Mythos und Macht

Yeti und Weihnachtsmann im Comicstrip

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Weihnachtsmann ist klein, nicht größer als ein Pinguin. Er ist Langschläfer und wohnt am nördlichsten Punkt der Welt. So die Weihnachtsmann-Version von Robin undTrondheim. Wie schon in der "Fliege" (Reprodukt) experimentiert Trondheim alleine mit dem erzählerischen Mittel des Bildes. Die Verweigerung oraler Kommunikation bedingt eine große Handlungsdichte; durch Auflösung von Panels und Bildzwischenräumen tragen die beiden Autoren der gedrängten Erzählweise Rechnung. Dabei ist der Seitenaufbau flexibel für Handlungsbetonungen und Geschehnisfokussierung.

Mythen und Mythizismen erhalten hier eine gesonderte Stellung. So klammern die beiden Franzosen Sexualität und Weiblichkeit aus und ersetzen sie durch eine verstärkte Annäherung an die Natur; der Weihnachtsmann ist quasi mit seiner Umwelt verheiratet. Dass diese nicht nur positive Seiten hat, wird durch die bedrohliche Feuerschlange symbolisiert. Ihren Gegenpol stellt Yeah-Yeah, der Yeti, dar, der den Weihnachtsmann vor der Schlange beschützt. Der Bruch mit traditionellen Mythenkonzeptionen vollzieht sich einerseits bei den Rentieren: durch einen Überfall der Feuerschlange sind sie nicht in der Lage, den Schlitten des Weihnachtsmannes zu ziehen. Deshalb muss ein Schiff gebaut werden, mit dem die Gefilde der Menschen angesteuert werden. Andererseits besitzen die Federwichtel - die kleinen Helfer des Weihnachtsmannes - statt der Beine eine Sprungfeder, werden damit gleichsam mechanisiert und in den Produktionsprozess eingebunden.

Auch der Weihnachtsmann selber wird thematisiert: bei seinem Besuch in der Menschenwelt fotografiert man ihn wie jeden Kaufhausweihnachtsmann. Bild und Abbild werden nicht getrennt wahrgenommen, sondern tragen zu einem Aura-Verlust des Weihnachtsmannes bei.

Übernatürliche Mächte spielen darüber hinaus traditionellerweise im Umfeld des Weihnachtsmannes eine herausragende Rolle und ersetzen religiöse Bezüge: so ist der kleine Weihnachtsmann befreundet mit den Schneemännern, die ihm, nun belebt, die Weihnachtspost bringen. Zudem spielt die Fähigkeit zur beliebigen Vergrößerung oder Verkleinerung eine zentrale Rolle. Man kennt dieses Phänomen vom Sack des Weihnachtsmannes, der unendlich viele Geschenke zu bergen scheint. Robin weitet dieses Phänomen aus, wenn beispielsweise die Fabrikhalle der Federwichtel in ein unscheinbares Häuschen passt. Auch die materielle Herkunft der Geschenke offenbart sich auf äußerst unterhaltsame Weise: sie bestehen nämlich aus Müll. Da dieser am Nordpol ausgegangen ist, macht sich der Weihnachtsmann auf den Weg zu den Menschen, um dort Müll aufzutreiben.

Vor allem aus der Situationskomik des klassischen Comicstrip gewinnt Robin kurzweilige Unterhaltung, ohne allzu sehr der Oberflächlichkeit verhaftet zu bleiben - dafür sorgen ein breiter kultureller Hintergrund und eine gelegentliche sanfte Melancholie. Überaus lesenswert und ein gelungener Entwurf bzw. eine Neuinterpretation des klassischen Weihnachtsmann-Mythos, jenseits von Rudolph, the red-nosed reindeer.

Titelbild

Thierry Robin / Lewis Trondheim: Hallo kleiner Weihnachtsmann.
Carlsen Verlag, Hamburg 2000.
48 Seiten, 7,60 EUR.
ISBN-10: 355174792X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch