Ein utopischer Liebesroman

Joachim Hoell porträtiert Ingeborg Bachmann

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Jahre nachdem in der Reihe "Rororo Monographie" Hans Höllers Band zu Ingeborg Bachmann erschienen ist (vgl. literaturkritik.de 12/1999), hat das konkurrierende Unternehmen "dtv portrait" im Juni 2001 nachgelegt. Womit der Münchner Verlag ein gutes Gespür für marktgerechtes Timing bewiesen hat, denn just in diesem Monat wäre Bachmann 75 Jahre alt geworden, und derartige Jubiläen sind, wie man weiß, stets verkaufsfördernd.

Verfasst wurde der nun erschienene Band von Joachim Hoell. Dem Autor ist sowohl eine ausgewogene Gewichtung der Lebensabschnitte Bachmanns als auch ihrer Werke gelungen. Gleiches kann zum Verhältnis von Biographie und Œuvre gesagt werden. Neben den allgemein zugänglichen Quellen zieht Hoell unveröffentlichte Tagebuchblätter, Briefe und Nachlassblätter heran, deren auszugsweisen Abdruck ihm die Erben gestattet haben. Somit ist nicht nur das Interesse eines breiten Publikums gewährleistet, sondern auch das der Bachmannforschung. Doch natürlich sind nicht alle Zitatschnipsel von gleichem Gewicht. Der Nutzen für die Forschung wird zudem dadurch beträchtlich geschmälert, dass allzu oft nicht mitgeteilt wird, worum es sich bei dem einen oder anderen der hier erstmals zitierten Texte genau handelt. "Brief vom März 1971" etwa steht knapp unter einem in ein Kästchen gerücktes Zitat. Nun kann man zwar erschließen, dass es sich bei der Absenderin um Ingeborg Bachmann gehandelt haben dürfte, doch die ebenfalls nicht ganz unwichtige Frage, bei wem sie sich hier für die "guten Ratschläge" bedankt, lässt sich nicht aus dem Zitat selbst beantworten; und Hoell gibt keinen Kommentar. Den publizierten Quellen gegenüber verhält sich der Verfasser gelegentlich sehr unkritisch. Bezeichnet er Adolf Opels 1996 erschienenes Bilderbuch "Bachmann in Ägypten" gar als ein "nachträgliches Tagebuch", suggeriert er eine Authentizität, von der fraglich ist, ob sie Opels Publikation wirklich zukommt.

Zwar erkennt Hoell, dass sich "in dem von Männern dominierten Literaturbetrieb der fünfziger Jahre" an Ingeborg Bachmann Männerphantasien entzündeten und die 1954 erschienene Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" den "Anfang einer journalistischen Berichterstattung" markierte, die auf "das Frauenklischee hinter der Literatin" zielte. Doch weder kann er sich von dem 'männlichen Blick' selbst so recht befreien, noch erfährt man, dass es die feministisch orientierte Literaturwissenschaft war, die in den siebziger und vor allem achtziger Jahren begann, die männliche Interpretationshoheit zu brechen - und damit einen völlig neuen Zugang zu Bachmanns Werk eröffnete. Auch wird die Bedeutung der feministischen Bachmannforschung für die Interpretation von "Malina" und der 1978 aus dem Nachlass erstmals veröffentlichten Romanfragmente des "Todesarten"-Projekts kaum gewürdigt.

Hoells eigene Darstellung und Interpretation der Publikationen Bachmanns ist oft ungenau und wenig überzeugend. Das beginnt mit dem Darstellung ihrer Dissertation, von der gesagt wird, dass sie "in erster Linie aus einem Abriss der neopositivistischen Kritik von Rudolf Carnap an Heideggers Wahrheitsanspruch mit dem Verweis auf Wittgenstein" bestehe. Das ist sicher nicht ganz falsch, insofern Bachmann mit dieser Position am stärksten sympathisiert. Aber es ist auch nicht ganz richtig, denn tatsächlich referiert Bachmann unter anderem auch die Heideggerkritik des Historischen Materialismus, des Aktualen Idealismus, der Diltheyschule und des Marburger und Freiburger Neukantianismus, wobei Bachmanns Darstellung der neukantianischen Kritik mit 27 Seiten die umfangreichste ist.

Solche durch Auslassung erzeugte Ungenauigkeiten reichen bis zur Todesart Franzas in "Das Buch Franza": Sie "stirbt letztlich an den Pyramiden in Gizeh - Ursprung abendländischer Zivilisation -, indem sie mit ganzer Kraft ihren Kopf gegen die Steinquader schlägt." Hoells Einschub weist zwar eine interessante Interpretationsmöglichkeit auf. Allerdings wird auch hier etwas, und diesmal entscheidendes, unterschlagen, nämlich die der Autoaggression Franzas unmittelbar vorangegangene Vergewaltigung.

Zudem heben Hoells Interpretationen allzu sehr darauf ab, Biographisches in Bachmanns Werken zu entdecken. Er spricht von einer "Nabelschnur zwischen Leben und Werk" und findet etwa in "Unter Mördern und Irren" "eine Stammtischrunde portraitiert, die von Weigels Kreis im Café Raimund beeinflusst" sei. In Bachmanns Frauenfiguren glaubt er immer wieder die Autorin selbst zu entdecken. Unter dieser Vorgabe macht auch Hoell, wie andere vor ihm, in Max Frischs "Mein Name sei Gantenbein" und "Malina" einen intertextuellen 'Dialog' aus, eine Verarbeitung der beiderseits zugefügten Verletzungen - und schlägt sich auf die Seite Frischs. Frisch, so meint Hoell, "zeigt an der Figur Lila", die für Bachmann stehe, "dass Frauen für das Leiden der Männer verantwortlich sind, weil deren naives, unvernünftiges und neurotisches Verhalten für den Mann undurchschaubar, bedrohlich und zerstörerisch" sei. Das klingt ganz so, als habe Frisch hier eine Tatsache auf objektive Weise exemplifiziert. Bachmanns Wahrnehmung hingegen beschreibt Hoell als subjektiv verzerrt. "Für Bachmann", so fährt er fort, sei "eine solche männliche Zuschreibung [...] der Beweis, wie Frauen durch Männer klassifiziert, psychiatrisiert und getötet werden". Überhaupt würden "zahlreiche Lila-Episoden" von ihr "als destruktive Angriffe auf das weibliche Ich umgedeutet". In einem nicht geringen Spannungsverhältnis zu dieser Deutung steht Hoells Behauptung, "Malina" sei "auch ein utopischer Liebesroman". Eine Lesart, die in der Bachmannforschung wohl nur mit geringer Zustimmung rechnen darf.

Titelbild

Joachim Hoell: Ingeborg Bachmann.
dtv Verlag, München 2001.
160 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3423310510

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