Die Teile in der Hand

Heribert Prantl analysiert den starken Staat und entleert den Demokratiebegriff

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heribert Prantl ist in vielerlei Hinsicht ein bedeutender Journalist. Der gelernte Jurist und Historiker hat über die Süddeutsche Zeitung eine wichtige Plattform der kritischen Kommentierung der Tagespolitik entwickelt. In seinem Buch "Verdächtig. Der starke Staat und die Politik der inneren Unsicherheit" fügt er nun Kommentare im Nachklapp der Auswirkungen des 11. Septembers 2002 zu einem Überblick zusammen. Prantel touchiert mit seiner zentralen These, dass die Dominanz der Legislative - und eigentlich sogar Dominanz der Regierung - zu einer Degradierung der Judikative geführt hat, das eigentliche Thema der gegenwärtigen Politik: die ,innere Sicherheit' als Matrix für Kriege, Beseitigung von Grundrechten und Repressionen. Dabei entwickelt der Gesetzgeber die Tendenz zur Totalisierung der Szenerie, sei es durch technische Strapazierung des Begriffs vom Rechtsstaat durch kaum mehr diesem Prinzip entsprechende Gesetzgebungsverfahren, oder sei es schlicht durch subkutane Auflösung der Inhalte des Rechtsstaates, wie etwa der Grenzziehung von Polizei, Militär und Geheimdienste.

In diesem Zusammenhang ist es völlig richtig sich des Themas der ,inneren Sicherheit' anzunehmen, das bereits seit den Kinderjahren moderner Staatlichkeit als zentrales Feld von Politiken notwendig erklärt,. Es muss nicht von Übertreibung gesprochen werden, wenn der eher verwischte Begriff der ,inneren Sicherheit' eben als einer der Ausweise von Politikrichtungen und Überzeugungenn gilt und sich so nachgerade als eine Messlatte politischer Handlungen anbietet. In dem Maße, indem die industriealisierten Länder durch soziale Integrationsbemühungen oder repressives in Schach-Halten des Protestpotenzials eine relative innere Stabilität generieren, schien das Thema seine Brisanz verloren und nur noch in Irland, Spanien oder Israel aufgrund von organisierten Anschlägen von tagtäglicher Relevanz zu sein. Die Anschläge auf das WTC und das Pentagon haben den westlichen, industrialisierten Ländern versichert, dass Gewalt und Zerstörung auch im Landesinneren aktuell sind, und damit ist nicht etwa der allgegenwärtig strukturelle Begriff von Gewalt in ungleichem Zugang zu Bildungschancen, patriarchale Herrschaft, oder Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe gemeint.

Die symbolische Zelebrierung von Macht in der Zerstörung des Handelszentrums und der Beschädigung eines der meistgesicherten Gebäude der Welt hat zur Wiederbelebung von überwunden geglaubter Erinnerungen geführt: Helmut Schmidt brachte nach eigenem Bekunden "den Rechtsstaat an seine Grenzen", weil er der raison d'etat gegenüber der RAF genüge tun wollte; in den USA heute von einem Rechtsstaat zu sprechen ist allenfalls ein mutiges Glaubensbekenntnis. Es scheint also, als habe einer der scharfsinnigsten Analysten der politischen Pragmatik hinter dem Herrschaftskonzept, Nicolo Machiavelli nähmlich, bei dem Ersinnen von Sicherheitspaketen den Gesetzgebern die Feder geführt: individuelle Freiheitsrechte gelten nichts gegenüber der Notwendigkeit der Herrschaftssicherung.

All dies exemplifiziert Prantl an zum Teil redundanten Beispielen. Die Aufhebung der Trennung von Aufgabenbereichen und Einsatzfeldern, in denen Polizei, Militär und Geheimdienste tätig sind, die Überwachung der Privatsphäre mit elektronischen Ohren, Staubsaugern oder Augen, die Verweigerung der Legislative sich an den gebotenen und etablierten Mechanismen einer demokratisch legitimierten Rechtsprechung zu orientieren; die von Otto Schily durchgepeitschten Sicherheitsgesetze, bei denen indviduelle Freiheitsrechte und deren Grundideen zur disposition gestellt werden: All das listet Prantl auf um das Grundübel gegenwärtiger Politik in der fehlenden Objektivität des Staates festzustellen. Es ist, als sei der Drang zur Dominierung der Einflusssphären durch den Staat, zur Entkräftung und Manipulierung der dagegengestellten Hindernisse - wie etwa der breiten Kontrolle und der Legitimitätsanforderung durch eine politische Öffentlichkeit - eine Art schlechte Angewohnheit des Staates und seiner Diener. Die Facetten der Arkanpolitik sind für Prantl also weniger inhärenter Aspekt von Staatlichkeit, nicht der eigentliche Machtbegriff selbst, sondern eine kurierbare Krankheit. Der Staat wird als institutioneller Körper, nach liberaler Legende von der Gesellschaft getrennt verstanden. Hegel sah in der preußischen Variante den Reflex des absoluten Geistes. Dass allerdings dieser Staat selbst eine Nahkampfzone der Interessensauseinandersetzungen etwa gesellschatftlicher Klassen ist, bleibt ausgeblendet.

In gewisser Weise redet Prantl also von Oberflächenphänomenen - von diesen allerdings berichtet er mit unbestechlicher Genauigkeit. Vor Verwandlung des Bergriffs der Gerechtigkeit im Gegenwert der staatlichen Politik zu einer schlichten Verschiebemasse zur Besänftigung von Populismen (und durch solche selbstgeschürte Ängste) machen demnach weder SPD noch CDU/CSU halt, die Belege dafür sind erdrückend. Das Buch entwickelt seine Stärken im journalistischen Zugriff etwa auf die Beschneidung der Judikative, der Skizze von überwachungsstaatlichen Dimensionen; in der atemberaubenden Besichtigung etwa der Rolle eines Otto Schily und an der richtigen Geißelung der strukturellen Transformierung des Rechtsstaates in einen Präventivstaat - es vermag allerdings nur wenig darüber auszusagen, warum dies geschieht. Somit ist es Prantl gelungen aus den Kommentaren und Artikeln ein bei aller Redundanz der Einzelbeispiele spannendes Buch zu schreiben. Indem es allerdings die Institutionen und Personen selbst in den Mittelpunkt rückt, nicht aber die Mechanismen der Macht und die Logik der Kontrolle - wie dies etwa Michel Foucault in "Überwachen und Strafen" so meisterlich andenkt - bleibt an Stelle der Analyse und Erklärung am Ende eine Leerstelle, die sich beim nächsten Zeitungsaufschlagen in Zynismus verwandeln kann.

Titelbild

Heribert Prantl: Verdächtig. Der starke Staat und die Politik der inneren Unsicherheit.
Europa Verlag, Hamburg 2002.
154 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3203810417

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