Siegfried Unseld und dem Suhrkamp Verlag zum Gedenken?

Siegfried Unselds "Ins Gelingen verliebt sein und in die Mittel des Gelingens"

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schenkt man dem Feuilleton der großen Zeitungen Glauben, dann steht es nicht gut um den Suhrkamp Verlag. An der Besetzung und Struktur der Geschäftsführung wurde bis zuletzt noch gearbeitet, möglicherweise sind Änderungen noch immer nicht abgeschlossen. Die Mitglieder des Stiftungsrates, den Unseld eigens einrichten ließ, sind in entscheidenden Fragen nicht einig. Überhaupt bleibt die Rolle dieses eigenwilligen intellektuellen Aufsichtsrats unklar. Dies vor allem, da die Gewaltenteilung von Stiftungsrat und verlegerischer Geschäftsführung nun zunehmend in den alleinigen Händen der Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz aufgehoben sein wird. Zwar führte die Gewaltenteilung, auf die Unseld Wert legte, auch zu einigem Hin- und Her, zu mancher Unentschlossenheit. Manche Pannen, die das letzte Jahr des Suhrkamp Verlages gekennzeichnet haben (etwa das Hin- und Her um Walsers "Tod eines Kritikers" oder zuletzt um Ted Honderichs "Nach dem Terror"), stehen in diesem Zusammenhang.

Der bisherige Nachfolger Siegfried Unselds an der Spitze des Verlags, Günter Berg, der überwiegend für sehr kompetent gehalten wird, verliert an Einfluss. Ulla Berkéwicz wird dagegen mehr und mehr zur starken Frau im Hause Suhrkamp - und zwar auf allen Ebenen. Ihre verlegerische und unternehmerische Kompetenzen, auf die es in diesen, man kann sie wohl schon so nennen: Krisenzeiten ankäme, sind allerdings nicht unumstritten. Das Feuilleton der überregionalen Zeitungen malt bedrohliche Szenarien an die Wand: ein Exodus von Autoren und Lektoren wird befürchtet. Letzte Interview-Äußerungen von Martin Walser (obgleich nachträglich relativiert) lassen solche Szenarien sogar realistisch erscheinen.

Vom Suhrkamp Verlag wird dabei das Gedächtnis Siegfried Unselds mit aller Kraft hochgehalten. Die diesjährigen Buchmessenaktivitäten des Suhrkamp-Verlags ließen sich als ein Gedächtnisprogramm charakterisieren. Beinahe möchte man meinen, das Andenken Unselds wird umso mehr beschworen, je weniger sich Unseld als ersetzbar erweist. Allerdings mag der Blick zurück die entscheidenden Schritte nach vorn, in ein mutiges und fundiertes Verlagsprogramm, nicht unbedingt erleichtern. Wenn Unseld als Verleger so einzigartig war, wie er uns heute erscheint, dann wird er eben auch nicht zu kopieren sein. Das ist das Nachteilige an Übervätern: sie hemmen durch erhabene Größe.

Diese Unstimmigkeiten umgeben unweigerlich und von vornherein auch die aktuelle Siegfried-Unseld-Gedächtnisveröffentlichung des Verlags. Bereits im Titel beschwört sie den Optimismus des verstorbenen Verlegers herauf, den dieser in Abwandlung eines Ernst Bloch-Zitats zu seinem Motto erhoben hatte: "Ins Gelingen verliebt und in die Mittel des Gelingens". Verliebt zu sein reicht zum Gelingen jedoch nicht aus. Immerhin Unseld verfügte darüber hinaus über das unternehmerische und verlegerische Talent, um jener Liebe auch die Tugenden von Entschlossenheit, Stilsicherheit (und welche darüber hinaus noch dazu gehören mögen) beizugesellen. Es bleibt abzuwarten, wie es sich mit der Frage des Gelingens in einem künftigen Suhrkamp Verlag verhalten wird.

Das Buch selbst zeigt keine zukunftsweisenden Perspektiven an. Ein bescheidenes Projekt ist jenes Beschwörungsbuch allerdings auch nicht. Dass es ein Stück Werbung in eigener Sache ist, ist ihm deutlich anzumerken. Es präsentiert Siegfried Unseld bereits im Klappentext als den "unumstritten größten Verleger des 20. Jahrhunderts" und untermalt dieses Urteil in insgesamt 53 Kommentaren bedeutender Zeitgenossen. Diese Kommentare, Nachrufe, Reden auf der Trauerfeier sind voller Pathos und Emphase. Das macht sie jedoch nicht immer glaubwürdiger, ihre Ansammlung nicht unbedingt überzeugender.

Das Genre der Gedächtnisanthologie, wie man es vielleicht nennen könnte, präsentiert sich als problematisch. Freilich, einen Nachruf liest man gerne einmal. Wenn er gelingt, vermag er Pathos und Nüchternheit zu verbinden und eine Persönlichkeit in ihrer Besonderheit zu würdigen, ohne in Mythisierung umzukippen. Das mag einem Nachruf glücken, fünfzig Nachrufen kann das allerdings nicht gelingen. Sie werden zu einer schwer erträglichen Metaphernmaschine. Und oftmals zielen sie auch durch Sentimentalität übers Nötige hinaus.

