Kein Land in Sicht

Ernst Bloch ist ins Gelingen verliebt

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Blochs Denken ist ein Ozean. Es ist unendlich weit, hier und da von bedrohlicher Tiefe, ist an der Oberfläche vielfältig gebrochen und gewinnt seine Monumentalität aus romantisch-ironischer Unendlichkeit. Es verschlingt und man kann darin verloren gehen. Expressionistische Sprachstürme wehen durch die Formulierungen und einige sperrige Fragmente gleichen surrealistischen Eisschollen, die am Bug des distanzierten Lesens schaben. Zweifellos, Bloch-Lektüren beleben, denn sein Denken beschwört die Sehnsucht nach dem gelobten Land herauf. Da passt es, wenn sich heute der Insel Verlag mit dem verheißungsvollen Logo eines Segelschiffs seiner Philosophie annimmt.

Allein, von "Land in Sicht" kann für die Philosophie der politischen Linken heute keine Rede sein. "Ungleichzeitigkeiten" nannte Bloch selbst den hoffenden Überschuss anachronistischer Praxen und ungleichzeitig ist er heute selbst wie kaum ein anderer Denker. Schlecht romantisch erscheint der ewige Blick nach Nirgendwo, das einmal besser sein soll, geradezu fromm der optimistische Appell an die Hoffnung, die, wenn auch ohne marxistisch-politischen Unterton, noch der letzte Dorfpfarrer predigt. Nicht ganz zu Unrecht ist Bloch heute versunken: Weniges ist so diskreditiert wie der totalitätsgläubige Wunsch nach einer versöhnten Gattung, deren identitären Beigeschmack Blochs Denken wohl niemals überzeugend ausräumen konnte. "Der Mensch" und "die Materie" spuken durch seine Schriften und die gnostische Entzifferung ihrer verborgenen Wahrheit dürfte heute nur wenige ambitionierte Leser überzeugen, die durch die Schule postmoderner Wahrnehmungen sensibilisiert wurden und politischen Propheten notorisch misstrauen.

Bloch ist tot, zweifellos, doch nicht alle seine Buchstaben mögen heute passé sein, nicht jeder Gedanke ungeeignet für politische Strategien und emanzipative Praxis nach der vorläufigen Niederlage der politischen Linken. Wie aber sollte es möglich sein, einen linken politischen Diskurs im Medium Bloch'schen Denkens zeitgemäß auf den Büchermarkt zu bringen?

"Ins Gelingen verliebt" nennt sich ein Versuch, das Denken Ernst Blochs häppchenweise und mundgerecht einem unvorbereiteten Publikum zugänglich zu machen. Die Liebe des von Karl Heinz Weigand herausgegebenen und von Klaus Kufeld eingeleiteten Bandes bleibt jedoch, das sei vorweggenommen, eine unglückliche. Von Gelingen keine Spur. Der Hinweis auf den Anachronismus, über den hinaus ein Weg zu Bloch allein zu finden wäre, unterbleibt; die Andeutung der politischen Brüche in Blochs Biographie, der Kämpfe und der Niederlagen, aus denen heraus der politische Geist Blochs erst wieder zum Spuken zu bringen wäre, fehlt. Eine Verkitschung und Entpolitisierung der Bloch'schen Philosophie ist die Folge.

Die mundgerechten Bloch-Häppchen sind überwiegend in Aphorismen verwandelte, künstlich fragmentarisierte Versatzstücke großer philosophischer Prosa. Leider sind dekontextualisierte Formulierungen meist banal, weil sie die Last eines geraubten Zusammenhangs nicht auf sich nehmen können. Oftmals werden sie zu moralischen Platituden. Und die hervorragenden, als Aphorismen geschriebenen Zeilen Blochs, vornehmlich aus den "Spuren", verlieren durch jene schlechte Gesellschaft an Qualität. Inmitten von Banalitäten à la "die Welt ist eine Frage" oder tröstenden Worten über Lebensmut und die Hoffnung "an und für sich" verwischen sich auch die feinsinnigen, alltagshermeneutischen Beobachtungen, durch die ein surrealistischer Bloch sich einmal ausgezeichnet hat. Das durchschimmernde Glücksversprechen, das die Bloch'sche Philosophie gibt, verwandelt sich durch die Preisgabe der "Anstrengung des Begriffs" in die Ratgeber-Weisheit von Kalender-Sprüchen.

Unbeholfen wie die gesamte Aphorismen-Sammlung sind auch die farbigen Illustrationen von F. W. Bernstein. Sie zwängen Bloch beziehungslos in Kostüme altmeisterlicher Porträtbilder, von Holbein, Rembrandt oder Vermeer. Die Pointen sind erzwungen und bleiben dem Eigensinn des Bloch'schen Schreibens äußerlich. Als Belustigungen tragen sie jedoch nur zur nostalgischen Verkitschung einer ehedem politisch-praktisch ambitionierten Philosophie bei: karikaturistische Ikonographie für linke Folklore, die sich schwer tut, sich selbst bei der Stange zu halten. Bloch wandert in die Ahnengalerie, anstatt dem subversiven Wissen von Freibeutern eine Form zu geben. Ja, ja, die Hoffnung. Aber Hoffnung ohne Brüche, ohne die Narben des Kampfes und der Niederlagen ist ihre eigene kulturindustrielle Perversion. Vielleicht hätte Bloch dem zugestimmt. Ansonsten wäre er exakt der erbauliche Philosoph der Kalender-Weisheiten, den wir heute nicht mehr lesen müssen.

Titelbild

Ernst Bloch: Ins Gelingen verliebt. Aphorismen und Lebensweisheiten. Mit farbigen Illustrationen von F. W. Bernstein.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
96 Seiten, 7,10 EUR.
ISBN-10: 3458344020

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