Vertrautheit zwischen Sprache und Gedicht

Minimal-Celan mit Mini-CD

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während russische und lateinamerikanische Dichter ganze Konzertsäle mit ihrem Vortrag zu füllen vermochten und man in England, das literarisch nie aufgehört hat, vom unterdrückten Bruder Irland zu lernen, zaghaft wieder an die alte bardische Tradition anknüpft, ist die Mündlichkeit des Gedichts im Deutschen Opfer einer unerklärlichen Berührungsangst: Wir kennen zwar eine Menge von Synchronstimmen amerikanischer Hollywood-Schauspieler, kaum aber die ,unserer' Dichter.

Das mag mit der Abscheu vor den rhetorischen Inszenierungen der Nazis zusammenhängen. Selbst Paul Celan war vor derartigen Verdächtigungen nicht gefeit: Als der der Bukowiner Flüchtling in Niendorf an der Ostsee vor der Gruppe 47 las, zog man seinem gekonnt melodiösen den verlegenen Vortrag der eingeschüchterten Ingeborg Bachmann vor. Sie, die große Celan-Zehrerin, bekam den Preis - der Dichter die üble Nachrede, er spräche wie Goebbels.

Dabei hatten eben die Nazis jene häusliche Tradition des (vor-)lesenden Schreibens zerstört, aus der Weißglas und Celan, Ausländer und Meerbaum-Eisinger gekommen waren. Der Singsang der zahlreichen Czernowitzer Umgangssprachen speiste dieses weiche österreichische Deutsch. Die Pflege dessen, was man nach Zusammenbruch des Habsburgerreichs für deutsch und Kultur hielt und womit man sich von der rumänischsprachigen Umgebung unterschied, fand in den Zusammenkünften dichtender Schüler und Studenten statt, die einander vorlasen, was sie geschrieben oder von den Klassikern gehört hatten. Gemessen an der vergleichsweise geringen Zahl der deutschsprachiger Bukowiner, deren Kreise einen beachtlichen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur geleistet haben, kann es kein besseres Klima für Gedichte geben. Wenn Celans Stimme auch nicht eindrucksvoll oder bestimmend ist, so ist sein Vortrag das beste Zeugnis für die Vertrautheit zwischen Sprache und Gedicht, die dort geherrscht haben muss. Das beste Deutsch aller Zeiten, so waren sich die Theaterleute einig, sprach man allerdings in Prag.

Durchaus begrüßenswert ist eine Reihe mit namhaften Autoren des letzten Jahrhunderts, die mit einer repräsentativen Auswahl Text und Originalstimme zu Wort kommen. Im Fall von Celan will der Suhrkamp Verlag damit sichtlich für die bevorstehende Edition der Bonner Ausgabe werben; doch vor allem das ,Gimmick' der Mini-Disc, die der Münchner Hörverlag den Büchlein beisteuert, macht den handlichen Band attraktiv. Zudem ist diese Neuauflage der Sammlung "Ich hörte sagen" von 1968 um die beiden berühmten Celan-Reden, das bekannte Nachwort von Beda Alleman und eine aktualisierte Bibliografie (und Sekundärbibliografie) ergänzt. Der rundum kompakte Celan kostet nicht mehr als 10 Euro und wird darum - hoffentlich - in viele IKEA-Regale Einzug halten.

Titelbild

Paul Celan: Ich hörte sagen. Gedichte mit CD.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
172 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3518398520

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