Stadt der Frauen

Ute Scheubs Kulturgeschichte der Frauen im Berlin der zwanziger Jahre

Von Anke HeimbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Heimberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eure Welt war so eng wie ein Kaninchenstall, auf allen Seiten mit Brettern vernagelt und ohne Lüftung. Wie haben wir euch verschreckt, als wir aus euren Wänden ausbrachen, wir jungen Mädchen von 1905, wir mit [...] unserer Rebellion gegen das Bürgerliche, wir mit der Forderung nach eigenen Wegen und Luft und Arbeit und dem Hunger nach wirklichem Leben ohne Verschleierungen und Fiktionen." (Vicki Baum, 1929)

"Stadt der Frauen" nennt der Klappentext zu Ute Scheubs kulturgeschichtlicher Studie "Verrückt nach Leben" selbstbewusst das Berlin der zwanziger Jahre. Und in der Tat setzt die Journalistin in ihrem reichhaltig illustrierten Buch ganz auf die berühmten, die erfolgreichen Frauen der Weimarer Zeit -auf die kulturelle Avantgarde der um 1900 geborenen Frauen. Scheub nähert sich der viel gerühmten Frauengeneration bewusst über ihre prominenten Vertreterinnen, genauer: über skizzenhafte Porträts, die sich beim Lesen als Streifzüge quer durch die Modethemen und kulturellen Facetten der 'goldenen' Zwanziger erweisen. Beispielsweise repräsentieren Vicki Baum, Dinah Nelken und Gabriele Tergit all jene Journalistinnen, die als Erste die Redaktionen der großen Berliner Tageszeitungen erobern konnten. Die beliebten Kabarettistinnen Valeska Gert, Rosa Valetti und Trude Hesterberg, ebenfalls weibliche Pioniere in einer traditionell männlich dominierten Kulturszene, verkörpern die neu erwachte Leidenschaft der Zeitgenossinnen für die ausgeprägte Café-, Bar- und Varietészene Berlins. Die Avantgardetänzerin Anita Berber steht für die unglaubliche Tanzwut der Berlinerinnen in den 'Roaring Twenties', Filmvamp Marlene Dietrich repräsentiert die allgemeine Kinobegeisterung der Großstädterinnen. Und schließlich leben die erfolgreiche Modekorrespondentin Helen Hessel, die Sexualwissenschaftlerin und -therapeutin Charlotte Wolff und die gefeierte Chansonette Claire Waldoff den Massen das Ideal von 'freier Liebe und Sexualität' vor und bekennen sich offen zu ihren homoerotischen Beziehungen. Einzig die dadaistische Künstlerin Hannah Höch, der Ute Scheub ein eigenes Kapitel widmet, scheint nicht wirklich in den Reigen der berühmten 20er-Jahre-Frauen zu gehören. Da sich Höch als Künstlerin ebenfalls der traditionellen Geschlechterrolle verweigert und sich eigensinnig einen Platz im Herrenclub der Berliner Dadaisten erobert, mag sie zwar vordergründig in die Konzeption der Autorin passen, doch liegt Hannah Höchs Berliner Zeit etwas vor der im Buch kulturgeschichtlich anvisierten.

Die populären Frauen, die den Leser durch das Berlin der zwanziger Jahre führen, dienen Ute Scheub nicht nur zur Vermittlung kultureller Massenphänomene wie Charleston, Kintopp und Kabarett. Ganz nebenbei und dabei äußerst geschickt transportiert sie mit den berühmten Frauen der Weimarer Jahre das moderne Frauenideal der Zeit - das Bild von der beruflich erfolgreichen, unabhängigen Frau, der 'Neuen Frau', wie der damalige Begriff für die emanzipiert auftretenden Frauen der zwanziger Jahre lautete. Gerade prominente Frauen wie Anita Berber, Marlene Dietrich oder Rosa Valetti prägten das Bild der 'Neuen Frau': rauchend, mit modischem Bubikopf und kniekurzem Rock oder auch mal mit Monokel und Smoking saßen sie in den angesagten Tanzcafés und Frauenbars der Stadt, ließen sich beim Boxen oder Autofahren - den neuen modischen Volkssportarten der Berlinerinnen - ablichten, kurz: genossen die neuen Freiheiten. Ute Scheub interessiert sich jedoch nicht nur für die Glanzseiten der 'Neuen Frauen', sie fragt nicht nur nach dem aufregenden, sondern auch nach dem alltäglichen Leben in den muffigen Redaktionsstuben und ärmlichen Kellerkabaretts. Wie schaffte die alleinerziehende und allein erwerbende Journalistin und Schriftstellerin Dinah Nelken den Balanceakt zwischen Kind und Beruf? Wo waren Ehemann und Geliebter Helen Hessels, als sie zum wiederholten Mal ungewollt schwanger wurde und sich wieder einmal zu einem Abbruch entschließen musste? Ute Scheubs Studie zeigt: ob prominente Ausnahmefrau oder kleine Angestellte, die angeblich rundum befreiten und selbstbestimmten 'Neuen Frauen' mühten sich meist allein, die Folgen der 'freien Liebe' zu tragen bzw. Kind und Karriere zu vereinbaren.

Doch so unterhaltend, ja faszinierend sich Ute Scheubs biographische Annäherungen an die Frauenidole der zwanziger Jahre auch lesen mögen, so unverständlich bleibt ihr nachlässiger Umgang mit der biographischen Quellenlage. Denn überall dort, wo auf Autobiographien und Biographien wie beispielsweise im glücklichen Fall von Vicki Baum, Claire Waldoff oder Valeska Gert nicht zurückgegriffen werden kann und die bio-bibliographischen Nachschlagewerke wenig hergeben, zieht Scheub - soweit vorhanden - fiktionale Texte als biographische Quellen heran. Am eklatantesten zeigt sich diese Verfahrensweise bei der Schriftstellerin und Journalistin Dinah Nelken: der fiktionale Text wird als Quelle und Ausdruck autobiographischen (Er-)Lebens verstanden und verwendet; interpretiert wird also Nelkens Leben und komplementär dazu die Literatur. Die eigene, zugegeben aufwendige Recherche in einschlägigen Archiven und Bibliotheken hat Ute Scheub hier offensichtlich gescheut.

Titelbild

Ute Scheub: Verrückt nach Leben. Berliner Szenen in den zwanziger Jahren.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000.
191 Seiten, 9,70 EUR.
ISBN-10: 3499226790

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