Out of Stammtisch

Analysen zur Politik der USA und zum 11. September

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Ausgangspunkt von Noam Chomskys Kritik ist bekannt. Schon in seinem letzten Buch "Rogue States, the Rule of Force in World Affairs" (2000) skizzierte er die US-Außenpolitik als Sammelsurium terroristischer und gewaltstaatlicher Methodiken. Nach den Attacken des 11. September sind nun einige seiner zahlreichen Interviews zu einem schmalen Band zusammengefügt worden. Die Übersetzung hat den Vorteil, dass die Interviews entzerrt und die Antworten in Form kleiner Aufsätze zusammengefasst sind.

Chomsky's Fokus ist dabei auf zwei wesentliche und überaus spannende Momente gerichtet: die propagandistische Legitimitätsschlacht in der Innenpolitik, sowie die historischen außenpolitischen Instrumente, derer sich die USA - in weitgehender Missachtung ethischer Grundsätze oder juristischer Regelungen innerhalb internationaler Korporationen - in der Vergangenheit bediente. Daraus ist nun bedingt ablesbar, welcher Natur die politischen Mittel der Gegenwart und der Zukunft sein werden.

Während Präsident Bush jr. im Stile eines politischen Ziehsohnes John Waynes auftritt, entzweit er die Welt: Mit uns, oder mit dem Terrorismus. In etwa diese Devise war schon Carl Schmitt zueigen, wenn es um die Zuordnung innerhalb der Begriffswelt des Politischen ging. Weltweit wird diese These, in den kapitalistischen Zentren als Selbstanspruch zur weitgehend kritiklosen Demonstration von Macht-Nähe, in den wirtschaftlich und kulturell marginalisierten Gegenden schlicht furchtvoll zur Maxime der Justierung des außenpolitischen Kurses akzeptiert. Mit Chomsky hat sich ein Einzelner und in seiner Einzigkeit fast schon wieder entwerter Kritiker dieser unterkomplexen Weltpolitik etabliert, von ihm können solche Zwischenrufe erwartet werden, sie verhallen weitgehend konsequenzlos. Dennoch scheinen die USA, wie so gerne, auf theoretische Handreichungen, Analysen oder Auseinandersetzungen nicht zu warten, ja eine deutliche Abwehr ist vor Ort verschiedentlich spürbar. So redet leider eben wieder nur Chomsky im Hause des Gehenkten vom Strick, von der Überführung des Staatsterrorismus, den die USA in Nicaragua in den achziger Jahren anwendeten; vom Sprengsatz, der CIA-gesteuert 1985 in Beirut in die Masse der Moschee-Gänger explodierte; von der langen Liste der Henker und Diktatoren, die die USA gerne und selbst im blutigsten Morden unterstützte - solange sie nur den USA willfährig ihre Dienste erfüllten. Darauf, dass sich im Grunde genommen nach dem 11.09. nichts änderte und dass eben nicht, wie es auch die deutsche Presselandschaft so gerne gleichsam vorauseilend formuliert wurde, die Administration Bush zunächst gewartet und überlegt hätte - die Einstellung und Blockade der Hilfslieferungen für Afghanistan haben unzähligen Menschen im vergangenen Winter das Leben gekostet. Es klingt fast resignativ, wenn zu lesen ist: "Wir können in einer Welt bequemer Illusionen leben oder aber, wenn wir es wollen, die jüngstvergangene Geschichte mitsamt den unverändert gebliebenen institutionellen Strukturen und den Plänen, die verkündet wurden, betrachten - und die Fragen entsprechend beantworten. Ich sehe keinen Grund für die Annahme, dass die langfristigen Motivationen oder politischen Ziele [der USA] sich, abgesehen von taktischen Anpassungen [...] geändert haben sollten."

Dennoch kommt Chomsky nicht aus der bereits nachvollzogenen Analyse heraus - der Widerstand gegen die Politik und das politische wie intellektuelle Establishment ist verständlicherweise zu fundamental, als wenn es hier um politische Lösungsansätze ginge. Wir lesen von der Anwendung der Gesetze gegen Verbrechen und von der interessanten Analogie, dass die britische Regierung in der schon traditionellen Auseinandersetzung mit der IRA eben nicht darauf kommt, Belfast mit Streubomben dem Erdboden gleich zu machen. Und dass überhaupt die Definition von Terrorismus immer noch passgenau zur politischen Konjunktur angewendet wird. Natürlich vom Westen. Wer aber, und da sind wir vielleicht wieder bei einem arg reduzierten Carl Schmitt, selbst eine Kultur des Terrorismus züchtet, kann nun mit den ebengleichen Methoden nicht logisch einen Kampf gegen den Terrorismus führen. Derlei Paradoxie wird nur zu einer temporären Lösung führen, oder zur völligen Vernichtung von allem, was nicht der wirtschaftlichen und kulturellen Logik der USA entspricht. Joschka Fischer nennt das dann vielleicht die notwendige Kontinuität der Außenpolitik.

