Ein Leben in Lyrik

Susanne Riedels Roman "Die Endlichkeit des Lichts" ist Liebesgeschichte, Mediensatire und Gedicht in einem

Von Julia SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Warum ertrage ich mich nur noch in Gedichten?" Diese Frage stellt sich Alakar Macody, Held aus Susanne Riedels zweitem Roman "Die Endlichkeit des Lichts", für den die Poesie Alltagsbewältigung darstellt. Das Buch behandelt die einfachste und sogleich komplizierteste Sache der Welt: Er trifft Sie. Ob die beiden wirklich zusammenfinden, bleibt unklar. Klar ist, dass sie eigentlich für einander bestimmt sind, leben sie doch beide ein lyrisches Leben.

Alakar Macody, ein einbeiniger, dichtender Pilzspezialist, lebt zurückgezogen in einem einsamen Haus an einer Flussbiegung. Er steht in ständigem Zwiegespräch mit dem Dichter T. S. Eliot, dessen Werke er auswendig kennt. Der einzige Ausbruch aus dem Eremitenleben ist für ihn die Fernsehshow "Brainonia", die er täglich verfolgt. Über Frisur und Garderobe der hübschen Moderatorin Verna Albrecht, die er anhimmelt, führt er akribisch Buch. Eines unvorhergesehenen Tages nimmt sein Leben eine überraschende Wendung: Er gewinnt als Telefonkandidat bei "Brainonia" eine Million und wird in die Sendung zu Verna eingeladen. Der Fernsehproduzent ist begeistert: Einen invaliden pilzfanatischen Dichter kann er noch gut im Programm gebrauchen! Ehe er es sich versieht, hat Alakar seine eigene Sendung.

Verna Albrecht, die vor der Kamera eine selbstbewusste, strahlende Persönlichkeit zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine gebrochene Frau. Sie leidet unter dem Tod ihrer Zwillingsschwester, der sie in eine tiefe Identitätskrise gestürzt hat, und dem Verlust ihres esoterisch veranlagten Liebhabers Izzy. Viel lieber als Fernsehmoderatorin wäre sie Schriftstellerin, doch ihre Romananfänge verstauben in einer Schublade. Als sie während einer Sendung die Selbstbeherrschung verliert und in Tränen ausbricht, wird sie gekündigt. Obwohl sich Alakar und Verna zu einander hingezogen fühlen, versteigen sie sich in Bettgeschichten mit "unlyrischen Personen", die eigentlich weit unter ihrem Niveau liegen.

Die eigentliche Handlung, die nur wenige Tage im Leben von Alakar und Verna umfasst, ist beinahe Nebensache. Viel mehr Raum nehmen die Gedanken und die Versuche der Vergangenheitsbewältigung der beiden Protagonisten ein: Alakar, Sohn eines Physikers und einer Psychoanalytikerin, bekam von seiner Mutter Pubertätsverbot erteilt. Da er, vom Vater mit physikalischen Theorien injiziert, von der Mutter analysiert, kein Kind sein durfte, wurde er Batman; und Batman zog sich in die Welt der Dichtung zurück. Seitdem scheiterte er an Beruf, Gesellschaft und Beziehungen.

Verna versucht mit Hilfe einer Therapie den Tod der Schwester, den die Mutter stets verdrängte, und Izzys Geist, der ihr immer noch durch den Kopf spukt, zu überwinden. In Alakar sieht sie Izzys Reinkarnation und fühlt sich deshalb magisch zu ihm hingezogen.

Die beiden haben nicht nur die schwierige Kindheit gemeinsam, sondern vor allem die Liebe zur Poesie. In jeder Situation fallen ihnen passende lyrische Zitate von Eliot, bzw. Anne Sexton, Vernas Lieblingsdichterin, ein. Deshalb ist der Roman vollgepackt mit literarischen Zitaten und Anspielungen, die den Text für Laien leicht unzugänglich machen. Riedels Roman ist angefüllt mit der Poesie, nach der sich die Protagonisten verzehren. Der sehr poetische, wortgewaltige Stil ist anfangs zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber er macht das Buch zu etwas Besonderem: Selten gelingt es einem Autor Poesie und Epik so kunstvoll zu verweben, ohne kitschig zu klingen. Hin und wieder mag sich der Leser zwar wünschen, er müsste nicht gar so ausführlich an den Gedanken der Figuren teilhaben, deren Sinn sich dem Leser bisweilen verschließt ("Ich bin ein Messer, ich bin eine Schere. [...] Ich bin die beste Rosenschere, die man in Europa finden kann."). Wer sich nicht allein dem Genuss der von sprachlichen Bildern ("schwer lastete Sauerstoff auf ihren Köpfen") reich illustrierten Erzählung hingeben will, sondern sie bis in alle Einzelheiten verstehen will, sollte außerdem auf dem Gebiet der Astrophysik und der Biologie bewandert sein. Trotzdem ist Susanne Riedel mit "Die Endlichkeit des Lichts" eine außergewöhnliche Liebesgeschichte gelungen, die ganz nebenbei - ja, es darf gelacht werden - auch eine herrlich sarkastische Mediensatire ist.

Titelbild

Susanne Riedel: Die Endlichkeit des Lichts. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2001.
320 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3827004233

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