Eine Mata Hari aus Bremen
Das abenteuerliche Leben von Marita Lorenz
Von André Schwarz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSie war die Geliebte von Fidel Castro und Marcos Pérez Jiménez, Agentin des CIA, kannte Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald, sollte Fidel töten und trainierte mit den Söldnern und den Exilkubanern in den Everglades. Die Rede ist von Ilona Marita Lorenz, Tochter des deutschen Kapitäns Heinrich Lorenz und dessen amerikanischer Frau. Sie wurde als Kind zusammen mit ihrer Mutter ins Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt und lernte schließlich an Bord der "Berlin" im Hafen von Havanna den jungen siegreichen Fidel Castro und seine Compañeros kennen und verliebte sich in den Revolutionär. Der nahm sie mit nach Havanna, wollte sie zur "Königin von Kuba" machen. Sie wurde schwanger und verließ nach einer dubiosen Abtreibung Kuba, ließ sich vom Geheimdienst CIA anheuern und wurde in dessen Machenschaften verstrickt. Ein Mordversuch an Castro, den sie aus Liebe nicht ausführte, ihre Verstrickung im geheimen Krieg mit Kuba, ihre Bekanntschaft mit Oswald, verschiedenen Mafiagrößen und südamerikanischen Diktatoren fallen in diese Zeit als "glückliche Banditin". Sie hatte volle Immunität, konnte sich über alle bestehenden Gesetze hinwegsetzen. Ein rastloses und unruhiges Leben, das sie mit ihren beiden Kindern und wechselnden Männern führte. Nach ihrem Ausstieg aus dem CIA wurde sie von der Regierung fallen gelassen und lebt heute als Sozialhilfeempfängerin in New York.
Der Dokumentarfilmer und Grimme-Preisträger Wilfried Huismann hörte von Maritas Geschichte, dachte zuerst an eine Erfindung, ging aber dann der Sache nach und traf Marita Lorenz. Entstanden ist aus dieser Begegnung der Film "Lieber Fidel", bereits im Kino und im Fernsehen gezeigt. Nun erschien die Geschichte auch als Buch, eine Biographie unter Huismanns Mitarbeit.
Streckenweise ist man der Auffassung, eine Agentenstory aus der Zeit des Kalten Krieges vor sich zu haben, ein Stoff, wie ihn Hollywood nicht besser erfinden könnte. Auch haben die Ausführungen von Marita Lorenz einen oft ausufernden Charakter, man hat Mühe, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Überbordend sind ihre Storys, ihre Verwicklungen in nahezu alle Affären Amerikas während der sechziger und siebziger Jahre. Wohltuend sind daher die von Huismann ab und an ins Buch eingefügten Kommentare und Anmerkungen, die dabei helfen, den Kern herauszuschälen und die Fakten zu benennen. An manchen Stellen ist die Autobiographie gewiss etwas unglaubwürdig, im Ganzen aber ist die Geschichte fesselnd und interessant. Leider fallen aber auch Mängel auf, sonderlich gut geschrieben ist das Ganze nicht, man kann sich auch oft des Eindrucks nicht erwehren, dass Marita einem verlorenen, spannenden Leben hinterherjammert und sich an Erinnerungen verklärend festklammert. "Wenn ich lange genug warte, wird Fidel kommen. [...] Er wird [...] meine Hand nehmen und sagen: ,Alemanita, wie geht es dir?' Und ich werde vor Glück weinen". Ein bescheidenes Glück nach diesem unglaublichen Leben der "Mata Hari aus Bremen" und ihrer Liebesgeschichte der besonderen Art.