Vergangenheitsbewältigung contra Betroffenheitskult

Katharina Schäfers Gedichte thematisieren Schuld

Von Christiene SipkemaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiene Sipkema

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich sind Menschen, die sich mit sensiblen Themen wie dem Holocaust literarisch auseinander setzen jederzeit willkommen. Katharina Schäfer könnte auch zu ihnen gehören, jedoch kann es ihr mit ihrem Lyrikband "Weil ich keine Jüdin bin" nicht gelingen.

Spätestens seit Paul Celans "Todesfuge" wissen wir, dass das Grauen des Krieges in einfachen, wiederkehrenden Sätzen erzählbar ist. Beklemmung ist das, was nach der Lektüre des Gedichtes übrig bleibt, gepaart mit der Bewunderung für die klaren, doch aufwühlenden Worte, die dem Gedicht eine lange nachhallende Atmosphäre verleihen. Es braucht keine komplexen Symbole, keine experimentelle Metaphorik, um hinter die empfindlich brüchige Fassade des Sprechers blicken zu können. Vielmehr sind es alltägliche Dinge, die aufgereiht ein Schreckensbild ergeben. Was eindeutig klingt, muss es noch lange nicht sein.

Diese Erfahrung sollte auch Katharina Schäfer gemacht haben, als sie ihre Gedichte verfasste. So scheint sie sich bereits mit dem Titel ihres Lyrikbandes für die darin enthaltenen Strophen rechtfertigen bzw. entschuldigen zu wollen. Den Kausalsatz "Weil ich keine Jüdin bin" möchte man spätestens nach der Lektüre der ersten drei Gedichte mit "muss ich mich noch viel mehr quälen" vervollständigen. Den Schrecken des Krieges setzt sie recht klischeehaft um: "Tausendmal auferstanden die Toten. / Tausendmal niedergeknüppelt, verlacht. Tausendmal nach Ausschwitz gebracht." Das, was die Dichterin ausdrücken will, ist stellenweise so offensichtlich und ohne interpretatorische Mühen erkennbar, als müsste man lediglich einen Stift zücken und im vollsten Vertrauen auf das Kleingedruckte routiniert unterschreiben.

Gleichwohl ist zunächst sehr viel dichterisches Können erkennbar. Das erste ist zugleich auch das aussagekräftigste Gedicht. Es stellt sowohl die Unfähigkeit des Sprechens als auch dessen absolute Notwendigkeit dar; gleichzeitig leitet es die folgende lyrische Anthologie um Krieg, Schuld und Tod ein, wiederum mit einem rechtfertigenden Unterton: "wir / nackt und schon / in schuld gehüllt solange / unser schweigen noch auffällt / wie ein kleines, blaues dreieck in schwarz / singen wir, singen / bis zum letzten zug unseres atems / das unsagbare / an".

Überschrieben ist "Sprachlos", so der Titel dieses Stückes, mit einer belehrend anmutenden Kapitelüberschrift: "Am Anfang der Lyrik steht die Sprachlosigkeit." Sehr schön, möchte man kommentieren, und das übernächste Gedicht, diesmal unter dem Vorsatz "Das Schweigen, aus dem Gedichte entstehen, ist das Schweigen, in das wir vergehen" lässt den Leser tatsächlich verstummen. Hatte er hinter der eingängigen Sprache und der Verknappung bereits Celan'sche Einflüsse erahnt, so wird er darin insofern bestätigt, als er beim Anblick der Schäfer'schen Umsetzung zusätzlich zum Mund auch die Augen zukneift: "Die Milch war schwarz, wenn überhaupt." Was, wenn überhaupt nicht?

Die Dichterin gibt Rätsel um Rätsel auf; hat man die ersten Kapitel gelesen, wünscht man sich den wahren Celan mit seiner Fähigkeit, subtile Lähmung zu erzeugen, zurück.

Im Gegensatz zu ihrem selbst gewählten Vorbild enthalten Schäfers Gedichte keine erkennbare Entwicklung. Letztendlich findet sie keine Antwort auf die Frage, wie nun mit dem Krieg und seinen Nachwirkungen umzugehen ist. Berichthaft wirken die Darstellungen aus der Sicht der Nichtbetroffenen, die sich die Schuld schonungslos aufgeladen hat, um ihrer Umwelt zu beweisen, dass sie sich sehr wohl mit dem Schicksal der Ermordeten von Auschwitz auseinander setzt.

Die Stücke repetieren die bekannten Stereotypen des Krieges in geordneter, bald enervierender Regelmäßigkeit: Tod, Atemnot, Sprachverlust, Schuld. Bald sieht es so aus, als müsste die Dichterin an der sich selbst verordneten Schuld ersticken. Da hilft auch keine "Selbstermahnung" mehr: "Weil ich keine Jüdin bin" entpuppt sich als emotionale Autosuggestion einer selbst ernannten Märtyrerin, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, ihre Verzweiflung an der Welt in verbrauchten Metaphern solange wiederzugeben, bis auch ihre Leser glauben müssen, dass sie selbst es waren, die Auschwitz erbauten und somit eine eigene Schuld tragen.

Der allen Gedichten zugrunde liegende Pessimismus verbietet geradezu die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit, die immer weniger Menschen nachvollziehbar ist. Leider ist es Schäfer nicht gelungen, einen behutsamen, dennoch ergreifenden Weg aus dem Teufelskreis der selbst auferlegten Schuld zu finden. "Heimatlos" ist sie, wie auch viele andere, die versuchen, ihren gut gemeinten, dennoch überflüssigen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung zu leisten: "Mit dem Tagebuch der Anne Frank / War meine Kindheit beendet / Bis heute suche ich Antwort auf das Warum / [...] / Niemand habe ich Treue geschworen / Außer ihr". Als die Dichterin diesen "Eid" schwur, hat sie etwas Entscheidendes vergessen: Will man (statt Celan) Anne Frank treu bleiben, so muss man kindlichen Willen und ebensolche innere Stärke haben, dem Schrecken des Krieges zu trotzen, um positiv denken und leben zu können.

Titelbild

Katharina Schäfer: Weil ich keine Jüdin bin. Gedichte.
Joanmartin Literaturverlag, Berlin 2000.
95 S., 15,30 EUR.
ISBN-10: 3935401000

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