprechen, der gerne ungestört durch die Stadt brausen möchte, ohne wegen eines Kinderwagens an einem Zebrastreifen anhalten zu müssen. Für alle anderen ist das jedoch unmittelbar evident und bedarf daher eigentlich keiner weiteren Begründung. Dennoch legt die Autorin zunächst einmal näher dar, warum sich Mütter besonders für ein Engagement in Stadträten und kommunalen Parlamenten eignen. Der Grund hierfür liegt ihr zufolge darin, dass sie „gleich mehrere Kompetenzen“ besitzen, „die für die politische Arbeit relevant sind“. So besäßen sie gegenüber anderen einen „enormen Erfahrungs- und Wissensvorsprung in Bezug auf die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und oft auch alten Menschen“. Außerdem seien sie „geübt darin, den Alltag unterschiedlicher Menschen virtuos zu koordinieren“, wobei sie selbst „die Fürsorge für Angehörige, Erwerbsarbeit und häufig zusätzliches ehrenamtliches Engagement unter einen Hut [bringen]“. Außerdem besäßen Mütter „Durchsetzungsstärke, Organisationstalent und haben gelernt, herausfordernde Situationen unter zeitlichem und emotionalem Druck zu meistern“. Und nicht zuletzt seien sie „hervorragende Netzwerkerinnen“. Das sind zweifellos Anforderungen, die an Mütter gestellt werden. Ob sie diese Kompetenzen allerdings darum auch schon alle besitzen, sei einmal dahingestellt. Zweifellos zutreffend ist jedenfalls, dass die Sichtweise von Müttern in den Stadträten und Parlamenten wichtig ist. Und zwar nicht nur wegen des „Erhalt[s] oder Ausbau[s] von Beratungsstellen für Familien oder Frauenhäusern“, Fragen der „Kindergrundsicherung, des Elterngeldes und der Elternzeit und nicht zuletzt hinsichtlich des Arbeitsrechts während der Schwangerschaft“.

Zunächst einmal benötigen Mütter, die sich gerne engagieren möchten, Zöllner zufolge allerdings „niedrigschwellig Angebote“, um sich überhaupt erste einmal darüber informieren zu können, welche Möglichkeiten (partei-)politischen Engagement es in ihrer jeweiligen Stadt gibt. Zöllner regt daher „Tage der offenen Tür im Rathaus oder ‚Onboarding-Programme der Parteien“ als erste Schritte an. Haben sich Mütter für ein politisches Engagement entschlossen, liegen ihnen auch schon die ersten Steine im Weg. Denn es ist aufgrund der mütterlichen „Mehrfachbelastung“ einerseits und der „strukturelle[n] Hindernis[se]“ andererseits „nicht einfach, als Mutter kleiner Kinder in der (Kommunal-)Politik aktiv zu werden“.

Zöllner beklagt etwa, dass „parteiinterne Entscheidungen, ebenso wie das Wahlrecht, die Chancen von Politikerinnen systematisch verringern“. Hinsichtlich des Wahlrechts ist das nicht unmittelbar einleuchtend. Zwar würde eine gesetzlich vorgeschriebene Geschlechterparität den Frauenanteil erhöhen und wird von Zöllner daher auch gefordert, doch heißt das noch nicht, dass das jetzige Wahlrecht Frauen systematisch benachteiligt. Die Autorin begründet ihre Kritik nicht zuletzt damit, dass Wählende zwei Stimmen haben. Über die erste werden Direktmandate vergeben; die zweite bestimmt den Anteil der Parlamentssitze, die jeder Partei zustehen. Tatsächlich erringen Frauen sehr viel seltener als Männer ein Direktmandat. Das aber ist keine Benachteiligung durch das Wahlrecht, sondern durch die Parteien, die Frauen nur selten einmal als Direktkandidatin eines aussichtsreichen Wahlkreises aufstellen. Würden – dieser utopische Gedanke sei einmal gestattet – alle Parteien nur Frauen als Direktkandidatinnen aufstellen, sähe das ganz anders aus. Jedenfalls sagt Zöllner in ihrem Anfang 2025 erschienenen Buch voraus, dass die Wahlrechtsreform von 2023 den Geschlechterbias im Bundestag sogar noch weiter auseinanderklaffen lassen wird, da die Sitzverteilung nun ausschließlich durch das Zweitstimmenergebnisses bestimmt wird und Direktmandate nur noch so lange wahrgenommen werden können, bis die durch das Zweitstimmenergebnis erhaltenen Sitze ausgeschöpft sind. Das Ergebnis der Bundestagswahl vom Februar des gleichen Jahres bestätigt die Prognose der Autorin. Denn von den direkt gewählten KandidatInnen können 23 ihr Mandat nicht wahrnehmen. Davon sind 15 Männer und acht Frauen. Das ist ein Frauenanteil von 34,78 %, während ihr Anteil im Bundestag 32,4 % beträgt.

