Kenner und Könner
Peter Rühmkorf zum 70. Geburtstage
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWendigkeit, Leichtigkeit und Eleganz, Augenmaß und Geschmack selbst dort, wo es gilt, "freischaffend loszuferkeln" - das sind herausragende Merkmale des Schriftstellers Peter Rühmkorf. Kaum zu glauben, daß der junge Mann im Oktober siebzig wird und sich pünktlich zum Geburtstag "vorletzte Gedichte" auf den Gabentisch gelegt hat: "Wenn - aber dann". Dieser Band zeigt: da ist sich jemand auf höchstem Niveau treu geblieben, und wenn er sich verändert hat, dann ist er weitergekommen und hat sich noch verbessert und verfeinert und vervollkommnet, daß es eine Freude ist, ihn zu lesen und zu studieren.
Seit den fünfziger Jahren ist Peter Rühmkorf der Inbegriff einer formvollendeten, zugleich spielerisch leichten, sehr zeitbezogenen, mitunter frechen und gern auch deftigen Lyrik. Schon früh hat er als Kenner und Könner Flagge gezeigt: Als Lyrik-Kritiker Leslie Meier ("Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof") schaute er aufs Gemachte, als Lyriker aufs Gemächt: "Kunst ist wo man einen bei hoch kriegt".
"Mein Verlag druckt jeden Dreck", heißt es in der "Reimfibel", und so kann Rühmkorf auf eine reiche Produktion zurückblicken, nicht nur als Lyriker. Als Essayist, als blitzgescheiter Kritiker, als Prosaschriftsteller hat er Standards gesetzt. Zuletzt mit seinem offenherzigen Tagebuch "Tabu", aber schon Anfang der siebziger Jahre mit dem höchst - im emphatischen Sinne - eigenartigen Bekenntnis- und Erkenntnisbuch "Die Jahre, die Ihr kennt" (1972). Kann man, soll man das denn wieder auflegen? Man kann und man soll. Denn dieses Konglomerat aus Tagebuchnotizen, kunst- und kulturkritischen Essays, Gedichten, kurzen Digressionen in Politik und Gesellschaft, in seiner Materialfülle eindeutig ein Kind der 70er Jahre, läßt sich als eine erfreulich zugängliche Sitten-, Kultur- und Geistesgeschichte der noch jungen Bundesrepublik und des noch jungen Autors Peter Rühmkorf lesen. Das Buch, collagenhaft angereichert durch zahlreiche Bildbeigaben, als da sind Schülerzeichnungen und Privatfotos des Autors, Plakate, Artikel aus und Frontispizen von Zeitschriften, einer Bescheinigung der Arbeitsvermittlung des Studentenwerks Hamburg usw., geht über den privaten Anlaß weit hinaus. Ergänzt durch einen fast hundertseitigen Anhang mit Anmerkungen, Nachweisen zur Wirkungsgeschichte, einer Bibliographie und einem Personenregister ist es nun - ungeachtet der Ordnungsziffer 2 - als erster Band der gesammelten Schriften Peter Rühmkorfs erschienen. Diese Edition soll in lockerer Folge und von wechselnden Herausgebern betreut erscheinen. "Annonce" heißt eines der eingestreuten Gedichte:
Kommt gebt mir was zu fressen
Ich bin der erste große deutsche Nachkriegsdichter
Nur fehlt mir Fett und Eiweiß
Ich habe keine Lust
Als Frühvollendeter schon zu krepieren
Und noch ist was zu machen
Spannend lesen sich die Begegnungen mit den Hausgöttern, darunter der desaströse Besuch bei dem bis heute viel gelobten, wenig gelesenen Hans Henny Jahnn. Ausführlich erzählt Rühmkorf von Werner Riegel, dem Jugend - und Dichterfreund, der "schlichthin unkorrumpabel" seine Vorlieben verteidigt habe: Lichtenstein, van Hoddis, Einstein, Hardekopf, Poeten mit dem schmalen Gesamtwerk, die man nur noch dem Namen nach oder als Beiträger der "Menschheitsdämmerung" kennt.
"Ich denke manchmal", heißt es in einem Essay von Niklas Luhmann, "es fehlt uns nicht an gelehrter Prosa, sondern an gelehrter Poesie". Rühmkorfs Œuvre wäre eines dieser raren Beispiele einer gelehrten Poesie, deren Vorzug es ist, daß die sich - trotz aller Gelehrsamkeit - ihre Leichtigkeit bewahrt hat. Das Elegante, gekonnt nur Hingetupfte kann aber nur dem gelingen, dem ein reiches Repertoire an Formen, Begriffen und Bildern zur Verfügung steht. Die "vorletzten Gedichte" von Peter Rühmkorf, Gelegenheits- und Widmungsgedichte, Nekrologe und Hommagen, lange Gedichte und Capriccios, sind Belege großer Könnerschaft, aber sie sind - mit dem Alter kokettierend - bereits an einer "Deadline" entlanggeschrieben ("Formal nicht zu fassen"). Aber solange jemand so gute vorletzte Gedichte schreibt, ist der Tod - zumindest der der Poesie - noch in weiter ferner.
Wie dem auch sei: Schon jetzt kann man sagen, daß hier ein "Dichterleben" gelungen ist, auch wenn Rühmkorf ausdrücklich davor warnt, in die Fußstapfen großer Autoren treten zu wollen. Kleist - Hemingway - Uwe Johnson, sie haben alle ein schlimmes Ende gefunden, und sie sind nur die bekannteren Fälle. Wer sich aber doch auf diese Profession einlassen möchte, der sei von Rühmkorf gewarnt, daß die Nachahmung des Lebens mißlingen muß: die "Dinge in Erscheinungsnähe" sind nur theoretisch leicht, praktisch aber schwer zu bestimmen. Man sei auf drei Auftrittsformen der Dichtkunst gefaßt und eingerichtet: Auf das, was dem Dichter leicht zufällt - eher der Ausnahmefall; dann auf das schwer Gestemmte, das dem Dichter ewig fremd bleibt - gewiß der Regelfall; dann das ziellose Geschreibsel, das sich plötzlich, wie von selbst, zum Œuvre öffnet - der seltene Glücksfall.
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