Produktives Missverständnis
Humberto R. Maturana und Bernhard Pörksen über die Ursprünge der Biologie des Erkennens
Von Jens Kiefer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZirkularität, Autopoiesis, Beobachter, Perturbation, strukturelle Kopplung: Das sind Begrifflichkeiten, die die systemtheoretisch inspirierte Soziologie bevorzugt heranzieht, um die unterschiedlichsten Aspekte des Sozialen zu beschreiben. Es sind Begriffe, die es ermöglichen, Management, Liebe, Politik oder Kunst unter bestimmten Aspekten vergleichbar zu machen. Geprägt hat diese Termini der Chilene Humberto Maturana, der wahrscheinlich unter Soziologen, Kybernetikern, Kognitionswissenschaftlern und Anhängern des Konstruktivismus bekannter sein dürfte als innerhalb seiner eigenen Zunft, der Biologie. Maturanas Erfolg in diesen Disziplinen verdankt sich vor allem seinen Thesen von der Beobachterabhängigkeit des Erkennens und der operationalen Geschlossenheit des Wahrnehmungsapparates, die als Kerngedanken des konstruktivistischen Denkens gelten können und die aufgrund ihrer Herkunft aus einer harten Wissenschaft als Grundlagen einer Erkenntnistheorie natürlich ungemein attraktiv sind. Ganz so hart sind jedoch die Naturwissenschaften á la Maturana dann auch nicht mehr. Denn sein Denken kreist nicht nur um den zentralen Gedanken der Autopoiesis, sondern vielleicht in noch stärkerem Maße um die Zentralität der Liebe für unser Sozialwesen, was einen voreingenommenen Beobachter dazu veranlassen könnte, Maturanas Werk im Bereich der Esoterik anzusiedeln.
Bernhard Pörksens Gespräche mit Humberto Maturana versuchen ihn dabei ganz zu erfassen: den Kognitions-Maturana sowie den Liebes-Maturana, aber auch den Privat-Maturana. Immer wieder geht Pörksen dabei auf die Verbindung von Forschungsergebnissen und einer ableitbaren Ethik ein, die Maturana selbst nahe legt. Letzterer erscheint dabei als Gesprächspartner, dem es zeitweilig gelingt, seine eigenen Gedanken kreativ anhand von Beispielen aus dem Bereich der Kindererziehung oder persönlicher Erfahrung zu demonstrieren. Denn leidet das Buch gleichzeitig an diesem zu bemühten Versuch, das Denken zu veranschaulichen. Denn gerade die Rekonstruktion seiner erkenntnistheoretischen Theoreme erscheint teilweise trivialisiert und kann eine tiefere Einsicht in Maturanas wissenschaftliches Denken nicht vermitteln. Interssant wird das Buch jedoch an den Stellen, wo die Bedingungen wissenschaftlichen Denkens innerhalb einer Diktatur (etwa Maturanas Zusammentreffen mit Pinochet) oder das wissenschaftliche Feld in seinen Vernetzungen thematisiert werden. Besonders aufschlussreich sind Maturanas Ausführungen zu seiner Rezeption in der Luhmannschen Soziologie. Deutlich wird, wie sehr sich die eigene Sicht auf die Gesellschaft und Luhmanns nur an Maturana orientierter Blick auf die Gesellschaft unterscheiden. Luhmanns Übertragung des Begriffs Autopoiesis auf die Gesellschaft erscheint Maturana als reduktionistsiche Fehladaption, die den Blick auf das, was das Soziale ausmacht - die Liebe - verdeckt. Luhmanns Verzicht, den Menschen als Gesamtheit in die Gesellschaft zu inkludieren, wird von Maturana als Merkmal des Totalitarismus und mangelndem Interesse an demokratischem Zusammenleben gedeutet. Aber es sind Stellen wie dieses Missverständnis, die dieses Buch lesenswert machen, da sie zeigen, dass das Zusammenwachsen von Geistes- und Naturwissenschaften unter dem Banner der Kognitionswissenschaften noch nicht vollzogen ist.
|
||