Auf kommunaler Eben sorgt allerdings etwa anderes für die Benachteiligung von Müttern – und zwar der gewählten. So werden etwa die Tagungstermine kommunaler Rats- und Ausschusssitzung in aller Regel auf den frühen Abend gelegt, um Berufstätigen die Teilnahme zu ermöglichen. Denn die gewählten VertreterInnen sind auf kommunaler Ebene fast immer ehrenamtlich tätig. Zu dieser Tageszeit sind die meisten Mütter mit der Betreuung ihrer Kinder beschäftigt, zumal wenn diese noch im Vorschulalter sind. Gewählten Müttern rät Zöllner daher, sich zu informieren, ob die jeweilige Kommune die Kosten für eine Kinderbetreuung während den Sitzungen übernimmt. Einige Städte haben tatsächlich entsprechende Regelungen.

Zwar bleiben Zöllners Forderungen gelegentlich recht vage und besagen etwa, es „müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die jedem Menschen – unabhängig von dessen privaten Lebensumständen – ein gesellschaftspolitisches Engagement ermöglichen“. Andere aber sind sehr konkret und nachvollziehbar. So etwa, dass „für langjähriges kommunales Engagement im Gemeinderat oder als Bürgermeister:in […] Rentenpunkte vergeben werden [sollten]“. Außerdem schlägt sie Online-Sitzungen vor, da sie „die Vereinbarkeit von Familie und politischem (Ehren-)Amt [erleichtern]“. Das ist zweifellos zutreffend. Auf die Nachteile solcher Sitzungsformate geht sie allerdings nicht ein. Die von ihr geforderte Einführung eines Anspruchs auf Lohnfortzahlungen während des Mutterschutzes für ehrenamtlich tätige Politikerinnen ist hingegen uneingeschränkt sinnvoll. Für Bürgermeisterinnen ergeben sich durch den mit „Schwangerschaft und Geburt“ einhergehenden Einkommensverlust ebenfalls „konkrete Nachteile“. Noch schlimmer stellt sich die Lage von Müttern dar, die im Bundestag oder in einem der Landesparlamente sitzen. Denn da ihre Mandate personengebunden sind, ist es ihnen nicht möglich, in Elternzeit zu gehen.

Zöllner formuliert aber nicht nur Forderungen an Politik und Gesetzgebung, ihr Buch ist vielmehr vor allem ein Ratgeber für Mütter, die sich überlegen in die Politik, namentlich in die Kommunalpolitik einzusteigen. Die Autorin spricht diese Mütter vertraulich mit Du an und versorgt sie mit etlichen Ratschläge, „Coaching-Tipps“, Auskünften zu weiterführenden Literatur und weiteren Hinweisen unter der Überschrift „Was du tun kannst“. Sogar ein „‚Crashkurs’ Aufbau und Funktionsweise der politischen Vertretung auf kommunaler, Landes-, Bundes- und Europaebene“ ist in dem Buch zu finden. Dabei enden ihre Ratschläge keineswegs mit dem Eintritt in die Politik. Für Mütter, die ihn vollzogen haben, bietet Zöllner weitere Praxistipps etwa für einen „erfolgreich[en] Wahlkampf“.

Zöllner beschließt den ersten Teil ihres Buches mit einem hoffentlich nicht allzu utopischen Blick in die Zukunft des Jahres 2055, in dem erstmals eine Mutter Bundeskanzlerin wird.

Den zweiten, fast ebenso umfangreichen Teil des Buches füllen 21 Gespräche, die Zöllner mit Müttern und anderen Frauen führt, die sich politisch engagieren. Etliche von ihnen sitzen Stadträten und Parlamenten oder sind in der Landes-, Bundes- oder Europapolitik aktiv; andere in NGOs, Verbänden, Beiräten, Gewerkschaften oder in der Lobbyarbeit. Da Zöllner im ersten Teil bereits derart ausführlich aus diesen Gesprächen zitiert, dass die Zitate fast die Hälfte des Umfangs dieses ersten Teils ausmachen, nimmt sich der zweite Teil mit den ungekürzten Gesprächen gelegentlich etwas redundant aus.

Dennoch ist Zöllners Buch eine wichtige Ermutigung für Mütter, die sich in die (Kommunal-)Politik wagen wollen. Mehr noch: Es bietet zugleich Hilfestellungen, diesen Weg zu beschreiten.

Titelbild

Sarah Zöllner: Mütter in die Politik! wie der Einstieg in die (Kommunal-)Politik gelingt.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2025.
228 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783897414976

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