Hitlers willfährige Verleger

Die Geschichte der Familie und des Unternehmens Bertelsmann/Mohn im 'Dritten Reich'

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Vor fünfzig Jahren fing man an / zu drucken bei C. Bertelsmann. / Seitdem druckt man mit großem Fleiß, / was dient zu Gottes Lob und Preis. / Jetzt können selbst die fernen Heiden / an hier gedrucktem Wort sich weiden."

Der Verlag C. Bertelsmann, 1835 aus einer Steindruckerei hervorgegangen, machte seine ersten Geschäfte mit Gesangbüchern und Notenblättern. Mehr als hundert Jahre lang sorgte die Publikationsstrategie des protestantisch geprägten Verlagshauses für die Verbreitung volkstümlich-religiöser Erbauungsschriften, evangelischer Missionsliteratur und theologisch-wissenschaftlicher Abhandlungen. Schullese- und Gesangbücher wurden in großen Auflagen vertrieben, Sammlungen christlicher Lieder spendeten Trost oder gaben Handlungsorientierung in der religiösen und nationalen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, kurz: Der Familienbetrieb wurde zur Stimme einer politisch geprägten Kirchlichkeit.

Diese theologische Basis der Gründungsgeschichte bildete nach 1945 auch den Ausgangspunkt für ein Selbstbild des Unternehmens, dem zufolge der Verlag C. Bertelsmann aufgrund seiner kritischen Haltung zum 'Dritten Reich' als eines der wenigen nicht-jüdischen Unternehmen vom Nazi-Regime geschlossen worden sei. 1998 führte Thomas Middelhoff bei seiner Dankesrede zum Vernon A. Walters Award aus: "We had been publishing books that were banned by the Third Reich as subversive. Bertelsmann's continuing existence was a threat to the Nazi attempt to control freedom of expression."

Diese Darstellung der Firmengeschichte stieß auf scharfe öffentliche Kritik und hatte die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zur Folge, deren Aufgabe es sein sollte, den Werdegang des Unternehmens zur Zeit der Naziherrschaft in Deutschland zu untersuchen. Im Dezember 1998 wurde der Historiker Saul Friedländer gebeten, die Leitung einer "Unabhängigen Historischen Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich" (UHK) zu übernehmen, und Friedländer veranlasste auch die Ernennung der weiteren Mitglieder der Kommission: Norbert Frei verantwortete den Bereich Zeitgeschichte, Trutz Rendtorff den Bereich Religionsgeschichte und Reinhard Wittmann die Bereiche Buchwissenschaft und Literaturgeschichte. Ihnen wurden weitere Autoren aus den verschiedenen Disziplinen zugeordnet, um die "gemeinsame Darstellung und einheitliche Bewertung" des interdisziplinären Projektes sicherzustellen. Die Bertelsmann AG sicherte die Finanzierung des Unternehmens und gewährte Einblick in alle "im Unternehmen noch erhaltenen Unterlagen aus dem Untersuchungszeitraum". Sie finanzierte die umfangreichen Recherchen der zwölfköpfigen Kommission, stellte das Personal für die Geschäftsstelle der UHK und ihr Archiv.

Der Bericht der UHK um Saul Friedländer wurde im Herbst 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er ist im Verlag C. Bertelsmann erschienen und zeichnet ein anderes Bild der Firmengeschichte: Aus freien Stücken und unter dem Primat unternehmerischer - und das heißt vor allem: ökonomischer - Interessen verlegte C. Bertelsmann antisemitische und kriegstreiberische Literatur, die - zum Teil ganz offen - Verfolgung und Gewalt propagierte.