An dieser Stelle stellt sich in der letzten PROKLA (Nr. 125) "Globalisierung des Terrors" ein tiefergehende Analyserahmen. Vor allem Sabah Alnasseri diskutiert die Rahmenbedingungen derzeitiger und zukünftiger Kriegshandlungen: das politische und soziale Innenleben der arabischen Welt ist sein Thema.

Indem er vergleichsweise kurz darauf verweist, dass Bin Laden auch als "ideologische Konstruktion" und "globales Bedrohungszenario", das den USA und Großbritannien angesichts ihrer Bestrebungen den nahöstlichen und zentralasiatischen Raum im Lichte ihrer ökonomischen Interessen politisch umzustrukturieren, gelegen kommt, trifft er sich am Rande mit Chomskys Ansatz. Der wesentliche Fokus liegt allerdings auf der differenzierten Skizze der sozioökonomischen Transformationen der arabischen Gesellschaften seit den 70er Jahren. Dabei spielen die wirtschaftlichen Liberalisierungsbemühungen und Strukturanpassungen von IWF und Weltbank, die die Tendenz der Privatisierung von staatlichen Funktionen und öffentlichen Räumen, der Tendenz nach dem reaktionären Diskurs der von ihm in Abgrenzung zur westlich-denunziatorischen Begriffsbildung "islamitisch" (und nicht islamistisch) genannten Gruppen in die Hände. Im Zuge der sich verschärfenden sozialen Ausgrenzung durch den wirtschaftlichen Strukturwandel der 70er Jahre und dem Wandel der Orientierungspunkte durch die Öleinnahmen in Form von Petrodollars - "von einer ehemals dominanten panarabischen und sowjetischen Konstellation hin zu einer konservativ-neoliberalen unter der Schirmherrschaft der USA und den Regionalmächten Ägypten und Saudi-Arabien" - verlieren große soziale Gruppen und Milieus ihren vorherigen Stand und ihre wirtschaftliche Bedeutung. Während Großgrundbesitzer zu mächtigen Agrokapitalisten werden, geraten die marginalisierten Bauern, Lohnabhängige, kleine Warenproduzenten, lokale Industrien und einfache Angestellte an den Rand der Existenznot. Aus dieser gesellschaftlichen Peripherisierung erwächst die soziokulturelle Akzeptanz radikaler Gruppen des Islam. Das gerne von Schröder, Scharping oder Fischer artikulierte Bedrohungszenario, dass so gerne auf die Parabel von der Bedrohung des Abendlandes, respektive der Zivilisation zurückgreift, entblösst seine intellektuelle Kapitulation im Lichte solcher Analysen.

Darüber hinaus diskutiert Wolf-Dieter Narr den generell gewalthaften Charakter von moderner Staatlichkeit und seiner Verbindung mit den Veränderungen des sich globalisierenden Kapitalismus. Daraus erschließt sich, dass Konfliktlösungen eine weiter gefasste Analyse des voranschreitenden Kapitalismus implizieren. In ähnlicher Weise thematisiert Joachim Hirsch die Globalisierung als voranschreitende Interessenspolitik westlicher Mächte - unter der dominanten Führung der USA; die Position der Kontinuität der US-Politik im Rahmen der 'neuen Weltordnung' illustrieren Brigitte Young und Simon Heglich. Zudem zeigt Trevor Evans auf, dass die USA bereits vor dem September am Rande einer Rezession stand, die ideologische Verbrämung des "War on Terrorism" und die EU Wirtschaftspolitik sind weitere Themen der weitgreifenden und bestimmt nicht abschließenden Diskussionsansätze. Diese können gewürdigt werden, wenn der populistische Anspruch, Probleme der gegenwärtigen Weltpolitik am Stammtisch zu lösen nicht zum Zuge kommt.

Titelbild

Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie (Hg.): Prokla 125. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Globalisierung des Terrors.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2001.
10,50 EUR.
ISBN-10: 3896913255

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Noam Chomsky: The Attack.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Haupt.
Europa Verlag, Hamburg 2001.
89 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3203760134

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