Atemlos und ohrenbetäubend

Martina Hügli gönnt sich keine Verschnaufpause

Von Christina HartwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Hartwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was fasziniert an Gedichten? Mal ist es ihre schlichte Klarheit, mal das kunstvolle Experimentieren mit Worten, ein weiteres Mal die wie es scheint vollkommene Übereinstimmung von Inhalt und Form.

Beim Lesen der Gedichte von Martina Hügli wird man von der spürbaren Dynamik und Lebendigkeit sofort berührt. Da summt, zittert und bebt es zuweilen, oder es flattert und schwirrt, und gleichzeitig dringen dem lyrischen Ich und damit auch dem Leser verschiedene Farben und Laute in Augen und Ohren.

Glänzen und Leuchten, Brennen und Flammen bilden jedoch häufig das Gegengewicht zu einem verschluckenden Dunkel. Auf der anderen Seite von Tönen und Geräuschen, Farben und Leben gibt es Felsen und Verstummen, Sterben und Tod.

In ihren Gedichten drückt Martina Hügli die Schnelllebigkeit, die rastlose Hast aus, die dem Subjekt die Suche nach der eigenen Persönlichkeit erschweren. In ihnen zeigt sich die Ohnmacht gegenüber dem, was ohne Rücksicht auf den Menschen einstürzt und ihn unter sich zu begraben droht: gestorbene Liebe, ein plötzlicher Abschied, Hilflosigkeit und Angst. "Ich ringe mit Luft, die nicht zu mir will und verschluckt mich am ende: schwarz." Und doch ist Hoffnung erkennbar, denn Gestein kann durch akustische Kraft aufgebrochen werden. Nach einem Lachen springt "der fels [...] im echo entzwei und eröffnet ein tal".

Es ist die Natur, die das Subjekt zur Ruhe und zu sich selbst finden lässt. "Ich bin am Meer so sehr bei mir, dass ich für mich nichts will", lautet der Anfang von "meer I".

Diese Augenblicke der Ruhe bieten auch dem Leser eine kurze Erholung und die Möglichkeit zur Reflexion. Denn man liest nicht nur, sondern begleitet das lyrische Ich und erlebt so dessen Erfahrungen mit.

Die Gefühle und Gedanken, die Dinge und die Umwelt werden sehr genau beschrieben. Nacktheit wird empfunden und von Schwärze bedroht: Frösteln, Stille, Atmen, Verlorenheit und wieder Halt und rot glühende Farben. Die Gedichte zeichnet ein ständiger Wechsel aus, sie zeigen ein Hin- und Hergerissensein zwischen Leben und Tod. "In der lehmhalde nackt liege ich von der Sonne durchwärmt bis ich knochen um knochen erspüre als wäre ich tot oder schon wieder lebendig".

Dass der Lebensweg, die Suche nach dem eigenen Ich, von Hügeln und Tälern, von Rastlosigkeit und Unruhe geprägt ist, verdeutlichen sowohl der Inhalt als auch die Form von Martina Hüglis Gedichten. Durch zahlreiche Enjambements, eine unregelmäßige Silbenanzahl, ein fehlendes Reimschema, Ellipsen sowie kurze und knappe Sätze wird die Lebendigkeit betont, die alle Härte und Leblosigkeit besiegen soll. Fragen regen zum Weiterfragen an, zeigen, wie viel wir aus Gewohnheit einfach hinnehmen und tun.

Um in die tieferen Schichten dieser Poesie vordringen zu können, sind Ruhe und geduldiges Lesen erforderlich. Die aus ihnen sprechende Atemlosigkeit erschwert das. Auf der anderen Seite zieht gerade diese Atemlosigkeit den Leser in den Bann und deutet auf das, was hinter ihr verborgen liegen mag. Auf den ersten Blick ist es eine Anhäufung von synästhetisch erlebten Sinneseindrücken, die aufgrund der Bedeutung jedes einzelnen Reizes wiedergegeben werden: Ein Schwall stürzt auf uns ein.

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Martina Hügli: am ohrenäquator. Neue Gedichte.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt 2000.
43 Seiten, 7,20 EUR.
ISBN-10: 3929232634

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