Gefährdung des Lebensglücks

Hans Pleschinski hält eine persönliche Totenklage

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gab eine Zeit vor Aids. Schöne Männer, schneller Sex, Darkrooms und Discos - die leichtlebigen siebziger Jahre wurden spätestens am 6. Juni 1983 mit dem Spiegel-Titel "AIDS" beendet. "Von der Silvesterfeier 1984 in Berlin", schreibt Hans Pleschinski, "lebt, bis auf mich, niemand mehr." Obwohl das Virus alle treffen kann, wütete es besonders schlimm in der promisken Schwulenszene. Bereits im fünften Satz seines jüngsten Romans, "Bildnis eines Unsichtbaren", gibt Pleschinski die Tonart vor. Anlässlich einer Silvesterfeier in Paris zur Jahrhundertwende notiert er beklommen seine Eindrücke: "Durch Aids wirkte Paris entvölkert, entzaubert. Lange hatten sie an der Seine geglaubt, dem Virus mit Rotwein und Knoblauch Paroli bieten zu können. Am Ende war Serge auf 43 Beerdigungen gewesen." Die eigene Gefährdung hat er lange verdrängt, erst als ihn ein Sportunfall zur Blutabnahme zwingt, erfährt er, dass er Glück gehabt hat. Von neuem Lebensglück beseelt, betrinkt er sich maßlos in einem Münchner Gourmettempel. Die Angst war für ihn, der viele Freunde sterben sah, ein ständiger Begleiter; sein Lebensgefährte starb nach acht Jahren zwischen Qual und Hoffnung ebenfalls an der Immunschwächekrankheit. Ihm ist dieser Roman gewidmet, eine sehr offene, persönliche Totenklage und Liebeserklärung an den verstorbenen Freund, aber auch anhand der eigenen Biographie die Geschichte vom Verlust der Unbekümmertheit.

Hans Pleschinski ist ein Mann mit Stil, Geschichtsbewusstsein und einem Faible für das elegante, höfische Ambiente. Er hat die Briefe der Madame Pompadour und den Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen übersetzt und herausgegeben, kann sich für Louis XIV und barocke Musik ebenso begeistern wie für Proust und Saint-Simon, schätzt Kulinarisches und wohlgeformte Körper. So schildert er in diesem autobiographischen Roman, wie er nach dem Abitur 1975 mit dem silbernen Taufbesteck im Rucksack nach Paris fuhr, um in die Oper zu gehen und Versailles zu sehen. Das Leben beginnt ein Fest zu werden, carpe diem heißt die Devise, die Liebhaber wechseln rasch, man wird erst intim, bevor man den anderen näher kennenlernen will. Alles ist Rausch, Ekstase, auch Orgie. Erotik und Kunst strukturieren früh sein Leben, mit Rimbaud auf den Lippen wird manches Matratzenlager zum "Durchlauferhitzer".

In der Abgeschiedenheit der Heide blüht bereits die Liebe zum Cousin Wilhelm, der Zivilidienst in einem Celler Altenheim ermöglicht den Kontakt zu einigen Blaublütern, die den Autor zum Schriftstellerdasein ermutigen. Es folgt ein Studium in München, Komparserie am Gärtnerplatztheater und das Eintauchen in die Münchner Schwulenszene mit "Ochsengarten" und "Türkensauna". Hier begegnet der Autor dem siebzehn Jahre älteren Galeristen Volker Kinnius, einem intellektuellen und originellen 68er, der Pleschinskis Kunstverstand schärfen und seine literarische Karriere als Erstleser und Mentor begleiten wird. Die Offenheit verblüfft, mit der diese Beziehung in Rückblenden, inneren Monologen und fiktiven Dialogen erzählt wird. Kritisch und bewundernd zugleich setzt Pleschinski diesem unabhängigen Geist, dessen materielle Existenz nahezu immer bedroht war, ein literarisches Denkmal. Er bettet die Biographie des Freundes und den gemeinsamen Lebensabschnitt in die gesellschaftspolitischen und kulturellen Strömungen dieser Jahre ein und akzentuiert so auch das Profil eines Mannes, der unermüdlich und voller Idealismus an Kunstprojekten wie art-in-nature und der Wiederentdeckung des surrealistischen Malers Edgar Ende mitwirkte.

Als ihn 1993 die Nachricht von der HIV-Infektion ereilt, zieht sich Kinnius vom "Fleischmarkt" der Eitelkeiten zurück; sein von Aids, Krebs und Herzinfarkten gezeichneter Körper verfällt zusehends. Doch die Heiterkeit und Güte seines Denkens bleibt auch dann noch spürbar. Wenn Pleschinski von Nebenbuhlern, Eifersüchteleien und schiefen Verhältnissen erzählt, erscheint Kinnius als grummelnder Lakoniker, der zuhört und Vertrauen schenkt. Bis zu seinem Tod kommen die beiden nicht voneinander los, 23 Jahre waren sie ein Paar. "Tot. Ich bin frei. Ich könnte ein neues Leben beginnen", schreibt Pleschinski. Doch sein intensives Porträt dieser symbiotischen Beziehung zieht nicht den Schlussstrich unter einen Lebensabschnitt, sondern preist die Liebe, die Kunst, die Boheme.

Titelbild

Hans Pleschinski: Bildnis eines Unsichtbaren. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2002.
272 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446202226

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