Die Bereitschaft zur ideologischen Anpassung führen die Verfasser des Berichts unter anderem auf die "antijüdische Tradition des konservativen Protestantismus" zurück, der das Haus seit seiner Gründung verpflichtet war. Als Carl Bertelsmann, der Firmengründer, 1850 an einem Gehirnschlag starb, übernahm Heinrich Bertelsmann (1827-1887) die Geschäfte und erweiterte die theologische Basis des Verlages um philologische und geschichtliche Werke sowie Jugendbücher. Als er starb, ging das Unternehmen auf die Tochter Friederike über, mit der die Linie Bertelsmann endete. Friederikes Ehemann Johannes Mohn (1856-1930), Sohn eines Pastors, führte die Geschäfte fort, indem er die Bereiche der theologisch-wissenschaftlichen Literatur und der religiösen Ratgeberliteratur ausbaute. 1921 stellte sich Heinrich Mohn (1885-1955) in den Dienst der Familientradition und leitete das Unternehmen bis 1947. Er nahm neue wissenschaftlich-theologische Buchreihen und Zeitschriften ins Programm auf und kümmerte sich verstärkt um die traditionellen Handelsware des Verlages, wie zum Beispiel Gesangbücher, mit der man große Auflagen erzielen und hohe Renditen erwirtschaften konnte.

Heinrich Mohn war Mitglied der Bekennenden Kirche und ließ gleichwohl 1932 ein Flugblatt drucken, mit dem er den Wahlkampf der NSDAP unterstützte und explizit gegen das Zentrum Stellung bezog. Antisemitische Äußerungen sind von ihm nicht überliefert, doch sah er in der Verbreitung antisemitischen Schrifttums offenbar einen Weg, seine unternehmerischen Ziele zu erreichen. Als politisch belastet musste er die Firmenleitung an seinen Sohn Reinhard Mohn (geboren 1921) abtreten, doch räumte dieser ihm umfassende verlegerische Befugnisse ein und überantwortete ihm den Bereich der wissenschaftlich-religiösen Literatur, den er bis zu seinem Tod im Jahre 1955 auch betreute.

Der 800 Seiten starke Bericht der Kommission, der nach knapp vierjähriger Arbeit vorgelegt wurde, ist vier thematischen Feldern zugeordnet: 1. Zeit- und allgemeine Unternehmensgeschichte; 2. Theologie, religiös-praktisches Schrifttum und Kirchenpolitik; 3. Verlagsgeschichte und Belletristik; 4. Antisemitismus. Wie der Einleitung zu entnehmen ist, wurde der Bericht in elf Kapitel gegliedert, "von denen drei den politischen, lokalen, regionalen, familiären und unternehmerischen Zusammenhängen gewidmet sind", zwei das theologische Verlagsprogramm analysieren und "drei den belletristischen Verlagsteil und seine Produktion von den Unterhaltungsromanen über die Kriegserlebnisbücher bis zur Versorgung von Heimat und Front mit Lesestoff". Ein weiteres Kapitel untersucht "antisemitische Inhalte" der Veröffentlichungen, und die beiden letzten Kapitel befassen sich mit dem "Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen" und den Gründen seiner Schließung im August 1944 sowie "der Lizenzierung und dem Wiederbeginn nach 1945".

Die Ausweitung des Darstellungszeitraumes über die engen zeitlichen Grenzen des 'Dritten Reiches' hinaus war eine richtige und wichtige Entscheidung, insbesondere für die Darstellung der antisemitischen Verlagsproduktion, die vor 1933 eine andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert hatte als danach. Auch wurde dadurch erst die konsequenre Haltung sichtbar, mit der Verlagsleiter Heinrich Mohn das Unternehmen auf die Linie einer "nationalen Revolution" brachte, die dann im Nationalsozialismus aufging.

Bereits in den 20er Jahren öffnete Mohn seine Programme für Bücher und Broschüren, die der antimodernen, völkisch-konservativen Grundstimmung des alten Reiches und der volksmissionarischen Tradition des Protestantismus entsprachen. Die Annahme, der theologische Verlag C. Bertelsmann sei nach 1933 im Widerstand gegen das NS-Regime zu suchen, ist daher irrig: "Vielmehr ließen sich die von Bertelsmann - wie von vielen anderen Verlagen - publizierten Schriften zunächst voll und mit teilweise offener Begeisterung auf den politisch aktualisierten Diskurs über Volkstum und Religion ein." Der Verlag konnte sich in der Gewissheit wiegen, die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt und sich nicht bloß 'angepasst' zu haben. Es kam Heinrich Mohn jedoch entgegen, dass sich die Nationalsozialisten eine Mitgestaltung des neuen Staates durch Tendenzbetriebe wie Verlage, aber auch durch die Kirchen und sonstige gesellschaftliche Gruppierungen, verbaten. Die Trennung von Geschäft und Politik und Theologie und Politik entsprach exakt seinem Selbstverständnis als Verleger und als Mitglied der Bekennden Kirche. Im Nachhinein muss dieser Primat des Geschäfts auch als politische Handlung verstanden werden, als freiwilliger "Verzicht auf politischen Einfluß" und als "Akt der Anpassung".

