Die sensationellste Story, die je geschrieben wurde

Schöne "Bunte" Medienwelt in Georg M. Oswald's "Party Boy"

Von Andrea EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist der 15. Juli 1997 um kurz nach sieben Uhr morgens, als der italienische Modedesigner Gianni Versace vor seiner Villa am Ocean Drive, Miami Beach, von einem unbekannten Täter erschossen wird. Eine Woche nach seinem Tod findet der offizielle Gedenkgottesdienst statt. Unter den Trauernden sind neben Supermodell Naomi Campell und Designerrivale Giorgio Armani auch Elton John und Lady Di. Ein Medienereignis erster Güte also! Kein Wunder, dass sich die internationale Presse schon gleich nach dem Mord auf die Suche nach dem Täter macht. Andrew Cunanan, bereits in zwei Fällen unter Mordanklage und auf der Liste der zehn meist gesuchten Verbrecher des FBI, avanciert schnell zum Hauptverdächtigen. Innerhalb weniger Tage kreieren Journalisten aus aller Welt den Mythos "Andrew Cunanen", der mit der realen Person des mutmaßlichen Täters nur noch wenig gemeinsam hat.

"Party Boy. Eine Karriere" lautet der unspektakuläre Titel, den Georg M. Oswald seinem fiktiven Bericht gegeben hat. Im Dialog zweier Zeitungsreporter konstruiert der Autor die Geschichte des mutmaßlichen Mörders, des Party Boys, wie Andrew Cunanan als Callboy für reiche Homosexuelle bezeichnet wird. Aber je umfangreicher das Material aus Internet, Zeitungen und Radioberichten wird, desto deutlicher stellt sich die Frage: Wer ist dieser Andrew Cunanen eigentlich? Und welche Möglichkeiten haben Medien heute, die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren?

Georg M. Oswald legt den dramatischen Teil des Textes (im wahrsten Sinne) auf die fiktionale Ebene, und zeigt dadurch eben kein Psychogramm von Opfer und Täter, wie man es bei einem solchen Thema vielleicht erwarten würde, sondern eine Reflexion unserer scheinbar so objektiven Medienwelt, die sich im Dialog selbst entlarvt. Da darf man schon von unfreiwilliger Komik sprechen, wenn die "Bunte", Klatschblatt der Nation, "Party Boy" mit den Worten empfiehlt: "Ein perfekt recherchiertes Buch, das es mit jedem Krimi aufnehmen kann. Ein sensibles Psychogramm von Opfer und Täter."

Die Jagd nach der "Story" führt Georg M. Oswald schließlich ad absurdum. Als alle Recherchen eingeholt sind und die beiden Reporter endlich zu schreiben beginnen können - den puristischen Tatsachenbericht oder aber die große Enthüllungsstory -, tritt erneut ein spektakuläres Ereignis ein: "Wo bleibt eigentlich deine weltbewegende Story über Andrew Cunanan? Wenn die nicht bald kommt, können wir sie vergessen. - Können wir auch. - Wie bitte? - Schalt das Radio ein, geh ins Internet, es ist unfaßbar. - Na sag schon, worum handelt sich's? - Lady Di ist tot. [...] - O. K., laß uns sehen, was das Netz dazu hergibt. - Das wird die sensationellste Story, die je geschrieben wurde!"

Aber auch die Schriftsteller bleiben von Oswalds Kritik nicht verschont. Louis Begley, New Yorker Anwalt und Schriftsteller, veröffentlichte einen Zeitungsartikel, der auch von Georg M. Oswald zitiert und von seinen beiden Protagonisten kommentiert wird. Sein Buch "Schmidt", mit dem er auch in Deutschland den Durchbruch schaffte, wird in einem Hotelzimmer in Miami Beach, Andrew Cunanans letzter offizieller Adresse, gefunden: "Noch flugs ein bißchen Werbung fürs Buch gemacht. Hast du's schon gelesen? - Nicht doch, keine Zeit für Literatur." - Wirklich? Georg M. Oswald sollte man jedenfalls gelesen haben. Wenn der Unterhaltungswert von "Party Boy" auch noch hinter dem Roman "Alles was zählt" zurückbleibt, ein intelektueller Gewinn ist er in jeden Fall!

Titelbild

Georg M. Oswald: Party Boy. Eine Karriere.
btb Verlag, München 2001.
142 Seiten, 8,20 EUR.
ISBN-10: 3442728401

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