Verlegerin und Freundin

Die "Briefe 1959-1994” zwischen Günter Grass und seiner amerikanischen Verlegerin Helen Wolff sind Zeit- und Lebenschronik zugleich

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Briefwechsel umfasst einen Zeitraum von nahezu 35 Jahren. An seinem Beginn steht ein zurückhaltend formuliertes Anliegen an den "sehr geehrten Herrn Grass": "Freunde", so schreibt der Verleger Kurt Wolff, "haben mich auf einen Roman von Ihnen aufmerksam gemacht: "Die Blechtrommel". Ich möchte ihn gern im Hinblick auf eine eventuelle englische Ausgabe lesen und wäre Ihnen dankbar, würden Sie mir ein Exemplar [...] schicken, mit einer Option." So beginnt am 24. März 1959 eine Beziehung, die nach dem unerwarteten Tod Kurt Wolffs 1963 von seiner Frau Helen Wolff fortgeführt wird und sich in den Folgejahren zu einer tiefen Freundschaft auswächst: "Nein, liebe Helen," bilanziert Günter Grass am 17. Januar 1992, "ich widme Dir dieses Buch ("Unkenrufe", HGL) aus Dankbarkeit und Freundschaft. Wie sonst niemand hast Du meinen Schreib- und damit Lebensprozeß, von den Prosaanfängen der Endfünfziger Jahre bis in die Gegenwart begleitet. Hinzu kommt, daß Du, bei soviel Mittelmäßigkeit und Stümperei im Verlagsgewerbe, für mich die einzige Verlegerin von Format bist - meine eigentliche Verlegerin."

Helen Wolff war Grass' amerikanische Verlegerin. Zunächst im 1942 gegründeten Verlag Pantheon Books, seit 1961 mit einer eigenen Abteilung "Helen and Kurt Wolff Books" im Verlag Harcourt, Brace & World, verschaffte sie neben Grass Autoren wie Uwe Johnson, Max Frisch, Jurek Becker, Walter Benjamin, Julien Green, Georges Simenon, Umberto Eco oder György Konrad Zugang zum amerikanischen Markt.

Das war im Falle der jungen Generation der deutschen Nachkriegsschriftsteller nicht immer einfach. Denn die "Zöglinge der Wolffschen Zucht- und Pflegeanstalt", wie Günter Grass sich selbst, Uwe Johnson und Max Frisch in seinem Nachruf zum Tode der Freundin, der in diesem Band abgedruckt ist, benannte, waren durchaus fürsorgebedürftig. Nicht immer ließ sich ihr rigoroses Bemühen um einen Umgang mit der Nazi-Vergangenheit in seinem spezifisch deutsch-provinziellen Bezug international vermitteln. Mit ruppig-moralischer Rechthaberei neigten sie im persönlichen Kontakt zuweilen zu abqualifizierenden Urteilen und verletzender Arroganz. Die aus solcher Haltung gewordene Literatur brauchte ebenso wie ihre Urheber Fürsprecher im anderen kulturellen Umfeld. Helen Wolff war die souveräne Mittlerin. Sie kannte die Spielregeln des amerikanischen Literaturbetriebes. War Grass in Amerika, kanalisierte sie Anfragen nach Interviews und Lesungen, organisierte Kontakte und Meetings, stellte eine angemessene Honorierung sicher, sorgte aber auch für ebenso bequeme wie kostenangemessene Hotelaufenthalte ihres Zöglings. Mit pädagogischem Geschick wußte sie ihre Anliegen vorzutragen: "Ich lege die Sache in Ihre Hände", schrieb sie anlässlich einer Interviewanfrage von "Time and Life" ("sie fragen schüchtern an, ob sie Sie bereit wären Herrn D. zu erlauben, nach Berlin zu kommen") am 19. Januar 1965, "aber nicht ohne zu bemerken, daß sie uns allen, und das schließt Sie ein, lieber Günter, durch einen großen Artikel im "Life" [...] eine besondere Hilfestellung geben würden."

