Familie Faust

Sabine Doering legt eine brillante Geschichte der weiblichen Faustgestalten vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weitverzweigt und unübersichtlich ist sie, die Familie des Dr. Faust. Das meint zumindest Sabine Doering - und sie weiß, wovon sie spricht, hat sie sich doch mit akribischer Genauigkeit dem weiblichen Teil des Familienstammbaumes gewidmet, genauer gesagt den Schwestern des "Teufelsbündlers". Das Ergebnis ihrer Untersuchung liegt nun als Buch mit dem Titel "Die Schwestern des Doktor Faust" vor. Die sowohl im New Historism geschulte als auch in den Gender Studies bewanderte Autorin entwickelt im wesentlichen eine "Typologie weiblicher Faustgestalten" von etwa 1800 bis zur Gegenwart, greift jedoch auch "Adaptionen älterer Stofftraditionen im Namen Fausts" auf, wie "Johanna die Päpstin" und "Mariken von Nymwegen", wobei sich ihre Arbeit philologisch und begriffsgeschichtlich durch geradezu peinliche Akkuratesse auszeichnet. Ihr Verständnis, respektive ihren Gebrauch grundlegender theoretischer Begriffe, deren Inhalt ja bekanntlich in der Forschung nie unstrittig ist, expliziert die Autorin stets - eine (fast) makellose Untersuchung also. Wenn man dem Buch überhaupt etwas vorhalten kann, dann vielleicht die gelegentlich etwas allzu ausufernde Darstellung und Untersuchung von Figuren, deren Namen, Fausta oder Faustina, zwar an den Teufelsbündler erinnern, die jedoch - wie Doering zeigt - nicht das geringste mit ihm zu tun haben, so etwa Wielands Faustina, die Gattin des römischen Kaisers Marc Aurel.

In den vergangenen 200 Jahren machte die Darstellung weiblicher Faustgestalten, wie die Autorin überzeugend aufweist, einige alles andere als zufällige Wandlungen durch. Wurden "Fausts Schwestern" von 1800 bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als "verderbenbringende" und "dämonische Verführerinnen" dargestellt, so entstand schon Mitte des 19. Jahrhunderts als "Gegenentwurf", die weibliche Faustgestalt der "nach der Vervollkommnung des eigenen Wesens strebende [...]" Frau. Ende des Jahrhunderts spiegelten sich in ihnen dann die Forderungen der Bürgerlichen Frauenbewegung wieder, "wobei vor allem der Wunsch der Frauen nach verbesserten Bildungsmöglichkeiten wiederholt mit Fausts unbändigem Wissensdrang verglichen wurde", was allerdings von Seiten der männlichen Autoren ohne jegliche Sympathie geschah. Schließlich ließ die Neue Frauenbewegung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts einen weiteren "Typus" entstehen, mit dem Faust als mögliches Vorbild weiblicher Entwicklung verabschiedet wird.

"Gerade die interessantesten Werke der literarischen Reihe" - Ida Hahn-Hahns "Faustine", Frank Wedekinds "Franziska" und Irmtraud Morgners "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen der ihrer Spielfrau Laura" sowie ihr Hexenroman "Amanda" - stellen, so die Autorin, das Projekt einer weiblichen Faustnachfolge "aus je unterschiedlichen Gründen" in Frage. Den genannten drei AutorInnen gilt denn auch Doerings Hauptaugenmerk. Doch werden die Werke zahlreicher heute meist nicht ganz zu unrecht vergessenen SchöpferInnen faustischer Frauen ebenfalls untersucht, wie diejenigen von Ada Christen, Carl Winderlich oder Ferdinand Stolte, der mit mehr als 1.100 Druckseiten das umfangreichst Faustepos geschaffen hat. Die überwiegende Zahl dieser AutorInnen stellt die "weibliche[n] Faustgestalten in den Dienst ihrer bürgerlich-konservativen Weltanschauung" und lassen die "Nachfolgerinnen" Fausts den Vertrag wieder auflösen, damit sie schließlich die "vermeintlich natürlichen weiblichen Aufgaben" umso gewissenhafter erfüllen und sich auf "ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter" besinnen können.

Anders Frank Wedekind. Seine "Skepsis" gegenüber der zeitgenössischen Frauenbewegung sei zwar ebenfalls groß gewesen, auch habe er deren Ziel, "es den Männern auf vielen Gebieten gleichzutun", für "gründlich verfehlt" gehalten. Dennoch hält die Autorin es für "abwegig", Wedekind "aufgrund dieser gemeinsamen Ablehnung den Verfechtern konservativer Bürgerlichkeit an die Seite zu stellen". Denn er sei nicht müde geworden, "in antibürgerlicher Geste die weibliche Körperlichkeit und Sexualität hervorzuheben". Doering versucht das anhand von Wedekinds Bühnenstück "Franziska" nachzuweisen, in dessen titelstiftender Figur sie "Züge der bekannten und skandalumwitterten Franziska zu Reventlow" ausmacht. Doering zufolge handelt es sich bei dem Stück nicht um die Entwicklungsgeschichte einer Frau, sondern um ein "buntes Kaleidoskop verschiedener Weiblichkeitsvorstellungen". Zwar habe Wedekind auch hier "die emanzipatorischen Vorstellung der asexuellen Frau wie der eines 'Mannweibs'" kritisch beurteilt, doch habe er zugleich "das Bild der von ihrer Körperlichkeit bestimmten Frau, die in sexueller Hingabe und Mutterschaft ihre Erfüllung findet und sich - wie die reale Franziska zu Reventlow - um die herrschende Sexualmoral wenig bekümmert", "mit größerer Sympathie" gezeichnet. Das ist zutreffend und was die Sexualmoral betrifft sicher auch antibürgerlich, aber durchaus nicht emanzipatorisch, ja sogar misogyn. Insofern findet sich Wedekind mit seinem antibürgerlichen Gestus doch an der Seite der von ihm verachteten Bürgerlichkeit wieder.

Ganz anders als Wedekind verfolgt Irmtraud Morgner einen "kritisch-feministische[n] Ansatz". Dieser lässt sie ausdrücklich fragen, "ob es für Frauen überhaupt sinnvoll sein kann, sich an dem Mann Faust zu orientieren". Eine Möglichkeit, die sie Doering zufolge nicht darum skeptisch beurteilt, "weil sie darin eine anmaßende Überschreitung der weiblichen Natur sieht", sondern vielmehr weil ihr Faust selbst "eine zu fragwürdige Gestalt" ist, um noch ein "sinnvolles Rollenbild" sein zu können. "Das oft variierte Modell eines weiblichen Faust wird damit aus engagiert feministischer Perspektive verabschiedet."

Titelbild

Sabine Doering: Die Schwestern des Doktor Faust. Eine Geschichte der weiblichen Faustgestalten.
Wallstein Verlag, Göttingen 2001.
371 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3892443998

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