Salondame und Schriftstellerin

Die erste Romanbiographie über Johanna Schopenhauer

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Name Schopenhauer ist bekannt, gemeint ist damit in der Regel der Philosoph Arthur Schopenhauer. In der vorliegenden Romanbiographie geht es jedoch um ein anderes Mitglied der Schopenhauer-Familie: Johanna Schopenhauer, die Mutter. Von ihren Aktivitäten in Weimar, ihrer Bekanntschaft mit Goethe und ihrer Arbeit als Schriftstellerin wissen eher diejenigen, die sich über die Philosophie des Sohnes hinaus für den Familienkontext interessieren.

Johanna Schopenhauer wurde durch die feministisch orientierte Literatur- und Kulturwissenschaft als Schriftstellerin in die Literaturgeschichte zurückgeführt, ihr Roman "Gabriele" beim Deutschen Taschenbuch Verlag neu aufgelegt, ebenso die Erzählung "Der Schnee" und einige Reisebeschreibungen. Nun folgt der wissenschaftlichen Beschäftigung die erste Romanbiographie nach. Die Verfasserin Ulrike Bergmann, von Haus aus Juristin, setzt sich seit mehreren Jahren mit der Lebensgeschichte von Johanna Schopenhauer auseinander und möchte mit dem Buch "das Eigentümliche" dieses Lebens darstellen.

Das Leben von Johanna Trosinier beginnt 1766 in Danzig. Sie wird in eine begüterte Kaufmannsfamilie geboren, erhält den üblichen fragmentarischen Privatunterricht, ein bisschen Musik, Deutsch, etwas Geschichte, Handarbeiten, Literatur. Das Mädchen ist musisch talentiert und äußerst sprachbegabt, doch der Vater verbietet der Tochter den Herzenswunsch, die Ausbildung zur Malerin. Stattdessen wird die 19-Jährige an den 20 Jahre älteren Kaufmann Heinrich Floris Schopenhauer verheiratet. Eine gestiftete Ehe, nichts Ungewöhnliches zur damaligen Zeit.

Das Ehepaar bekommt zwei Kinder, Arthur und Adele, und zieht aus politischen Gründen nach Hamburg, wo sich Heinrich Floris Schopenhauer trotz der Kriegsunruhen erneut als Kaufmann etablieren kann. Johanna Schopenhauer genießt die Kulturszene der Stadt, das Theater, die Musikabende. 1805 stirbt der psychisch erkrankte Ehemann unter ungeklärten Umständen, seine Witwe ist mit fast 40 Jahren finanziell unabhängig. Mit dieser neuen Freiheit beginnt ihr zweites Leben. Sie zieht mit der Tochter Adele nach Weimar und lädt dort zweimal in der Woche Gäste zu sich. Einer der ersten ist Goethe, dessen Frau Christiane, aufgrund ihres Standes von den Weimarern geschnitten, von Johanna einen Tee bekommt. Diese Geste und die private Atmosphäre des geselligen Kreises führen dazu, dass Goethe ein häufiger Gast und ein Freund der Familie wird. Die geselligen Abende versammeln Adel und Großbürgertum ebenso wie Reisende, Künstler und andere, Männer wie Frauen.

Mit der Biographie über den 1808 verstorbenen Freund Fernow, die zwei Jahre nach seinem Tod erscheint, geht die mittlerweile über Weimar hinaus bekannte Frau den entscheidenden Schritt in Richtung Schriftstellertum. Die Idee stammt nicht von ihr, sondern vom Verleger Cotta, der ihr den Vorschlag unterbreitet, um damit Schulden Fernows zu tilgen. Der Biographie folgen Reisebeschreibungen, die sich sehr gut verkaufen. 1814 zieht der jüngere Freund Gerstenbergk bei Johanna Schopenhauer ein, was in den nächsten Jahren immer wieder für Gerüchte sorgt und zum Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn beiträgt.

Kurz darauf erleidet die Familie durch den Zusammenbruch des Bankhauses Muhl einen Bankrott, das sorglose Leben von Vermögenszinsen findet ein drastisches Ende. Johanna Schopenhauer weiß sich zu helfen: Sie macht das Schreiben zum Broterwerb, verfasst Romane und einige Rezensionen. Weitere Krisen folgen: Gerstenbergk heiratet eine andere Frau, ein Schlaganfall zwingt sie zu teuren Kuren und verringert ihre Arbeitskraft.

1829 ziehen Mutter und Tochter nach Unkel am Rhein, die finanzielle Situation bleibt schlecht, Adele verbraucht fast ihr ganzes Privatvermögen, um die Schulden der Mutter zu decken. 1837 ziehen die beiden erneut um, nach Jena, wo Johanna Schopenhauer zwei Jahre später stirbt. So weit die biographischen Daten.

Die Verfasserin hat für die Romanbiographie gründlich recherchiert. So entsteht in den ersten Kapiteln ein anschauliches Bild von Danzig, alle wichtigen Ereignisse im Leben der Hauptperson finden in der Geschichte ihren Platz. Doch in der zweiten Hälfte des Buches lässt der bildreich gestaltete Erzählstil nach, die Kapitel gewinnen einen auflistenden Charakter, wodurch die Geschichte an Spannung verliert. Auch wird hier "das Eigentümliche" in der Biographie nicht klar herausgearbeitet, es fehlt der innere Zusammenhang. Dieser Eindruck wird durch zwei eingeschobene Kapitel über den Sohn Arthur und die Tochter Adele verstärkt, die - so hat es den Anschein - erst hier eine Bedeutung innerhalb der Lebensgeschichte erhalten. Dabei wird Adele als lebensferne Tochter gezeichnet, die sich in übersteigerten Phantasien verliert; ein einseitiges Bild, das durch die aktuelle Biographie von Gabriele Büch über Adele Schopenhauer korrigiert wird.

Auch die literaturwissenschaftliche Einschätzung zeitgenössischer Autorinnen gerät etwas zu kurz, wenn z. B. von spezieller Frauenliteratur oder vom klassischen Frauenroman die Rede ist, ohne diese Begriffe zu erläutern. Zudem werden in der Beurteilung Johanna Schopenhauers als Autorin die bedeutenden Leistungen der Vorgängerinnen nicht berücksichtigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Durchmischung von Biographie und Fiktion. So zieht Ulrike Bergmann Passagen aus den Schopenhauer'schen Romanen heran, um sie auf das Leben der Autorin zu übertragen. Die Basis für diese Vorgehensweise bildet ihre These, wonach Johanna Schopenhauer ",durch' Romane und andere literarische Formen" ihr Leben dachte und dieses "in ihren Briefen [...] als Erzählung" konzipierte. Daraus folgt für Bergmann, dass die erzählerische Form Johanna Schopenhauer zu dem mache, "was sie war: die Heldin ihres Bildungsromans." Diese Psychologisierung ist fehl am Platz, auch wenn sie durch die Ineinssetzung von Leben und Fiktion scheinbar stringente Verbindungen ermöglicht. Diese Stringenz ist nur rückwirkend gegeben, ebenso wenig sind Leben und Fiktion eins.

Neben diesen Schwächen genügt die Romanbiographie dem Anspruch, eine interessante Frau des 19. Jahrhunderts einem breiten Publikum bekannt zu machen, durchaus. Sie ist gut lesbar, eingängig geschrieben und beruht - wie gesagt - auf recherchierten Fakten.

Titelbild

Ulrike Bergmann: Johanna Schopenhauer. Lebe und sei so glücklich als du kannst. Romanbiographie.
Reclam Verlag, Leipzig 2002.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3379007870

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