Grass vertraute der Kompetenz seiner amerikanischen Verlegerin. Nicht zuletzt ihren Bemühungen war es zu danken, dass der Schriftsteller mit nahezu jedem Buch seit der "Blechtrommel" in Amerika erfolgreich war. Zuweilen verwunderlich für ihn selber, wie er etwa angesichts des Erfolgs von "Speak Out!", einer Sammlung politischer Reden und Schriften, am 17. Juli 1969 bemerkte: "Erstaunlich, denn dieses Buch ist, mehr noch als meine Romane, auf provinziell deutsche Verhältnisse zugeschnitten; doch es bewahrheitet sich wohl die These, daß das Provinzielle zugleich das Internationale ist, während weltweite Ansprüche zumeist provinziell bleiben." Das zielte auch auf die amerikanischen politischen Verhältnisse. Doch wird, wer in diesem Briefwechsel nach antiamerikanischen Ressentiments sucht, enttäuscht werden. Zuweilen zwar sieht sich Helen Wolff veranlasst, Kritik aus Deutschland an Amerika in ihrer Verhältnismäßigkeit zurecht zu rücken, doch kann sie darob nicht ernsthaft in Streit mit ihrem Briefpartner geraten. Beide wissen am Ende sehr wohl die berechtigte Kritik an der Politik amerikanischer Regierungen seit dem Vietnam-Engagement von pauschalem Antiamerikanismus zu unterscheiden.

Zuallererst aber betreffen Grass die deutschen Verhältnisse. Grass war (und ist) ein politischer Schriftsteller. Deutlich wird in diesem Briefwechsel, wie eng sein "politisches Dreinreden" und das künstlerische Schaffen als Schriftsteller, aber auch als Maler und Zeichner, zusammengehören. Grass registrierte dabei auch das Mißtrauen, das ihm als engagiertem Autor entgegenschlug, und es verletzte ihn. Umso wichtiger, dass ihm die Briefpartnerin in Amerika den Rücken zu stärken wußte. Anläßlich einer auffordernden Polemik aus dem Kollegenkreis nach dem Motto: Entweder Politiker oder Schriftsteller! schrieb sie am 16. Juli 1971 "Diese Polemik ist abscheulich, weil sie sich am Welterfolg rächt, statt zu tun, was Muschg tut - ihn Ihnen als Vorgabe anzurechnen. Sie haben sich um dieses Volk verdient gemacht als Schriftsteller und als Politiker, mit Feder und Stimme. Die Details der Polemik interessieren mich nicht. Der Ton und der Neid, der ihn pfeift, empören mich." Bis heute gefällt sich zuweilen eine ahnungslos-bequeme Kulturschickeria im Grassbashing. Und immer ist etwas von dem spürbar, was Grass in einem Brief vom 3. Juni 1986, nach Erscheinen der "Rättin" notierte: "Du weißt, liebe Helen, daß ich nicht zum Klagen neige, aber Dir kann ich anvertrauen, daß die Vielzahl anhaltender Angriffe [...] bei mir Spuren hinterlassen. [...] Zwar bin ich seit "Blechtrommel"-Tagen einiges gewohnt ... aber der gegenwärtige Ton im Umgang mit mir ist von anderer Qualität. Er will mundtot machen ..."

Neben dem politischen Grass lernen wir in diesem Briefwechsel auch den ,pater familias' Günter Grass kennen. "Auf jeden Fall" schrieb er am 6. Juni 1984, soeben zum Großvater geworden, "verstärken sich meine patriarchalischen Züge: von Zeit zu Zeit tafeln wir alle hier in Berlin - bereits ironisch der Grass-Clan genannt." Vertrauensvoll berichtet Grass der Freundin das jeweils neueste aus dem eigenen Beziehungs- und Familienleben. Die kommentiert dergleichen ironisch, bisweilen verwundert. Immer aber war sie auch in den familiären Angelegenheiten die geschätzte Freundin und Ratgeberin. Sie blieb es bis zu ihrem Tod am 29. März 1994. Der sorgfältig kommentierte Briefwechsel ist das Dokument dieser Freundschaft.

Titelbild

Günter Grass / Helen Wolff: Briefe 1959-1994.
Steidl Verlag, Göttingen 2003.
573 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3882438967

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