Ein besonders unglückliches, mitunter sogar albernes Beispiel dafür bietet das Gedicht des sonst oftmals so strengen und analytischen Durs Grünbein. Die Bemühung um Intimität (der Verstorbene wird gleich zu Beginn des ersten Verses mit "Du" adressiert) verbündet sich darin mit Anklängen an klassisch-kanonische Formen. Es besteht aus elf Strophen zu je elf Versen in einigermaßen einheitlichem, manchmal aber erzwungenem Reimschema, die neben anderen Banalitäten brav nacherzählen, was das Verlagsprogramm so enthält. Und was sich nicht reimt, wird reimend gemacht. So steht zu lesen:

"Das reicht von A wie in Adorno bis zu Z

Wie Zwetajewa - von den Denkern zu den Dichtern

Wer A sagt, meint auch B. Das reicht von Beckett

Und Brecht bis Proust und Walser. Nürnbergs Trichter -

Es gibt kein besseres Signet fürs Verlagsprogramm"

und so weiter. Vergleichbares folgt.

Ähnlich unangebracht ist die allzu lyrische Geste Albert Ostermaiers. Er ist - anders als zuvor Durs Grünbein - ganz in seinem Element, wenn er von "der Regenbogenhaut der Bücher", von "ausladenden Herzschlaghänden" und "Drachenblut" schreibt. Auch Ostermaier berührt peinlich.

Eine Reihe von Autoren lassen auf diese oder andere Weise mehr von sich selbst erkennen als vom charakterisierten Siegfried Unseld. Martin Walser etwa meint, im Wirken des einflussreichsten deutschsprachigen Literaturpolitikers der Nachkriegszeit sei "keine Spur Politik" gewesen. Schwer nachzuvollziehen - eigenartiger Kunstbegriff.

Gleichwohl gibt es einige gelungene Charakterisierungen und feine Anekdoten, die sich gut lesen und einen knappen Eindruck von Unseld und seiner Bedeutung vermitteln. Sachlich und politisch pointiert sind die Zeilen von Ekkehard Krippendorff, die die Bedeutung Unselds und der sogenannten Suhrkamp-Kultur für kritische und demokratische Debatten in der Bundesrepublik hervorheben. Schön die Zeilen von Volker Braun, die ebenfalls knapp und exakt die zeitgeschichtliche Bedeutung des Projekts Suhrkamp benennen.

Neben der politisch-kulturellen Bedeutung Unselds und seines Verlags für die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland bleiben auch einige persönlichere Notizen in Erinnerung. Für seine Autoren muss er ein großmütiger Förderer gewesen sein, der die Kraft aufbrachte, sich ihnen je spezifisch zu widmen. Christoph Hein beschreibt ihn als einen Christophorus, Angela Krauß nennt ihn einen Felsen. Der ist nun nicht mehr da. Die deutschsprachige Literatur wird darunter zu leiden haben.

Das Bild Unselds, das die Nachrufe zeichnen, ist das eines Fürsten der deutschsprachigen Literatur, eines großherzigen Patriarchen, der stets Gespür für Formen und Augenblicke hatte und der deswegen unüberbietbar bleiben muss. Dagegen werfen vor allem die verstreuten Texte von Unseld selbst, die auf den ersten 130 Seiten des Buches zusammengestellt sind, auch Fragen auf. Wessen Zeitgenosse war Unseld? Wie unersetzbar ist Unseld heute?

Seine Texte widmen sich vor allem seinen Lieblingsautoren Hermann Hesse, Bert Brecht und Max Frisch (nicht er hatte übrigens jene drei, die bis heute, wie zu lesen steht, die wesentlichen finanziellen Stützpfeiler des Verlages sind, in den Verlag geholt). Hinzu kommt ein ausführliches Gespräch mit Ernst Bloch. Diese Texte machen deutlich, wie stark Unseld in einem Nachkriegsdeutschland zuhause war, in dem sich krisenbedingt ein Bedarf an Lebensweisheiten und moralischen Maximen entwickelt hatte. Denn Unselds Hesse und Unselds Bloch, das waren vor allem jene Maximengeber, die sich als Moralisten so gut in die bundesrepublikanische Kultur der Nachkriegszeit fügten. In der Perspektive der Texte von Unseld lassen sie sich leicht neben Böll, Grass und Habermas einreihen. So unstrittig viele seiner apodiktischen Äußerungen über Literatur auch sind (seine zeitdiagnostischen Äußerungen ragen da in der Regel nicht heran), so fein auch seine Sprache, in der sich eine schier unendliche Belesenheit spiegelt, so sehr stellt sich doch trotz allem die Frage: Ist dieser Siegfried Unseld noch unser Zeitgenosse? Bleibt an diesem Unseld tatsächlich bedingungslos festzuhalten?

Er ist es, zweifellos, als Pragmatiker und Liebhaber des Büchermachen und an dieser Stelle beginnt nun endlich der Punkt, an dem das Unseld-Büchlein seine besten Stellen hat. Denn in Unselds Aufsatz "Verleger als Beruf" wird das Handwerk, das in einem Verlag und vor allem an seiner Spitze ausgeübt wird, einmal anschaulich. Und indem sich Unseld in diesem Text über die Schulter blicken lässt, da wird auch sein besonderes Talent noch einmal greifbar. Der Text ist dabei anschaulich, wenn er Hinweise gibt und nützlich, wenn er Risiken offen legt, denen Verlage begegnen. Er breitet das Szenario verlegerischen Wirkens detailliert aus. Beinahe hat er den Charakter eines kleinen Handbuchtextes, der für Lektoren, Verleger, Gestalter - und vielleicht auch für alle die, die dann die fertigen Bücher lesen, von Nutzen sein kann. So belehrt Unseld noch einmal über die grundlegende Aufgabe, die im Titel seines Gedächtnisbuches angedeutet ist: So also gelingen Bücher - und so, ist man geneigt zu ergänzen, gelingt an mindestens einer Stelle eben auch dieses.

Titelbild

Siegfried Unseld: "Ins Gelingen verliebt sein und in die Mittel des Gelingens". Siegfried Unseld zum Gedenken.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
250 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3518414380

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