Erwachsenwerden in der Mongolei - Galsan Tschinags "Der weiße Berg"

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Schamane ist ein Wahnsinniger, ein Dichter. Schamane kann man nicht werden, Schamane ist man", so Galsan Tschinag über das Schamanentum und über sich selbst. Als Wanderer zwischen zwei Welten weiß er, wovon er redet und schreibt.

Galsan Tschinag - sein richtiger Name lautet Irgit Schynykbaj-oglu Dshurukuwaa, übersetzt: Fellbaby, Sohn des Reichen Schynyk aus dem Stamme Irgit - wurde Anfang der vierziger Jahre im Westen der Mongolei geboren. Als jüngster Sohn einer Familie tuwinischer Viehzüchternomaden wird er groß mit dem Glauben an jahrhundertealte Traditionen. "Die Menschen leben dort noch wie vor 1.500 Jahren", berichtet er. Von seiner Tante, einer berühmten Schamanin, wurde er gegen den Willen seiner Eltern zum Schamanen ausgebildet. Sie befürchteten, er würde - wie so viele andere Heiler im kommunistischen System der Mongolei - verfolgt und getötet werden.

Zugleich ging er jedoch auch den "Weg des Wissens", lernte eine andere Seite des Lebens kennen, studierte in Ulaan Baator die mongolische Sprache und Literatur. Von 1962 bis 1968 studierte er in Leipzig Germanistik und schreibt seither auch in deutscher Sprache, "als wäre aus seltsamer Ferne ein Schamane in die deutsche Gegenwartsliteratur hineingeweht". Er selbst hat seine ersten Eindrücke von Deutschland wie folgt beschrieben: "Es hat gestunken nach zivilisierter Welt. Dann habe ich die Umgebung mit den Ohren wahrgenommen. Sie hat mich angezischt von allen Seiten. Alles war so laut - so höllisch laut."

Die Hin- und Hergerissenheit, die er in allen seinen Werken darstellt, die Tradition, der Drang nach Wissen und nach Freiheit spiegeln sich auch heute in seinem Leben wider. Sechs Monate im Jahr verbringt er in Ulaan Baator mit der Manuskriptarbeit, drei Monate ist er auf Lesereisen unterwegs und den Rest des Jahres lebt er in den Jurten seiner Sippe, für die er sich sehr engagiert. 1995 führte er als Stammesoberhaupt seinen weit verstreut lebenden, etwa 4.000-köpfigen Stamm in die alte Heimat zurück. Fast 2.000 Kilometer mussten überwunden werden, um wieder ins Altai-Gebirge zu gelangen, aus dem die Tuwa durch stalinistische Zwangsumsiedlung vertrieben worden waren. "Die 50 Kilo und 160 Zentimeter, die mein Körper aufweist, vermögen unmöglich den Inhalt auszumachen, den ich darstelle... Ich bin mehr. Die Gunst der Stunde scheint, von Anfang an, auf meiner Seite gewesen zu sein."

A. R.

Titelbild

Galsan Tschinag: Der weiße Berg.
Insel Verlag, Frankfurt a. M./Leipzig 2000.
292 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3458170324

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