Ein Schelmenroman zwischen Orient und Okzident

Alexis Panselinos erzählt vom "Kamel im Schnee"

Von Marina von HahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marina von Hahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen bunten Teppich webt Panselinos, Jahrgang 1943, seinem Gottlieb Pertl aus dem Wirrwar einer chaotischen Welt, die ebenso real wie phantastisch erscheint. Ein verkannter Komponist aus Wien flieht vor seinen Gläubigern über Italien in das damals von Türken besetzte Griechenland. Zuvor aber hat er in einer abenteuerlichen und einfallsreichen Aktion seine Umwelt durch eine makabre Todeszeremonie getäuscht. Er lässt einen gekauften Leichnam unter seinem Namen beerdigen, nimmt weinend heimlich am ,eigenen' Begräbnis teil, ist dann seine Geldschulden los, muss aber von jetzt an eine erbarmungslose Odyssee bestehen. Unter den Namen Chrisostomos Mazarini flieht er zunächst für zehn Jahre nach Italien, zu einer Zeit als Napoleons Herrschaft Europa erschüttert.

Einer, der in Wien durch Geldnot als unfreier Mensch nur dahinvegetierte, wechselt in eine durch Krieg und Grausamkeit entmenschlichte Welt, in der er, wiederum der Sklaverei nahe, erneut fliehen muss. Frei fühlt er sich nur in der Kunst der Musik. "Die reine Kunst ermöglicht uns, unsere Seele in ihrem ursprünglichen Zustand wiederzufinden". Die Welt dagegen ist ein Inferno, politisch und ideologisch völlig verworren. Später, nach Aufenthalten in Triest und Venedig, reist der Abenteurer nach Korfu. Dort trifft er auf den Dichter Graf Roilos, mit dem er über Kunst reflektiert.

Auf dem griechischen Festland herrschen Türken und Albaner. In den Bergen formieren sich die Klephten, die einen griechische Freiheitskampf vorbereiten und durch die Ausweglosigkeit ihrer Lage in den Bergen versteckt leben. Der Klephtenführer Kapetan Gekas nimmt Pertl gefangen. Alle werden von osmanischer Staatsgewalt überrollt; neue Gefangenschaft droht vom Pascha der Albaner. Doch der fühlt sich durch eine Oper, die Pertl eigens für ihn geschrieben hat, so geschmeichelt, dass er ein ausschweifendes Fest für den Fremden ausrichtet.

Am Schluss des Romans werden die Handlungsstränge zwischen Okzident und Orient durch eine List verknüpft. Die Fremden, besonders Pertl, bedienen sich der Oper "Zaide", um eine Christin aus dem Serail zu retten. Auch hier wird ein Tod vorgespielt. Die letzte Überlebenskunst des Listigen besteht darin, sich durch den Tod aus diesem Leben zu stehlen, um - paradox gesagt - als Nichts zu überleben.

Ein Schelmenroman? Nicht zuletzt die Reihung komischer und grausamer Episoden spricht dafür. Pertl bleibt, vom Schicksal hin und her geworfen, ein unterlegener Pikaro, der nur durch List seine Unterlegenheit ausgleichen kann.

Umfangreiche Reflexionen umkreisen das Thema Kunst. Also eher ein Künstlerroman? Wie der Autor selbst bekennt, hatte er beim Schreiben Mozart im Blick, das Genie und das Kind. Der Autor benutzt in der Tat aufgefundene Briefe eines Komponisten der damaligen Zeit. Also auch ein historischer Roman? Dafür sprechen die Authentizität dargestellter Schauplätze und Personen (Napoleon und Kapodistrias), die Thematik 'Freiheit oder Tod', Parole des griechischen Freiheitskampfes, und weiterhin genrehafte Tableaus aus "Tausend und eine Nacht" oder auch Gegenräume aus Mozarts Wien.

Pertl berichtet über seine Abenteuer der Flucht nach arabischen Mustern. Man erzählt, um sich zu unterhalten und Ängste abzuwehren. Dem vertrauten Schildkrötengang des Epos entsprechend, wird der Fortgang der Handlung immer wieder durch Reflexionen unterbrochen. Reflexiv sind auch die erklärende Briefe, die Pertl nach Wien schreibt.

Der Jurist und poeta doctus Alexis Panselinos, der, auch darin postmoderner Ästhetik verbunden, in seinem komplexen Zitatennetz Goethe, Shakespeare, Dante, Mozart als europäische Folie benutzt, beschwört magisch die exotische Welt einer Zeit, in der Okzident und Orient sich in Griechenland treffen. Zeichen der orientalischen Welt repräsentiert der Titel. Die Oper "Zaide" steht für die Komik des Schelms, das Kamel für die List. Denn das von den Reisenden so geliebte Tier trägt Geld zwischen den Höckern versteckt. Dies alles wird mit dem Blick eines Fremden erzählt, des Fremdlings Pertl. Er steht für das Flüchtlingsschicksal der Griechen zwischen 1453 und 1830, doch zugleich für das Schicksal aller Flüchtlinge des 20. Jahrhunderts.

Titelbild

Alexis Panselinos: Zaide oder Das Kamel im Schnee.
Übersetzt aus dem Griechischen von Theo Votsos.
Berlin Verlag, Berlin 2001.
560 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3827000890

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