Forum für Biedermeier-Forscher

Ein neues Jahrbuch würdigt den Schriftsteller Karl Immermann

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karl Immermann (1796-1840) ist gewiss einer der bedeutendsten Schriftsteller der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. Politisch kann er im liberalen Bürgertum angesiedelt werden, wenngleich in seinem Werk bisweilen auch konservative Züge auszumachen sind. Die größte Zeit seines Berufslebens Jurist in Staatsdiensten, leitete er von 1834 bis 1837 auch das Düsseldorfer Schauspielhaus und bemühte sich in dieser Funktion u. a. um den trunksüchtigen, exzentrischen (und glänzenden) Dramatiker Christian Dietrich Grabbe, dem aber wohl auf Erden nicht zu helfen war. Ein reger, regelmäßiger Austausch fand daneben auch mit Heinrich Heine und vor allem mit Ludwig Tieck statt, der den Freund und Schriftstellerkollegen nach Kräften förderte.

Was bleibt von seinem Schaffen? Zuallererst die Großromane "Die Epigonen" (1836), von der Literaturwissenschaft lange Zeit als epigonal zu Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" eingestuft, sowie "Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken" (1838/39), das komische Epos "Tulifäntchen" (1830) und die Novelle "Der Karneval und die Somnambule" (1830). Durchaus lesenswert, wenn auch schwerlich aufführbar ist das sperrige Drama "Merlin. Eine Mythe", das im Todesjahr Goethes erschien. Goethe tritt in diesem Drama in der Verkleidung des alten Zauberers Klingsor auf.

Den Zugang zu Immermann erschwert, dass er einer um circa 1825 einsetzenden und nach 1850 auslaufenden Umbruchsphase angehört, in der so unterschiedliche Strömungen, Gruppen und Richtungen wie der Idealismus, das Junge Deutschland, der soziale Roman, die Vormärz-Literatur koexistieren. Seit Friedrich Sengles großer Studie (1971 ff.) spätestens scheint die Epochenbezeichnung "Biedermeier" das letzte Wort dafür zu sein, ein Unglück aufgrund der unsinnigen Assoziationen, die damit verbunden werden. Die Bezeichnung "Vormärz" ist aber genauso wenig brauchbar, da dies eine eher historische und politische Kategorisierung als eine literarhistorische impliziert und die Ausdifferenziertheit der Positionen verfehlt. Und die Unterscheidung einer "biedermeierlichen", sprich apolitisch-zurückgezogenen Literaturströmung auf der einen Seite und einer "vormärzlichen", sprich politisierten und radikaldemokratisch ausgerichteten Richtung auf der anderen ist ebenfalls zu einfach. Eine begrifflich befriedigende Lösung ist daher nicht in Sicht.

Die Beiträge im ersten Band des Immermann-Jahrbuchs sind von unterschiedlicher Qualität. Ausgezeichnet ist Tobias Witts Beitrag "Der philosophische Arzt im Zeitroman", der "Die Epigonen" in erzähltechnischer Hinsicht untersucht, denn auch unter diesem Gesichtspunkt hat es Immermanns Zeitroman in sich. Witt vollzieht seine Exegese zudem vor dem Hintergrund des philosophischen Diskurses der Zeit. In den ersten sieben von neun "Büchern" tritt eine Arztfigur auf, die im erzählten Text eine zwar nicht unwesentliche, aber eben doch nur eine Nebenrolle spielt. In Buch 8 der "Epigonen" jedoch ist dieser Arzt mit einem Schlag dem Erzähler gleichgestellt, und der "Herausgeber" der ersten sieben Bücher (der erst am Ende von Buch 7 in Erscheinung tritt) bittet den Arzt explizit, ihn zeitweise in seiner Rolle als Autor abzulösen, da er in eine Sackgasse geraten sei und das Buch ohne Hilfe nicht fertigstellen könne. Keine wie auch immer geartete Interpretation der "Epigonen" kommt somit an dieser zum Co-Autor mutierten Figur vorbei. Tobias Witt geht dem Problem, welchen Status dieser Arzt nun eigentlich im Text hat, auf überzeugende Weise nach. En passant verdeutlicht er, wie spannend und innovativ Immermann erzählt.

Weitere Aufsätze in diesem Band stammen u. a. von Hanna Marks, Peter Hasubek oder Manfred Windfuhr und beschäftigen sich mit dem Einfluss von Molières Dramatik auf Immermanns Schaffen, mit Immermanns autobiographischer Schrift "Düsseldorfer Anfänge. Maskengespräche" und mit Immermanns Verhältnis zu Goethe. Einige Rezensionen über Neuerscheinungen zum Thema runden das Gesamtbild ab.

Eine der Aufgaben, die ein solches Jahrbuch auch hat, ist in jedem Fall erfüllt: Der literarisch Interessierte hat Lust gewonnen bzw. eine vorhandene Lust aufgefrischt, sich mit Immermann und seinen Zeitgenossen eingehender zu befassen. Das Immermann-Jahrbuch sieht sich explizit als Organ, Immermann in seinem literatursystematischen und kulturellen Kontext zu beleuchten. Beiträge über weitere wichtige, teils halb vergessene Autoren wie Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Leopold Schefer oder auch den großartigen späten Tieck hätten also einen legitimen Platz in kommenden Ausgaben des "Immermann-Jahrbuchs", das dadurch zu einem bedeutenden Forum der Exploration des "Biedermeier" werden könnte.

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Immermann-Jahrbuch 1/2000. Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte zwischen 1815 und 1840.
Herausgegeben von Peter Hasubek und Gert Vonhoff.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M./Berlin/Bern etc. 2000.
152 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3631358601

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