Die Spielwiese der Avantgarde

Hadayatullah Hübsch stellt in "little mags" unabhängige Literaturzeitschriften vor

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Szene der unabhängigen Literaturzeitschriften ist unüberschaubar. Die Spannweite reicht von Trash bis Kunst, von Naturlyrik bis Social-Beat-Poetry, von kopierten und getackerten Fanzines bis zu teuren Sammlerstücken.

Bisher gab es nur wenige Versuche, alle diese Erzeugnisse einer "anderen" Literatur gesammelt vorzustellen und so interessierten Lesern einen umfassenden Überblick zu verschaffen.

In den siebziger und achtziger Jahren übernahm diese Aufgabe - in wahrscheinlich einmaliger Art und Weise - Josef "Biby" Wintjes mit seinem "Literarischen Informationszentrum" und seiner regelmäßig erscheinenden Zeitschrift "Ulcus Molle" (später als "Impressum" von Bruno Runzheimer bis 2000 weitergeführt).

Dieses Blatt war das erste und bisher einzige zentrale Medium der Szene. Hierüber liefen alle Ankündigungen, seien es Termine, Neuerscheinungen oder Ausschreibungen. Außerdem wurde hier kleinen Magazinen und unbekannten Autoren die Möglichkeit zur Vorstellung geboten.

Über die heutige Szene dagegen gibt es kaum Informationen: Ein gültiger Überblick ist schwierig zu leisten, da sich die Zeitungslandschaft ständig verändert und neue Blätter erscheinen, alte ihr Erscheinen einstellen. Das alles geschieht in zu kurzen Zeiträumen, als dass sich eine relevante Beachtung von Seiten der Leser einstellen könnte. Nur wenige Magazine überleben ihre Anfangsjahre.

Einen Versuch einer aktuellen Vorstellung der Szene hat jetzt Hadayatullah Hübsch mit seinem Buch "little mags" unternommen. Hübsch - Beatpoet, Schriftsteller, Journalist, Verleger und eine Art Urgestein der deutschen "Underground"-Szene - ist prädestiniert für diese Aufgabe: Seit den sechziger Jahren hat er alle Höhen und Tiefen der "Little Mag"-Szene mit durchlitten und war zudem wichtiger Initiator und Teilnehmer der jeweiligen Debatten und Strömungen.

Und folgerichtig stellt Hübsch am Anfang dieses Buches in einem kurzen Abriss erst einmal Geschichte und Hintergrund der alternativen Literaturszene in den USA und in Deutschland vor. Von den Anfängen der unabhängigen Literaturszene im Dada der zwanziger Jahre über politische Motivationen zum Widerstand in den Sechzigern, weiter zur Punk- und Independent-Bewegung der späten siebziger Jahre, bis hin zum Social Beat in den frühen Neunzigern und der aktuellen Debatte um das Für und Wider von Poetry Slams, erhält man eine gute, wenn auch kurze Einführung in die Thematik. Dabei erfährt man viel über die Motivation zum Selbst-Verlegen, doch auch kritische Fragen nach der Existenzberechtigung so mancher Zeitung schwingen mit.

Eine der entscheidenden Feststellungen Hübschs ist, dass die unabhängige Szene durchaus auch Verbindungen zum konventionellen, bürgerlichen Literaturmarkt hat: Autoren erproben ihr Talent und verfeinern ihr Fähigkeiten in kleinen Literaturzeitschriften, lange bevor sie mit Einzelveröffentlichungen in größeren Verlagen auf sich aufmerksam machen. In Umkehrung wenden sich manche etablierte Autoren vom Markt ab und widmen sich ausschließlich dem "Underground".

Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich Hübsch dann ausführlich mit der Frage, wie sich eine eigene Zeitschrift herstellen lässt. Hier bekommt das Buch dann auch den Charakter eines Ratgebers, alle Aspekte werden ausführlich unter die Lupe genommen: Neben der Frage des Titels und inhaltlichen Entscheidungen und Gestaltungstipps (inklusive einer Layout-Schablone zum Ausschneiden) finden sich viele nützliche Hinweise: Zusammenarbeit mit Autoren, Rechtsfragen, Impressum, Honorare, Anzeigenschaltung, Kalkulation, Direktverkauf, Vertrieb, Werbung u.v.m. An dieser Stelle wird die Erfahrung, die Hübsch selbst in der Herstellung von Literaturzeitschriften hat, besonders deutlich. Alle Ausführungen sind pragmatisch und zielbewusst, dabei jedoch immer vielfältig und undogmatisch.

Und auch die Frage, für wen eine Literaturzeitschrift eigentlich erscheint, wie sich das Publikum zusammensetzt und wie es gelingen kann, über die eigenen literarischen Interessen hinauszuschauen, um auch außerhalb des eigenen Bekanntenkreises Interesse zu wecken, bleibt nicht außen vor.

Zum Schluss werden einige besonders innovative Zeitschriften vorgestellt, die vielen Abbildungen lassen dabei ein gutes Bild der besprochenen Magazine zu. Abgerundet wird das Buch durch viele Adressen von Zeitschriften und anderen wichtigen Organen.

Natürlich erhebt auch dieses Buch nicht den Anspruch, sämtliche unabhängige Literaturzeitschriften zu erwähnen. Und selbstverständlich kann man die meisten der geschilderten Erfahrungen schon nach wenigen Ausgaben des eigenen Fanzines machen. Andererseits hat das Buch für Leser, die kein Interesse an der Herstellung einer eigenen Zeitschrift haben, zu sehr den Charakter eines Ratgebers.

Und doch: Für Einsteiger in die "little-mag"-Szene, die sich auch erstmals selbst an die Veröffentlichung eigener Literaturzeitschriften machen wollen, wird Hübschs Buch mit seinen vielen wertvollen Informationen eine große Hilfe sein, mit dem sich viele Startschwierigkeiten vermeiden lassen.

Titelbild

Hadayatullah Hübsch: Little mags. Unabhängige Literaturzeitschriften.
Autorenhaus-Verlag Manfred Plinke, Berlin 2001.
134 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3932909801

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