An den Altar gekettet. Nackt! Geweiht!

Christoph Geisers "Baumeister" wälzen sich im Sündenpfuhl

Von Sandra TurnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Turner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann, nackt, auf der Folter; am Abgrund unter Trümmern; unerreichbar, unerlöst - ein Körper im Kerker. In Ketten gelegt, abgeführt, verhört. Gefesselt am Pfahl. Peitschenhiebe am eigenen Leib. Zur Strafe. Wofür? Für einen Fehltritt? - "Jeder Schritt ist ein Fehltritt. Alles Verirrung. [...] Treppen verlieren sich, brechen ab. Das Gewölbe verliert sich im nächsten Gewölbe, das sich in den Gewölben verliert. [...] Es gibt den richtigen Weg nicht. Das ist der Kerker. Nichts dringt heraus, nichts herein, alles ist ausgesperrt, ausgespart. Nichts ist außer dem Kerker. Und der ist nie fertig gebaut -"

Christoph Geiser provoziert bis aufs Messer. Nicht etwa mit den Schreckensszenarien eines Danteschen Infernos. Oder jener Hölle, die der Baumeister und Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi in seinen barocken Radierungen vor Augen gehabt haben mag. In deren eine sich ein Mann vertieft. Und grausam, aber umso genüßlicher ausphantasiert, was er unter seinem dreifach vergrößernden Leseglas zu entdecken glaubt: Baugerüste und vergessenes Werkzeug verwandeln sich zu Folterwerkzeugen, und Menschen, schemenhaft erkennbar nur, zu Gefolterten. Wirklichkeit ist nichts als Illusion, Theaterkulisse; und menschliches Leid zeitlos: Inferno, die reinste Hölle - das erste Kapitel.

Doch Pustekuchen, weit gefehlt! - In Windeseile holt Christoph Geiser den Leser vom Holzweg, sofern letzterer denn literarische Auseinandersetzung mit der Hybris von Baumeistern erwartet. Natürlich begibt sich Geiser auf die Schliche derer, die über die Leiche der Natur gehen, um sich selbst ein Stückchen Ewigkeit zu verschaffen. Derer, die ihre Holzpüppchen nur an den unsichtbaren Strickchen ziehen, damit sie brav den Diener machen. Oder vor einem Hut knicksen. Oder die Flöhe im Pelz des großen Maître zu bestechen suchen.

Aber wie der Schweizer seine gottlose Komödie zeichnet! - Eine Hommage an den Phallus! Lustvoll, sexistisch und zuweilen so unverblümt, daß es unerwartet komisch wirkt.

Also nichts für Leser, die sich gleich düpieren lassen von Christoph Geisers ausgeprägtem Interesse für Knabenarschitektur. Nichts für solche, denen 263 Seiten stream of consciousness zu anstrengend sind, und nichts für solche, denen dieses sprachliche Sammelsurium von Berliner Schnauze über schlüpfrige Wortspielereien bis hin zu gestochenem Diskursvokabular nicht behagt. Gespür für Nuance ist dem Mann - neben der Lust an Leder und Sklavenpeitsche - sehr wohl zueigen, auch wenn er sich zuweilen in seiner kapriziösen Sprache zu verlieren droht.

Eines ist ihnen allen gemein, diesen Bau-Meistern, Schöpfern und Kerker-Meistern, die allesamt nicht nur andere, sondern vornehmlichst ihren eigenen Genius und ihre Phantasie in Ketten legen, wie Geiser in seiner lyrisch verdichteten Prosa immer wieder feststellt: Größenwahn und Macht-geilheit. Macht, und Geilheit.

Hoden vermessen will der Mann mit dem Leseglas, Jünglings Naturzustand mit Jünglings Kunstabbild vergleichen, angekettet sein, reglos, im Kerker. Und den Knaben beim Hölzchen hobeln zusehen, oder helfen, oder was auch immer.

Ekstase, Rausch und Wahnsinn sind weitere Leitmotive, die Geiser neben dem der Zeitlichkeit und Wirklichkeit als Illusion immer wieder aufgreift. Im mittleren Kapitel, Purgatorio, nimmt Geisers Mann den Leser mit auf eine Schiffsreise. Nicht ins Fegefeuer, sondern in die inneren Räume des Menschen. Die "Brave New World" verzweifelt suchend, landet und strandet die Arche mit den appetitlich-prallen Matrosen schließlich im Paradiso. Natürlich bauen und ejaculieren die Adonisse auch im dritten Kapitel fleißig weiter.

Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, einen Winckelmann, Kleist und eben Piranesi auf erbärmlichstes Gebüschnischenniveau reduziert zu sehen, denn im Laufe dieser "Fickzion" degradiert Geiser die Vorlagen immer unverhohlener zu Folien seines Lust-wandels. Ob diese Art Erotik abgeschmackt ist und bei all der kunstvollen Sprache manchmal jeder Ästhetik entbehrt oder nicht, ist und bleibt letztlich Geschmackssache.

Auf jeden "Phall" auch eine Frage des Humors, denn bei soviel Schlüpfrigkeit kann man gar nicht anders als schmunzeln, auch wenn frau nicht so gut wegkommt im Roman. Oder gerade deshalb.

Titelbild

Christoph Geiser: Die Baumeister. Eine Fiktion.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 1998.
263 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3312002443

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