Ich bin doch nicht ewig Zone!

Thomas Brussigs deutsch-deutsches Kirchenasyl "Heimsuchung"

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der hessische Pfarrer Eberti wundert sich darüber, dass sein Gotteshaus leer und das Kino immer gut gefüllt ist. Von der Anziehungskraft des Leinwand-Desperados Clint Eastwood überzeugt, installiert der geschäftstüchtige Geistliche einfach ein Eastwood-Plakat an seiner Kirche und hofft, dass sich ein paar verlorene Schäfchen statt in die Spätvorstellung in den Frühgottesdienst verirren. Ein klarer Fall von Selbsttäuschung, gleichwohl aus dem Leben gegriffen, man denke nur an die zahlreichen Seelsorger, die ihr so greises wie spärliches Publikum vermittels Technomesse und Chill-Out-Vesper verjüngen wollen. Für die undogmatischen Methoden des hessischen Hirten interessiert sich auch das ZDF, das ein Kamerateam schickt und aus zehn Stunden Gespräch drei boulevardtaugliche Sätze zusammenschustert. Fortan ist Pfarrer Eberti als kauziger Provinzpfaffe bundesweit bekannt, der die Meinung vertritt, man müsse auch mal wie Eastwood in seinen Filmen um der Gerechtigkeit willen das Gesetz übertreten.

Genau das haben die drei ehemaligen DDR-Punkrocker Zillus, Keks und Schulle getan und suchen nun Zuflucht bei Eberti. Eigentlich wollten sie einem einstigen Weggefährten, der die drei Musiker seinerzeit an die Stasi verpfiffen hat, einen Denkzettel verpassen. Doch es passierte ein Unglück, ein Schuss fiel und aus dem Denkzettel wurde ein echter Mord. Was liegt für die drei Rächer näher, als sich in das Kirchenasyl Pfarrer Ebertis zu begeben, der ja schließlich mit einem Revolverhelden im Dienste der Gerechtigkeit Werbung macht?

Die Situation in Thomas Brussigs Theaterstück "Heimsuchung" ist auf größtmögliche Konfliktentfaltung ausgelegt. Mit einer herbeigeholten Ärztin komplettiert sich das Personal und die unterschiedlichsten Ansichten, sozialen, ideologischen und geistigen Hintergründe prallen mit voller Wucht aufeinander: Ossis zwischen Anpassung und Opposition, Wessis zwischen Arroganz und Verständnis. Während Pfarrer Eberti gutmenschelt, schmeißt die Ärztin alle Political Correctness über Bord und doziert auf akademischem Stammtischniveau: "Das ist dieses stalinistische Erbe, Sie haben einfach keinen Respekt vor der freien Persönlichkeit! Aber das ist ja auch kein Wunder bei diesem Gruppenzwang, mit dem schon kleine Kinder auf den Topf gesetzt wurden, Sie kennen ja nur Macht und Ordnung, weiter reicht ihr Horizont nicht!"

Die drei Punker sehen sich permanent mit solchem "westlichen Halbwissen" konfrontiert und das bringt sie in die paradoxe Situation, das System, das sie hinter Gitter gebracht hat, im Westen der Republik auch noch verteidigen zu müssen. Der "Zonenstempel" auf ihrer Stirn scheint nie zu verblassen und dagegen versuchen sie sich zu wehren: "Ich bin doch nicht ewig... ich bin doch nicht ewig Zone!"

Brussig hat mit "Heimsuchung" ein wichtiges Thema angepackt, schließlich ist auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ein kollektives "Wir-Gefühl" zwischen Ost- und Westdeutschen nur in Ausnahmefällen auszumachen. Und es werden heute erfolgreich fragwürdige Bücher publiziert, in denen westdeutsche Hausfrauen unter Pseudonym ihr Höllenleben unter Zonis schildern oder Soziologen den Ossis Versorgungsmentalität und Verantwortungslosigkeit bescheinigen. Die Gräben sind tief und Thomas Brussigs Stück beschönigt das in keiner Weise. Zwangsläufig endet das deutsch-deutsche Kirchenasyl auch in der Katastrophe. Trotz der eigentlichen Schwere des Themas schreibt Brussig gewohnt witzig und originell, sein Talent für schneidige Dialoge hat er in seinen beiden Bestsellern "Helden wie wir" und "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" bereits unter Beweis gestellt. Dem Themenkreis DDR und Wiedervereinigung scheint der Ostberliner Brussig besonders verhaftet zu sein, er sollte aber aufpassen, dass er sich nicht darauf abonnieren lässt, sonst bleibt er noch selbst "ewig Zone".

Titelbild

Thomas Brussig: Heimsuchung. Schauspiel für fünf Personen.
Verlag Volk & Welt, Berlin 2000.
78 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3353011889

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