Das Leben lässt kein Klischee aus

Neue seltsame Geschichten von Helen Meier

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Warum reden wir über Luise? Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich nehme an, daß sich die Dinge ergeben, indem ich Worte brauche. Irgendwelche." Eigentlich hat Helen Meier keine Themen, deshalb erzählt sie zum Beispiel von Luise. Oder von der Frau, die trotz Höhenangst eine Bergwanderung macht. Oder die Geschichte von "Afternoon" und ihrer Biographin, die sich als Besorgerin hat anstellen lassen. Dabei wird nie geklärt, um welche Person es sich bei Afternoon wirklich handelt. Man hat weit eher den Eindruck, die Schriftstellerin rückte immer stärker ins Zentrum, gäbe mehr von sich preis als die Frau, der etwas über ihr Leben entlockt werden soll.

Helen Meier ist einem breiteren Lesepublikum nicht bekannt. Dabei wurde das Werk der 1929 geborenen Schweizer Schriftstellerin mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Vielleicht liegt es an dem Unspektakulären ihrer Geschichten, an dem leisen Ton. Vor einer Verharmlosung sei jedoch gewarnt, und so tragen die jüngst erschienenen neuen Erzählungen auch den Titel "Letzte Warnung".

In der Titelgeschichte geht es, wie es scheint, um eine Frau, eine Angestellte, die die Warterei auf ihren Herrn zwar hasst, aber dennoch bei ihm bleibt. Warum, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Etwas Atmosphärisches ist es, ein Nicht-anders-können, das in der Luft liegt, ein Bereich zwischen diesen beiden Menschen. Ein solch Rätselhaftes, nicht Aufzulösendes, macht den Kern aller Geschichten dieses Buches aus.

Und so ist es generell: Alltagsereignisse sind der Ausgangspunkt, scheinbar einfache, fast langweilige Dinge und Personen. Aber durch das Erzählen wird jede dieser Situationen zu einem kleinen Schmuckstück. Leben, wie Helen Meier es schildert, erhält einen Glanz, den es nicht hatte, bevor es zur Sprache kam. Die Worte beweisen, dass die Welt, die zunächst etwas Starres hat, in Bewegung geraten kann, hervorgerufen durch die Leidenschaft, aufzuschreiben, was ist und sein könnte.

Helen Meier ist eine Autorin, die eine große Leserschaft verdient.

Titelbild

Helen Meier: Letzte Warnung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
252 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3518399012

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