Ab in die Provinz

"Mein deutsches Dschungelbuch" von Wladimir Kaminer

Von Nadine BoulannouarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Boulannouar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Alltag in einer Kleinstadt, wo alle einander kennen, alle gleichzeitig ins Bett gehen, gleichzeitig aufstehen und wo der Briefträger mit seinem Vornamen begrüßt wird, kam mir gruselig vor", bekennt Wladimir Kaminer im Vorwort seiner neuen Geschichtensammlung "Mein deutsches Dschungelbuch". Und dennoch nimmt der russische Erfolgsautor im zweiten Teil seiner noch unvollendeten Reise-Trilogie gerade die Kleinstädte genauer unter die Lupe. Bereits in "Reise nach Trulala" wurde der Leser Zeuge abenteuerlicher Ausflüge, die beispielsweise nach Paris oder in die USA führten und die die Protagonisten nicht selten mit skurrilen Hindernissen konfrontierten. "Mein deutsches Dschungelbuch" fokussiert nun Deutschland, mit sämtlichen regionalen Besonderheiten - kulinarische und kulturelle Vielfalt inklusive. Der dritte Teil der Serie, der das Gesamtwerk zum Thema "unterwegs sein" abschließen soll, sei auch schon in Arbeit, so Kaminer in einem Interview.

Das Buch umfasst 38 kurze Episoden über die verschiedensten deutschen Städte und Dörfer, die der Autor auf seiner Lesereise besuchte. Vereinzelt werden zwar auch Eindrücke aus Frankfurt, Hamburg oder München beschrieben, im Vordergrund stehen aber eindeutig die Kleinstädte und Dörfer - von Weikersheim bis Wiesloch, von Sinsheim bis Sindelfingen. Als Motiv für die Reise beschreibt Kaminer eine Auseinandersetzung mit seinen russischen Freunden, die ihm, der nun seit zehn Jahren ausschließlich in Berlin lebt, ins Gesicht sagten: "Du kennst dieses Land doch überhaupt nicht, Berlin ist nicht Deutschland, und der Prenzlauer Berg erst recht nicht. Du hast keine Ahnung, was hier wirklich los ist."

"Mein deutsches Dschungelbuch" ist eine Kuriositätensammlung, in der sich scheinbar wirklich Erlebtes mit fiktiven Ausschweifungen vermischt. In der Geschichte "From Tübingen to Böblingen with love", die man bereits von der "best of-live"-CD kennt, geht es um die sehr komplizierte Beziehung der Russen zu Hölderlin, in Rotenburg ob der Tauber betreibt Kaminer für einen Freund Recherchen unter den japanischen Touristen, in Sinsheim wird beim "gehobenen Italiener" Schweinebraten gegessen, und im Marburger "Café News" macht der Russe die Bekanntschaft einer Küchenschabe. Auch der als mystisch beschriebene (jedoch real existierende) Ort Waldbröl, der mit der Überschrift "Das Ende der Geographie" eingeleitet wird, steht auf der Reiseliste, und das Schlusslicht der Deutschland-Tour bilden schließlich die Städte Münster und Bonn. Wie ein wissbegieriger Forscher fährt Kaminer mit dem Regionalexpress durch die Lande, immer auf der Suche nach unbekannten Sehenswürdigkeiten, Sitten und Gebräuchen.

Gewohnt humorvoll und mit Liebe zum Detail beschreibt der Autor die durchquerten Landschaften und deren Bewohner. Die Geschichten sind zwar witzig und teilweise kurios, doch auch dem eingefleischten Kaminer-Fan kann "Mein deutsches Dschungelbuch" auf Dauer ein Wenig eintönig werden. Zu ähnlich ist häufig der Handlungsaufbau, trotz vieler neuer Ideen und zu gleichförmig das rasche Aufeinanderfolgen des einen Provinz-Ortes auf den nächsten. Dennoch ist Kaminers neues Buch empfehlenswert, da er mit seiner unvoreingenommenen, nahezu kindlich naiven Art amüsiert, viel besser navigiert er jedoch im gewohnten Terrain: seiner Wahlheimat Berlin.

Titelbild

Wladimir Kaminer: Mein deutsches Dschungelbuch.
Manhattan Verlag, München 2003.
254 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3442545544

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