Der Rückzug aufs Eigene bedeutet jedoch nicht, dass der Verlag seine Geschäftsinteressen hintangestellt hätte, ganz im Gegenteil: Das konservativ-christlich geprägte Verlagshaus zog aus der Entwicklung des politischen Klimas Profit, indem es nach 1934 tendenziöse Bücher aus dem rechten Spektrum in Lizenzausgaben herausbrachte. Mit Kriegs- und Freikorpsbüchern, historischen Romanen, Reisebüchern und Reportagen, Heftreihen für die Jugend und Feldpostausgaben eroberte man sich einen Massenmarkt. Alte Vertriebsformen, aus dem Kolportagebuchhandel bekannt, wurden im Reise- und Versandbuchhandel optimiert und den neuen Bedürfnissen effizient angepasst. Und die drängenden Fragen der Zeit, etwa die Haltung in der "Judenfrage", wurden in den belletristischen Werken ebenso wie in den theologischen Schriften des Verlages ausgiebigst erörtert. Der Antisemitismus in der von C. Bertelsmann vertriebenen Unterhaltungsliteratur ist in seiner Primitivität ebenso zeittypisch wie die von Heinrich Mohn verlegte Kriegsapologetik: Während sich die deutsche Armee im Kampf heldenhaft bewähre, profitierten "deutsche Handelsjuden" von ihren Geschäften mit dem Erbfeind. Viele der bei Bertelsmann verlegten Bücher bekennen sich zur NS-Ideologie und zur NS-Politik und rechtfertigen "ganz offen Verfolgung und Gewalt": Der radikale Antisemitismus der explizit rassistisch argumentierenden Literatur "konvergiert mit der nationalsozialistischen Juden(vernichtungs)politik."

Die UHK hat sich eine einheitliche Darstellung zum Ziel gesetzt, gegebenenfalls - wo möglich und wo nötig - unter Berücksichtigung anderer Verlage im 'Dritten Reich', denn es gab durchaus Tendenzunternehmen, die sich nicht regimekonform exponierten, sondern auf die Übernahme antisemitischer Literatur verzichteten. Die Homogenität der Darstellung ist im wesentlichen geglückt, doch hat sich - aufgrund der getrennt vorgehenden Arbeitsgruppen - so manche Redundanz ergeben. Auch ist zu konstatieren, dass die im engeren Sinne religionsgeschichtlichen Kapitel insgesamt überzeugender und eine Spur sachlicher ausfallen als die historischen und die verlags- und literaturgeschichtlichen. Insbesondere die Historiker neigen zu einer moralisierenden Darstellung, die inzwischen doch obsolet sein dürfte. Die Präsentation der belletristischen Programmentwicklung neigt bisweilen zum Plakativen, dann wieder zur kleinteiligen Wiedergabe von Inhalten. In diesem Bereich jedoch, das muss man den Autoren zugute halten, fehlt es entschieden an Vorarbeiten und somit an historischer Aufbereitung, und dies ist vielleicht mit ein Grund für die zuweilen überdeutliche, zum Teil ironische Distanzierung der Verfasser von ihrem Gegenstand. Der Bericht macht insofern auch Aufgaben der Forschung deutlich: Die Bedeutung des Antisemitismus für das Programmprofil beispielsweise, dies wird zu Recht betont, kann eingehend nur im Vergleich mit anderen Verlagshäusern beurteilt werden, insbesondere solchen, die sich ebenfalls an eine christlich-religiöse Leserschaft gewandt haben.

