Wenn dich die bösen Buben locken

Bildungsbeflissene Ironie aus der Streiflicht-CD

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das "Streiflicht" steht immer oben links in der "Süddeutschen Zeitung". Alle für das Leben wichtigen Dinge werden hier behandelt: das Tier, die Weltumschwimmung, der Fortschritt, der Weltraum, das Ausland. Essen, Trinken, Hungern, Politik, Fußball, Verkehrswesen, Wirtschaft, Sprache, Todesfälle, Kunst. Der gemeinsame Nenner dieser Themenvielfalt: die Lust an der intelligenten Abschweifung. Die Streiflichtautoren begeben sich konsequent in die Niederungen des Alltäglichen. Und sie erwehren sich zugleich seiner Vorherrschaft, indem sie es satirisch überzeichnen, es über sich selbst hinaustreiben und es - nicht ohne Koketterie mit dem eigenen Bildungsstand - ironisch 'ernst' nehmen.

Als lustvolle Niveauunterschreitung dürften auch die etwa vierhundert Zuhörer im Schlachthof München die nun auf CD erhältliche Streiflicht-Lesung vom April 2000 empfunden haben. Der Silberling präsentiert insgesamt fünfzehn der von den Autoren selbst rezitierten Glossen - ein Umstand, der schon angesichts der guten Sprecherqualitäten von Axel Hacke, Herbert Riehl-Heyse, Claus Heinrich Meyer und insbesondere Rainer Stephans als Gewinn zu verbuchen ist. Helmut Kohl, Franz Beckenbauer, Michael Jackson, der Bertelsmann-Chef Frank Wössner (ein "Analphabet in Nadelstreifen"), sie alle werden auf die ironische Schippe genommen. Riehl-Heyse ist sich gar für Indiskretionen nicht zu schade und berichtet von Reich-Ranickis Tisch(un)sitten anlässlich eines Empfangs zu Ehren Lea Rabins.

Immer wieder ranken sich die Streiflicht-Geschichten um bunte Meldungen aus der Tagespresse, beispielsweise um die Nachricht vom nesthockenden Sohn in Celle, den nur ein richterliches Urteil zum Verlassen der elterlichen Wohnung bewegen konnte. Intellektuell goutierbar werden solche Fakten jedoch nur, wenn ihnen das passende Gewand verliehen wird, wenn der Streiflichtautor seine Assoziationsmaschinerie warmlaufen lässt, und - wie im vorliegenden Fall - Strukturhomologien zum Märchen konstatiert, oder dem Banalen durch Anrufung von Zeugen - Dichtern zumeist - zusätzlichen Sinn abzutrotzen sucht. Auf das Publikum wirkt dieser Bildungsflitter wie ein Spiegel: es erkennt in jeder mehr oder weniger intelligenten Anspielung eine Höflichkeitsadresse an den eigenen Intellekt und quittiert sie mit dem Lachen des Wissenden.

Wie aus einem Guss passieren die Streiflichter Axel Hackes den Gehörgang. Mit Voltairescher Ironie sinniert der Autor über die Einwanderung der chinesischen Wollhandkrabben in die deutschen Gewässer. Sollte man der ungehinderten Ausbreitung dieses Tierchens nicht durch "Abschiebelager" Einhalt gebieten? Bei seinen Phantastereien zu einer Zeitungsmeldung über einen auf unerklärliche Weise im Meer aufgefundenen Hirsch stehen Hacke Hemingway und Ringelnatz zur Seite, im Streiflicht über den Versuch der Ozeanüberquerung im Einhandsegler berührt er wie nebenbei einige Meilensteine aus der Geschichte des Reisens. Vom Fortschritt und vom ungezügelten Rekordwesen angestachelt entfaltet er seine Vision von einem riesigen Pferd, das die zahllosen Pferdestärken eines Raketenautos in sich vereinigt: "Ben Hur wäre ein Flohzirkus dagegen."

Besonnener und weniger skurril nehmen sich dagegen Stephans sprachkritische Glossen zum "Einmarsch" in den Kosovo oder zum Konjunktiv aus. Der Sprecher endet nicht, ohne die Autorität Luthers zu bemühen: "Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele."

Titelbild

Axel Hacke / Claus Heinrich Meyer / Herbert und Stephan, Rainer Riehl-Heyse / Stephan Rainer: Streiflicht-CD. Kopfnüsse und Musenküsse aus der Süddeutschen Zeitung. 1 CD, Spieldauer 59 Minuten.
Verlag Antje Kunstmann, München 2000.
16,40 EUR.
ISBN-10: 388897254X

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