Im Spiegelbild der Schizophrenie

Die mexikanische Crack-Generation legt nach: Drei Kurzromane

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Zapata hat Mexiko wieder eine Revolution. Diesmal rechnet die junge Schriftstellergeneration mit den "Alten" ab, namentlich mit den Vertretern des "realismo mágico" (Alejo Carpentier, Gabriel García Márquez, Carlos Fuentes und Juan Rulfo gilt ihr Kampf). Unter Rückgriff auf die literarischen Wurzeln der 68er Generation wenden sie sich dem "boom" zu. Ihr "Manifesto del Crack" (womit nicht die Droge, sondern der Bruch gemeint ist) markiert die stilistischen Eckdaten der Bewegung, wobei gleichzeitig eingeschränkt wird, dass es nicht einen Typ von Erzählung, sondern viele geben müsse. Kein Prophet soll die richtige Art von Literatur verkünden; vielmehr verstehen sie ihre Niederlegung als Manifest der Nichterfüllung, da sonst keine Kreativität existieren könne.

Ihre Vorbilder heißen Joseph Conrad und Marcel Proust ("Amarás a Proust sobre todos los otros"); ihr Ziel ist die Kreation autonomer Welten, die vielfältige Stimmführung und Schizophrenie ("Honrarás la esquizofrenia"). Sie lehnen das Fernseh-Standard-Spanisch ab und plädieren für ein neues Barock, sie suchen den intelligenten Leser, der an der Geschichte mitarbeitet, kurz: Sie sind zutiefst paradox.

1996 haben sich Ignacio Padilla, Jorge Volpi, Eloy Urroz, Vicente Herrasti und Ricardo Chávez Castañeda gefunden, seitdem machen sie den harten Kern der Crack-Generation aus. Ihr gemeinsames Element ist die Realität, die sich (im Wach- oder Schlafzustand) dem Zugriff der Protagonisten entzieht. Ihr Mittel ist eine überbordende Sprache, die diesem schizophrenem Zustand Rechnung trägt.

Nach seinem Erfolgsroman "Das Klingsor-Paradox", von der Kritik gelobt, vom Leser gekauft, legt Jorge Volpi nun zusammen mit zwei Kollegen nach: "Drei Skizzen des Bösen" sind drei Kurzromane, die die Gegenwärtigkeit des Bösen ausleuchten.

Die zwischen 1975 und 1994 entstandenen Texte zeichnen sich durch Humor, Desorientierung und Spannung aus - wobei jedem der Romane in dieser Reihenfolge die Eigenschaften zukommen. Immer ist der Leser aufgefordert mitzudenken, er wird direkt angesprochen durch die Aufdeckung der Konstruktionsschemata. Dadurch wird die Nähe und Distanz im Schreiben ausgelotet. Besonders Volpi treibt den schwarzen Humor auf die Spitze. Die Versuche der Selbstversicherung gerieren zum subtilen Spiel mit Wahrnehmungscodes, die einander ablösen und sich generieren. Der Autor spielt mit dem Leser, der einbezogen wird, um fallengelassen und ratlos entlassen zu werden. Religiöse Sinneinheiten gliedern den Text, Volpi treibt dabei ein hintergründiges Spiel zwischen Unwissenheit, Vermutung und Klarheit. Bestechend herausgearbeitet ist der Wechsel zwischen Selbstvergewisserung und der Wunsch, in den wertfreien "Urschleim" (Kafka, Botho Strauß) zurückzukriechen.

In den Urschleim des Erzählens findet auch Ignacio Padilla zurück. Sein Beitrag ist zugleich der schwächste, dafür aber zollt er dem Lesebegeisterten Tribut. In einer unausgegorenen Mischung von Stefan Zweig, Kafka und Perez-Reverte erzählt der theoretisch beschlagene Autor von Liebe, Magie und die Suche nach dem Selbst.

Der zweite Beitrag, verfasst von Eloy Urroz, setzt sich mit dem Verschwinden der Sprache auseinander. Bei ihm steht jedoch der Körper und dessen sinnliche Erfahrung im Mittelpunkt. Zwischen Inszenierung und Ritualität kreist seine Auslotung der Körperlichkeit; die immer wieder momenthaft zugespitzt wird in der Erfahrbarkeit körperlichen Bewusstseins (Pessoa). Die Sprache der Körper trennt die Geschlechter und verunmöglicht jede Kommunikation; das Begehren wertet Urroz als Versuch, eben jene Kommunikation wieder aufzunehmen. Das Auseinandertreten von Körper und Geist wird auch im Schreiben greifbar: Körperlichkeit präsentiert sich als vielschichtiges, zersplittertes Fragment, als Spiegelung. Die Selbstbespiegelung der Protagonisten ist dabei keinesfalls purer Narzissmus, sondern vielmehr Versuch der Selbstrettung. Konsequenterweise erscheint Handlung in ihrer Fragmentarität: Das ungewöhnliche gerät zur Spiegelung des Normalen, wird nicht länger als Seperates, sondern als Bestandteil erfasst. Die Spiegelung jedoch wirft die Handlung aus der Zeit heraus. Die Ungleichzeitigkeit von Erleben und Beschreiben erweitert die Metapher der Spiegelung um ein Weiteres: Das abgenutzte Schlagwort der atmosphärischen Dichte erreicht hier seine präziseste Entsprechung.

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Jorge Volpi / Eloy Urroz / Ignacio Padilla: Drei Skizzen des Bösen. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Susanne Lange und Burkhard Pohl.
Hainholz Verlag, Göttingen 2001.
279 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3932622804

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