Heinrich Mohns Ambiguität in politisch-weltanschaulichen Fragen, sein fehlendes Gespür für literarisch-ästhetische Qualität, seine Bereitschaft zur Anpassung im Interesse der Firma sowie die weltanschauliche Konvergenz von konservativ geprägtem Protestantismus und deutschem Nationalismus führten dazu, dass aus dem manifesten Opportunismus des Firmenchefs übergangslos "direkte ideologische und propagandistische Unterstützung" des Hitler-Regimes wurde. Und auch nach dem Krieg glaubte Heinrich Mohn, seine Firmenpolitik mit derselben Unbekümmertheit fortsetzen zu können: Er unterschlug wichtige Daten der Firmenpolitik in seinem Entnazifizierungsfragebogen und setzte auf die Unkenntnis der alliierten Militärbehörden, er rechnete die Kriegsbücher und politischen Schriften seines Verlages klein, und er bastelte an einer Legende, der zufolge der C. Bertelsmann Verlag als subversives Unternehmen von den Nazis geschlossen worden sei. Ohne Einsicht in den Ernst der Lage suchte er sogar Kontakt zu den schwer belasteten Erfolgsautoren des 'Dritten Reiches', Will Vesper und Hans Grimm, um mit ihnen neue Pläne zu schmieden.

Die Saga vom Widerstandsverlag hatte, zumindest vor der alliierten Zeitschriftenlizenzierungsstelle, nicht lange Bestand: Derem Vorstand fielen die Ungereimtheiten in den Unterlagen auf, behördliche Ermittlungen machten "ergänzende Angaben" notwendig, und die Falschaussagen Heinrich Mohns brachten schließlich auch Bertelsmanns Buchlizenz in Gefahr. Mit sehr viel Geschick und auch Glück übernahm es Reinhard Mohn, das Unternehmen aus dieser Bredouille herauszuführen: Während sein Vater seinen Rückzug aus der Verlagsleitung erklärte, gab sich Reinhard Mohn als Aufklärer, und es gelang ihm, belastendes Material aus der Welt zu schaffen. Reinhard Mohn war es aber auch, der der Legende vom Widerstandsverlag C. Bertelsmann erneut Nahrung gab und die geschönte Festschrift zum 150-jährigen Bestehen des Unternehmens in die Welt setzen ließ.

Die Unabhängige Historische Kommission hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Vor allem im Bereich der Theologie ist die solide Fundierung ihres Berichts unabweisbar. Hier wird eine vielfach anschlussfähige mittlere Abstraktionsebene erreicht, hier bestechen die unbedingte Sachbezogenheit und der absolut nüchterne Ton der Darstellung. Wertvoll sind auch die zahlreichen Schautafeln, die die Umsatzentwicklung ausweisen, Gewinne und Verluste nach den Verlagssparten aufschlüsseln, Auflagen und Herstellungskosten in Beziehung setzen, die Mitarbeiterentwicklung und die Personalkosten aufführen und bei Zeitschriften über den Verlauf der Abonnentenzahlen informieren. Zahlreiche historische Aufnahmen sowie moderne Farbabbildungen, die die Entwicklung der Buchgestaltung und der Werbemittel dokumentieren, runden den Band ab. Der Anhang bietet für den Darstellungszeitraum einen Stammbaum der Familie Bertelsmann/Mohn, betriebswirtschaftliche Unternehmensdaten, 120 Seiten Anmerkungen, ein Abkürzungsverzeichnis, eine Bibliographie sowie ein Personen- und Werkregister. Der Bericht der UHK umfasst mehr als nur die Zeit des 'Dritten Reiches', die UHK hat dem Bertelsmann Verlag seine Geschichte wiedergegeben.

Titelbild

Saul Friedländer: Bertelsmann im Dritten Reich. Unter Mitarbeit von Hans-Eugen Bühler, Christoph Haas, Tanja Hetzer, Beate von Miquel, Helen Müller, Stafan Pautler, Olaf Simons und Sybille Steinbacher.
C. Bertelsmann Verlag, München 2002.
794 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3570007111

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