Königskinder

Dina und Rut und die verlorene Kindheit

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine Jungfrau ist dazu verurteilt zu gebären, weil die Menschen jemanden brauchen, den sie kreuzigen können." Für solche Sätze ist die Norwegische Autorin Herbjörg Wassmo immer gut. Sie bahnen sich nicht lange an und sie werden in ihrer Brachialität im Verlauf des Textes nicht weiter gewürdigt. Sie geschehen einfach und lassen den Lesenden mit ihrer Wucht allein. Damit sind sie der Nucleus von Wassmos Literatur. Denn in all ihren Büchern, und das sind inzwischen einige, geht es um die Verstörungen, die Menschen erleiden und ihre Auflehnung gegen die Mächte, die ihr Leben zu beeinflussen scheinen. Es geht den Figuren wie den Lesern von Wassmos Büchern - die einen kämpfen um einen epischen Sinn in ihrem Leben, die anderen mit dem lakonischen Stil der Autorin. Wassmo benutzt ein hartes Satzstakkato, eine minimalistische Syntax, eine emotinale Objektivität, die einem, so heißherzig die Figuren auch leiden, kämpfen und lieben, kalt ums Herz werden läßt.

Der Satz über die Geburtsumstände der Mutter Gottes ist ihrem neusten Buch, das jetzt auch auf deutsch vorliegt, entnommen. Dort spricht die Malerin Rut Nesset anläßlich einer Ausstellung ihrer Gemälde, auf der auch Gorm Grande zugegen ist. Als Kinder sind die beiden einmal aufeinander getroffen - mit der Wassmosschen Radikalität. Auf Ruts Stirn befindet sich eine Narbe von einem Stein, mit dem ihr Gorm den Kopf zurecht rücken wollte. Seit dem ersten Streit wissen die beiden, daß sie füreinander bestimmt sind und können doch nicht zueinander finden. Sechs Mal begegnen sie sich und verlieren sich wieder, gehen andere Ehen ein, haben Kinder mit anderen Partnern, haben andere Beziehungen. Diese getrennten Wege beschreibt das Buch auf der Mehrzahl seiner fast 569 Seiten. Episoden sind es, die einem manchmal den Atem stocken oder das Blut gefrieren lassen. Da wird von Ruts Zwillingsbruder berichtet, der behindert ist, angeblich, weil Rut sich bei der Geburt vorgedrängelt hat, von ihrem predigenden und Gift verspritzenden Vater, oder von ihrem Kind, das sie, um als Malerin Erfolg zu haben, zu eben diesem Vater in Obhut gibt.

Fast 600 Seiten sind schwer zusammenzuhalten, ohne eine dominierende Handlung. Wassmo geht dieses Risiko ein - und es funktioniert, weniger, weil dann doch alles auf den einen Moment, der das Leben verändert, auf die siebte Begegnung hinausläuft, als aufgrund der symbolischen und bildlichen Kraft ihrer Geschichten.

Diese Kraft zeichnet alle Bücher Wassmos aus - und macht ihre Literatur problematisch. Denn die stilistische Ausrichtung ihrer Texte braucht eine starke Veräußerung der Innenzustände fühlender Personen. Und die Krassheit der geschilderten Ereignisse treibt die Beschreibungen manchmal an die Grenze zum Kitsch. Die Narbe auf der Stirn Ruts ist so ein Beispiel, Rut und Gorm als Figuren sind ein anderes. Armes Bauernmädchen von der Insel liebt den reichen Sprössling eines Handelshauses mit absehbaren Verwicklungen: Streit - Leidenschaft - Liebe - Entsagung -Begegnung , es ist wie im. Würde man das als Klappentext lesen, man würde das Buch nicht kaufen und sich wundern: Was soll das sein, Hollywood vom Fjord? Genau das soll es sein. Und genau das kommt auf Deutschland zu. Wassmo ist eine spannende, unterhaltende und kantige Autorin, in Skandinavien ein ziemlicher Star, hat sie ihre Leserinnen und sicherlich auch ihre Gegenerinnen (auch als Frauenromane lassen sich ihre Bücher trefflich interpretieren), aber auf die Bestsellerlisten würde sie aus eigener Kraft nicht kommen. Und sie wird es doch, weil demnächst in den deutschen Kinos eine Verfilmung ihres bislang erfolgreichsten Buches, "Dinas Buch", anlaufen wird. Unter dem Titel "Ich bin Dina" läuft der Streifen seit März in den skandinavischen Ländern. Er ist die teuerste Produktion Nordeuropas und "eine Bombe" - unentschärft. "Ich bin Dina" ist ein Bilderepos, das Wassmos mitunter blutrünstige Vorlagen in düstere Farben verwandelt. Wenn man nach dem Verlassen des Kinos irgendwann wieder beginnt zu denken, werden einem einige dramaturgische und inhaltliche Ungereimtheiten auffallen - so wie einem nach dem Lesen von Wassmos Büchern manche inhaltlichen und stilistischen Fragwürdigkeiten begegnen. Auch wird beim Blick in das Gesamtwerk der Norwegerin deutlich, wie sehr sich ihre Motive ähneln. Rut und Dina werden beide von einem böswilligen Vater für den Tod eines Menschen verantwortlich gemacht (Dina verbrüht ihre Mutter im siedenen Laugenwasser), beide akzeptieren die Schuld, beide lieben lange vergeblich, beide begegnen einem Mentor, der sie der Kunst nahe bringt (z. B. dem Cellospiel) und jeweils aus dem Ausland kommt (Deutschland bzw. England). Beide sind starke, rebellierende Frauen, und beide Bücher tragen die gesellschaftlichen Konflikte der Zeit aus. Diese Doppelungen, die man beliebig auf andere Bücher Wassmos beziehen könnte, sind nicht nur einer kreativen Armut geschuldet, sondern der Tatsache, daß Wassmos Literatur im Kern säkularisierte Auseinandersetzung mit dem Christentum ist: die Menschen werden schuldig (Rut sogar schuldig geboren) und suchen nach einem Weg der Erlösung. Oft erlösen sie sich selbst durch Opfer, oder sie opfern andere für ihren Eigensinn, ihre Sache, ihre Seele. Die Grausamkeiten von Wassmo - alle sprichwörtlich biblisch. Und wie zur Bibel nimmt sich auch die Haltung zu ihrer Literatur aus, irgendwo: Was soll das alles? Und: Genau so ist es.

Titelbild

Herbjorg Wassmo: Die siebte Begegnung. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Holger Wolandt.
Luchterhand Literaturverlag, München 2002.
569 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3630871135

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